Anfang Juni 2018, vormittags auf dem Kinderspielplatz an einem Asylbewerberheim: Zwei sechsjährige und ein vierjähriges Mädchen spielen miteinander. Der Angeklagte, damals noch 18, fragt, ob er mit ihnen Polizei oder Arzt spielen darf. Nein, sagen die Mädchen, sie wollen lieber alleine spielen. Er aber beharrt auf seiner Idee, schüchtert die Kinder ein, zieht ihnen schließlich den Slip aus - und berührt sie unsittlich, "um sich sexuell zu erregen", zitiert der Staatsanwalt am Mittwoch vor dem Jugendschöffengericht aus seiner Anklageschrift. Erst nachdem er Befriedigung erlangt habe, "ließ er davon ab".
Angeklagter sieht sich "als kleines Kind"
Dies geschieht nicht etwa abgeschirmt von neugierigen Blicken, sondern auf dem gut besuchten Spielplatz in aller Öffentlichkeit. Der junge Mann bestätigt den Vorfall: "Ich habe das Spiel mit ihnen gespielt." Warum, will der Gerichtsvorsitzende wissen. "Weil ich ein kleines Kind bin", übersetzt die Dolmetscherin. Der "intelligenzgeminderte" Angeklagte sei in seiner Kindheit in seinem Dorf im Irak selbst sexuell missbraucht worden, sagen er und seine Mutter.
Er kann bis heute nicht lesen, schreiben und rechnen. 2017 seien sie nach einer gefährlichen Flucht über den Iran und die Türkei nach Deutschland gelangt. Hier habe der 19-Jährige keine gleichaltrigen Freunde gefunden, er sei isoliert, werde gehänselt und gemobbt. Nachdem sein sexueller Übergriff auf die Mädchen bekannt geworden war, sollte er sich von Spielplätzen und kleinen Kindern fernhalten. Er ist aber einem Mädchen auf dem Schulweg mit dem Fahrrad hinterher gefahren. "Dann sind Sie endgültig in Untersuchungshaft gegangen", sagt der Vorsitzende, "weil es uns zu heiß war." Einen weiteren sexuellen Übergriff sollte es auf keinen Fall geben. Das war kurz bevor er in einer Förderschule den Unterricht besuchen sollte.
Knast bringt in diesem Fall gar nichts
Seit Anfang September ist der Angeklagte in U-Haft. "Ich flehe Sie an, dass mein Sohn in eine psychologische Behandlung kommt", bittet die Mutter das Jugendschöffengericht. Der Vorsitzende zitiert aus dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen. Dieser beschreibt den 19-Jährigen als höflich, unterwürfig, unterdurchschnittlich intelligent, seine Grundstimmung als ernst traurig, teils verzweifelt. Die Verfahrensbeteiligten sind sich einig: Knast bringt in diesem Fall gar nichts. Eine Bewährungsstrafe mit Unterbringung und Therapie sei das richtige.
So wird ein zweiter Verhandlungstag angesetzt, an dem auch der Sachverständige gehört werden soll. In der Zwischenzeit soll auch erkundet werden, wie schnell eine geeignete Einrichtung mit therapeutischer Begleitung in der Nähe gefunden werden kann. Dass die Mutter mit dem Problem überfordert ist, bezweifelt niemand.
Das Verfahren wird am 20. Februar um 14 Uhr fortgesetzt.
Die Dolmetscherin könnt man sich dann auch sparen.