Da klickt sie nun, die digitale Kamera, mit Speicherplatz für einige tausend Bilder auf der Chipkarte, viele davon (hoffentlich) gestochen scharf. Aber ein bisschen Ehrfurcht darf man schon noch haben, vor dem Motiv: Es ist eine schlichte Walzenpresse, die da per Hand gekurbelt wird. So genial einfach hat sie mal angefangen, die Reproduktion von Kunstwerken und Texten.
Es sind acht Schülerinnen des W-Seminars Kunst des Olympia Morata-Gymnasiums, die an diesem Nachmittag ihre eigenen Druckgrafiken pressen, fast wie zu Dürers oder Rembrandts Zeiten. Lutherjahr ist gerade auch noch: Vor 500 Jahren wurde seine Reformation ebenfalls mit Hoch- und Tiefdruck angekurbelt.
„Gestochen scharf“ sind heute Elektrobilder, die nach Belieben vom Fotografen aufgepeppt, gelöscht, verändert werden können. Zur Glanzzeit der namensgebenden Kupferstiche und Radierungen war „ehrliches Handwerk“ und Fingerspitzengefühl gefragt. Auch wenn es schon früh um „Auflage“ und Sammelobjekte ging.
Zum dritten Mal stehen die Elftklässlerinnen in der Werkstatt in der Georg Schäfer-Straße 22 an den Tischen, in voller Konzentration. Ihr W- oder Wissenschaftsseminar dreht sich um „Druckgrafiken der Moderne“. Am Ende, nach anderthalb Jahren, wird es eine Seminararbeit geben. Dazu kommt ein praktischer Teil. „In der Schule kann man so was nicht machen“, sagt Lehrerin Irene Gräb, „allein schon wegen der Materialien.“ Bei Ätzradierungen wird schließlich mit „echt ätzenden“ Stoffen hantiert, wie Salpetersäure. Eisenchlorid würde zumindest unauslöschliche Spuren auf jeder Kleidung hinterlassen. Gummihandschuhe sind beim Griff ins Säurebad Pflicht. Eine Schülerin stoppt die Zeit.
Hauptsache spiegelverkehrt
Die Entwürfe, wie Blumengesichter, Pflanzen oder Fabelwesen, werden spiegelverkehrt von Hand gezeichnet und dann auf eine Kupferplatte übertragen, die mit einer Schutzschicht bedeckt ist: Nur dort, wo der Stift sie einritzt, wird später die Säure Vertiefungen im Metall hinterlassen. Mit Terpentin wird die Lackschicht entfernt. Dann wird die Negativ-Platte mit Farbe bestrichen, und diese wieder abgewischt, nur in den Vertiefungen bleibt sie haften.
Dass die Ränder oft etwas unscharf sind, macht gerade den Reiz der Radierung aus. Kein Druck ist wie der andere, wenn er aus der Presse kommt. Mehrfachätzungen sind möglich. So auch beim Gemeinschaftsbild, zu dem Jona, Carmen, Lisa, Lena, Lea, Selina, Lana und Agathe (als Austauschschülerin aus dem französischen Tours) jeweils ein „Achtel“ beitragen: Es geht um optische Effekte beim Blick auf Gefäße. Bei einer Kaltnadelradierung würde das Bild direkt ins Metall graviert, ähnlich wie beim feinen Kupferstich. „Das Druckpapier ist leicht angefeuchtet, damit die Farbe besser anhaften kann“, erklärt die Kunstlehrerin. Dunkel verfärbte Hände und Schürzen gehören zur „Schwarzen Kunst“ dazu. Auch bunte Farbdrucke gibt es, einige davon dürfen an der Wand bestaunt werden.
Die Künstler Joachim Greschner und Dieter Kraft von der Werkstatt sehen den jungen Grafikerinnen hilfreich über die Schulter. Die Schweinfurter Radiergruppe wurde 1980 von der Iranerin Eschrat Tellert gegründet. Heute ist in der Georg Schäfer-Straße eine freie Arbeitsgemeinschaft von 17 Grafikern rund um Werkstattleiter Hans-Georg Schmitt am Werk. Neben Kaltnadel und Farbradierung stehen auch weniger bekannte Techniken wie Mezzotinto, Vernis Mou oder Zuckertusche auf dem Programm.
Dieter Kraft ist ein Experte für Heliogravur, bei der mit lichtempfindlichen Materialien und Fotoeffekten gearbeitet wird.
Immer wieder wurde mit Schweinfurter Schulen kooperiert. Die Ausstellungen und Drucke der Gruppe haben viel Beachtung gefunden, zuletzt „Rückert radiert“ im Jubiläumsjahr des Dichters, der die Redewendung „Mein lieber Freund und Kupferstecher“ geprägt haben soll. Parallel dazu hat das Schweinfurter Museum Otto Schäfer die Meistergrafiken von Albrecht Dürer gezeigt. Ikonen der Kunstgeschichte, wie „Ritter, Tod und Teufel“ oder das „Rhinozeros“ wurden in der Renaissance aufwendig gefertigt, schnöde per Druck vervielfältigt „und dann von Frau Dürer auf dem Markt verkauft“, wie Greschner es formuliert. Der Vater des Nürnberger Altmeisters war nicht zufällig Goldschmied: Metallhandwerker stellten, weiß Greschner, als Erstes Farbabzüge von den Verzierungen her, die sie in Schmuck, Waffen oder Rüstungen hinterlassen hatten, zwecks Vervielfältigung. Durch die Jahrhunderte hindurch wurde diese Technik immer mehr verfeinert. Irene Gräb erinnert an die buchstäblich ätzenden Radierungen eines Honoré Daumier, Karikaturist im 19.
Jahrhundert. Der stellte den französischen König Louis-Philippe flächendeckend als riesigen Freßsack dar und beflügelte die 1848er-Revolution. Aber auch die einfach nur schönen Bilder der Schülerinnen kommen am Ende gestochen scharf aus dem Druck. Am Ende bleibt da nur, den Deckel bescheiden auf die Digitalkamera zu schrauben.