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SCHWEINFURT
Dr. Faust als Disko-Queen
Oliver Schikora
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:05 Uhr

Zweidreiviertel Stunden lang lässt Hasko Weber einen zappeln. Zweidreiviertel Stunden, bis es dem Regisseur gelingt, seine so ultra-modern gehaltene „Faust“-Inszenierung zu einem überraschenden, nicht mehr vermuteten und doch so sehnlichst erwarteten guten Ende zu führen. Spät, aber nicht zu spät gelingt die künstlerische Verdichtung dieser Aufführung des deutschen Schauspiel-Klassikers schlechthin durch das Deutsche Nationaltheater und Staatstheater Weimar.

Videoinstallation

Walpurgisnacht in der Disco, das war der Katalysator, um ein vorher hart an der Grenze zwischen moderner Kunst und unerträglichem Klamauk changierendes Stück auf den rechten Weg zu bringen und eine neue, durchaus interessante Botschaft zu senden. Die Bühne ist dunkel, Mephisto bittet Faust zum Hexentanz in der Walpurgisnacht. Ein großer, silberner Container ist zu sehen, die beiden verschwinden in seinem Inneren und auf einmal beginnt eine grelle, krawallige, mit Blitzlicht und opulenter Farbwelt gestaltete, wahrlich nur grandios zu nennende Videoinstallation. Faust, Mephisto, die lüsternen Hexen, sie tanzen in der Diskothek, diesem Sinnbild der modernen Oberflächlichkeit. So transferiert man diesen zeitlosen Stoff ins 21.

Jahrhundert. So zeigt man dem Theaterpublikum den wahren hohlen Kern des modernen Pudels, in dem Dr. Heinrich Faust auch nichts anderes mehr ist als ein antriebsloser Hohlkopf, ein systemimmanenter Teil unserer Spaßgesellschaft, in der nur das eigene Ich an erster Stelle steht.

Unfairer Vergleich

Eindrucksvolle Schlussminuten, die die vorhandenen Schwächen der Weber-Inszenierung vergessen lassen. Natürlich ist es unfair, aber wer in eine Aufführung des meistzitierten deutschen Werkes geht, hat vor allem einen Film im Kopf, der als Referenzgröße dient: den mit Gustav Gründgens als grandiosem Mephisto und Will Quadflieg als Faust aus dem Jahr 1960. Gleichwohl ist es so, dass man ja deswegen nicht einfach aufhören kann, „Faust“ zu zeigen.

Radikal modern

Webers Weg ist es, modern zu inszenieren. In aller Radikalität.

Das beginnt bei der interessanten, von Oliver Helf verantworteten Bühne, die beherrscht wird von einem riesigen Kubus aus OSB-Platten und später unter anderem überdimensionale, fast schon pornografisch überzeichnete Gemälde einer nackten Frau in Kontrast zu der davor monologisierenden Margarete (Nora Quest) zeigt. Webers Weg ist kein leichter, vor allem für das Publikum nicht. In Schweinfurt ist vielleicht auch sein Glück, dass es am Premierenabend sehr gemischt ist. Rund ein Drittel Schülerinnen und Schüler sind da, die der Regisseur mit dieser „Faust“-Inszenierung offenkundig ins Boot holt und in diesem Sinne den Goetheschen künstlerischen Bildungsauftrag par excellence erfüllt.

Mephisto mit Sombrero

Ob Mephisto nun mit pinkfarbenen Cowboy-Stiefeln, Sombrero und schwarzem Pelzmantel durch einen von außer Rand und Band befindlichen Besoffenen besetzten Auerbachschen Keller stolzieren muss, sei mal dahingestellt. Auch erst am Ende ergibt das teilweise merkwürdig apathische Spiel von Lutz Salzmann als Dr. Faust und Sebastian Kowski als Mephisto einen Sinn. Die beiden sind keine Antipoden, Kowski gibt nicht den Strippenzieher, an dessen Seilen Salzmann tanzt.

Auch diese beiden erfahren ihren Höhepunkt erst ganz am Ende, im Kerker. Margarete ist tot, Faust gebrochen. „Her zu mir“ schreit Mephisto. Stille, Applaus. Zu Recht.

 
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