Aufklärungsflieger sehen die Welt mit eigenen Augen. Pilot Antoine de St. Exupéry blickte als Schriftsteller mal auf sein "einziges echtes Abenteuer" im Zweiten Weltkrieg zurück: In seiner Bauernstube, wo er im eisigen Winter 1939 einquartiert war, sei es ihm wie eine Polarexpedition, eine Wüsten- oder Steppendurchquerung vorgekommen, wenn er sich morgens aus dem Bett zum Feueranschüren quälen musste. "Saint-Ex", Hauptmann und Autor des "Kleinen Prinzen", schwirrte bereits in zehn Kilometern Höhe durch dünne Luft, allerdings noch mit der Kamera. Seitdem hat sich die Technik rasant weiterentwickelt. Eine Wüste, die Steppe oder das Nordmeer an einem Vormittag durchqueren: Das würde Hauptmann Chris N. heute im Wortsinn schaffen.
Der Dittelbrunner ist Besatzungsmitglied eines AWACS E-3A: einer modernisierten Variante der fliegenden Radarstationen, die im Kalten Krieg als Frühwarnsystem am "Eisernen Vorhang" gedient haben. Heute zählen weltweit aktive Gestalten wie IS-Terroristen zu den Gegenspielern. Entsprechend mahnen die Vorgesetzten an der Heimatbasis Geilenkirchen (bei Aachen) zu Vorsicht, wenn es um den kompletten Namen, die Funktion an Bord oder Fotos geht.
AWACS, das steht für "Airborne Early Warning and Control System". Die Maschinen unterstehen der NATO – und in Friedenszeiten der zivilen Flugsicherung.
Das Einsatzgebiet kennt eigentlich jeder Urlaubsflieger: Die Sphären zwischen Höhensonne und schneeweißem Wolkenmeer, mehr als 9000 Meter über Normalnull. Ein AWACS hat, als Variante der Boeing 707, allerdings noch ein Rotodom auf dem Rücken montiert, die neun Meter durchmessende Scheibe des Suchradars: "Die Flugeigenschaften beeinträchtigt es nicht", versichert Hauptmann N.. Cocktailschlürfen ist allerdings weder im Cockpit (wo drei Flieger Dienst leisten) noch im "taktischen" Bereich angesagt. Dort reisen zwölf "Operateure" mit, die Flugzeuge, Hubschrauber, aber auch Schiffe auf ihren Bildschirmen haben, in bis zu 400 Kilometern Entfernung. Im Ernstfall wäre ein AWACS gut vernetzter Gefechtsleitstand.
Es geht um die Sicherheit der NATO-Länder
Aber auch im Routinebetrieb geht es um die Sicherheit ganzer Länder, in Zeiten von Hijacking und Terror. Mit dem Dopplerradar als "Bewegungsmelder" lässt sich hinter Erdkrümmung und Gebirge blicken. Der Riesenpilz machts möglich: "400 Kilometer, das ist, als würde man von Frankfurt aus Richtung Prag oder London blicken."
1982 wurden 18 Radarflieger sowie drei Transporter in Dienst gestellt. Abgedeckt wird die gesamte Ostflanke der NATO: entsprechend gibt es Basen in Geilenkirchen, Aktion (Griechenland), Trapani (Sizilien), Konya (Türkei) sowie Oerland (Norwegen). Nach einer Modernisierung sind noch 14 Überflieger am Start: Drei wurden in Arizona eingemottet, eine Maschine ging 1996 durch Vogelschlag verloren.
Vier Turbinen treiben das Fliegende Auge der NATO an, das zehn Stunden oder mehr seine Kreise zieht, in zugewiesenen "Orbits". Bis zu 6000 Pfund Sprit wechseln bei jeder Luftbetankung den Besitzer, pro Minute, acht Generatoren sorgen für Saft an Bord: "Mit fünf davon könnte man einen Ort wie Geilenkirchen oder die Gemeinde Dittelbrunn versorgen." Bis 2030 soll die bewährte Scheibe fliegen, auch wenn es schon Nachfolgemodelle gibt: "Pencil Beam", dem Strahl vom bleistiftförmigen Radar aus, gehört wohl die Zukunft.
Mit Kollegen aus 17 NATO-Nationen an Bord
Für den gebürtigen Würzburger war Fliegen schon immer der große Traum: "Der Vater war begeisterter Hobbypilot, ich durfte am Schenkenturm, dem Sportflugplatz, zuschauen." Mittlerweile geht er mit Kollegen aus 17 NATO-Nationen an Bord: "Heute fliegst du mit einem Amerikaner, morgen mit einem Spanier, übermorgen mit einem Türken." Nachdem die NATO kein Land ist, haben die AWACS eine Luxemburger Kennung, LX, und das Wappentier des Großherzogtums am Heck, einen roten Löwen: "Thank you for flying Luxemburg Airlines" sei ein "Running Gag" an Bord, berichtet Chris N.. Die Verpflegung sei nicht schlecht, lobt der Dittelbrunner, dank Original Boeing-707-Küche ist für warme Mahlzeiten gesorgt.
2012 war das noch anders, als Chris N. im "OP North" Dienst als Verbindungsmann der Luftwaffe schob, beim Bundeswehreinsatz in Afghanistan: Der Außenposten war bekannt für Staub im Zelt, "Einsatzverpflegung" und die angespannte Sicherheitslage. Über den Wolken geht es heute ruhiger zu. Im Notfall würde der unbewaffnete Riesenvogel "abtauchen". Schleudersitze gibt es nicht, auch keine Fallschirme.
Belastungs-EKG ist jährlich Pflicht
Das jährliche Belastungs-EKG ist Pflicht, ebenso eine regelmäßige Übung in der Druckkammer. In Königsbruck wird alle paar Jahre der Umgang mit jähem Druckabfall trainiert: "Da wird die Feuchtigkeit schlagartig zu Nebel, man sieht kurz die Hand vor Augen nicht." Noch gefährlicher wäre unbemerkter Druckverlust, in Mount Everest-Höhe. In der Simulation werden die Symptome schleichenden Sauerstoffmangels ermittelt, um sie im Notfall an sich selbst zu erkennen: "Das Farbensehen geht Stück für Stück verloren." Auch Hitzegefühl sei möglich oder Desorientierung.
In Osteuropa werden derzeit unruhige russische Nachbarn, von der Türkei aus diverse Aktivitäten in Syrien beäugt, über dem Mittelmeer mysteriöse Schiffsbewegungen gemeldet – was vielleicht schon Flüchtlingen das Leben gerettet hat. 2015 hat Chris N. die Luftsperrzone des G7-Gipfels in den bayerischen Alpen überwacht. Für "Orbits" überm Hindukusch fehlte ein einziger Spezialkurs zum Überleben auf afghanischem Boden. Ehefrau Jasmin, eine Lehrerin, akzeptiert den Beruf, auch wenn sie selber Flugangst hat: "Dafür weiß ich, dass ich im Flugzeug nicht eher nervös werden muss, bis er es auch wird." Dramatische Zwischenfälle gab es bislang keine: "UFOs habe ich nie gesehen, wir hatten ja immer genügend Sauerstoff."