Tom Waits (67), amerikanischer Sänger, Komponist, Schauspieler und Autor, sagt zu seiner Neufassung von Georg Büchners „Woyzeck“: „Das Stück handelt von Wahnsinn und Obsessionen, von Kindern und Mord – Dinge, die uns berühren. Unser „Woyzeck ist wild und geil und spannend und fantasieanregend“. Wir sind im zweiten Abend des Gastspiels des Theater Wasserburg mit seiner Version des Waits-Woyzeck.
Jahrmarktrummel. An einem Stand verteilt die Karussell-Besitzerin (Susan Hecker) großzügig Popcorntüten ans Publikum. In der Mitte der Bühne steht ihr Kettenkarussell, dessen Ketten unsichtbar sind. An diesen imaginären Ketten hängen vier lebensgroße Marionetten. Es sind die Schauspieler Hilmar Henjes, Nik Mayr, Frank Piotraschke und Annett Segerer, die abwechselnd alle wichtigen Rollen des „Woyzeck“ spielen.
Wobei „spielen“ nicht richtig ist. Da die Marionetten ja an Fäden hängen, können sie nur stehen, zusammengesunken hängen oder sich ruckartig bewegen. Regisseur Uwe Bertram macht Büchners dramatisches Schauspiel zur Erzählung. Kein neuer, für manche Besucher eher ernüchternder Kunstgriff, den Bertram schon in „Alice“ anwandte. Erzählung statt Spiel. Das aber machen die Darsteller ausgezeichnet: In jedes der original Büchner-Zitate legen sie dank ihrer Sprechkunst alle Dramatik des Geschehens, ergänzen es mit ihren englisch gesungenen Songs, die oft akustisch unverständlich bleiben.
Im Hintergrund der Bühne sitzt die von Georg Karger geleitete Band. Es ist meist brutale Musik mit aggressiver Rhythmik, die das verlorene Leben des Soldaten Franz Woyzeck und seiner Marie verdeutlicht. Als Ouvertüre intonieren die Musikanten schräge Jahrmarktmusik, die plötzlich aus dem Takt gerät und in einer schrillen Kakophonie endet. Der Schlagzeuger in einem Totengerippe-Kostüm grinst diabolisch.
Dass die Geschichte nicht gut enden würde, teilt uns Waits gleich im ersten Song mit: „Misery is the River of the World“, in dem es heißt: „Wenn man etwas über die Menschheit sagen kann, dann, dass am Menschen nichts Freundliches ist“. Das Karussell beginnt sich zu drehen, schiebt immer einen oder zwei Darsteller für einen Büchner-Text oder einen Song nach vorn.
Da gibt es die bekannte Szene zwischen Woyzeck und dem Hauptmann, der ihm wegen seines unehelichen Kindes vorwirft, ein unmoralischer Mensch zu sein. „Es muss etwas Schönes sein mit der Moral und der Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl“. Der Doktor missbraucht Woyzeck für seine dubiosen Ernährungs-Experimente: Er darf ausschließlich Erbsenbrei essen, was zu Wahnvorstellungen und Inkontinenz führt. „Hat er seine Erbsen gegessen? Muss er nicht wieder pissen, Woyzeck?“, spottet der Arzt. Das kurze Glück findet Woyzeck bei seiner Marie und seinem Kind. Für sie singt er „Coney Island Baby“: „Bei ihr bin ich der reichste Mann der Welt“.
Doch wenn ihr elendes Leben wieder über sie hereinbricht, bleibt nur „Everything goes to Hell“. Gott? Gott gibt es nicht: „God's away on Business“.
Die Untreue Maries, ihr Verhältnis, bringt das brüchige Lebensgebäude Woyzecks endgültig zum Einsturz. Woyzeck ersticht Marie. Mit dem pessimistischen „It's over“ (Niemand kümmert, was geschehen ist) endet das Stück. Und der Tod am Schlagzeug grinst. Höflicher Applaus für die Gäste aus Wasserburg.