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Werneck
"Die Würde des Menschen ist unantastbar"
Erinnerung an einen lange verschwiegenen Massenmord mitten in Deutschland: Im Wernecker Schlosspark wurde der Euthanasie-Opfer in der Nazizeit gedacht.
Foto: Uwe Eichler | Erinnerung an einen lange verschwiegenen Massenmord mitten in Deutschland: Im Wernecker Schlosspark wurde der Euthanasie-Opfer in der Nazizeit gedacht.
Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 08.10.2021 02:27 Uhr

Die Initiative "Pax´ An" leistete gleich doppelt Erinnerungsarbeit, beim Gedenken an die Verschleppung und Ermordung von Patienten aus der psychiatrischen Klinik Werneck, vor 81 Jahren. Nach der Begrüßung durch Margit Hettrich, im Namen der Wernecker Menschenrechtsgruppe, erinnerte Klaus Schröder an deren Initiator und Sprecher Klaus Hofmann, der im Dezember 2020 verstorben ist.

Der Gruppe geht es darum, den Opfern der sogenannten "Euthanasie" in der NS-Diktatur wieder ein Gesicht zu geben. Ihre systematische Vernichtung als "lebensunwertes Leben", zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, gilt heute als gezielte Enthemmung und Auftakt zum millionenfachen Völkermord. 1996 wurden im Schlosspark ein Mahnmal sowie eine Informationstafel aufgestellt: um ein mehrfaches Tabu-Thema aufzuarbeiten, das erst spät ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gelangt ist. Er bekomme immer noch Nachfragen von Angehörigen, berichtet Thomas Schmelter, als ehemaliger Oberarzt einer der Mitforschenden des Projekts.

Etwa 30 bis 40 Besucher waren am "Tag der deutschen Einheit" anwesend, darunter auch Altbürgermeisterin Edeltraud Baumgartl sowie Amtsnachfolger Sebastian Hauck.

Karin Renner erinnerte als Behindertenbeauftragte des Bezirks an einen "Zivilisationsbruch", den bis dahin niemand für möglich gehalten hätte. Rund 20 000 der von den Nazis oft qualvoll ermordeten psychisch Kranken hätten aus Bayern gestammt. Historiker würden heute verstärkt nach der Vorgeschichte des "gottlosen und abscheulichen" Verbrechens fragen: "Wahrscheinlich begann das menschenverachtende Denken bereits vor der nationalistischen Machtübernahme". Möglicherweise habe die Industrialisierung im 19. Jahrhundert eine Rolle gespielt, mehr aber noch die Verrohung im Ersten Weltkrieg.

Zwischen dem 3. und 6. Oktober 1940 wurde die Wernecker Anstalt fast vollständig geräumt. 760 Patienten wurden in vier Tagen abtransportiert, der größere Teil in die Heil- und Pflegeanstalt Lohr am Main. 370 Menschen fielen den Tötungsanstalten der sogenannten "Aktion T4" zum Opfer. Zwei kleinere Transporte nach Lohr folgten noch im Januar und April 1941.

Zum ersten Mal habe sich das 1999 erschienene Buch "Psychiatrie im Nationalsozialismus" wissenschaftlich mit den damaligen Vorgängen befasst, so Renner. Bereits Anfang der 1990er-Jahre hätten die Nachforschungen einer kleinen Gruppe von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Psychiatrischen Krankenhauses Schloss Werneck die Umstände der Zwangssterilisationen und Deportationen von Patienten ans Licht gebracht: "Sie lüfteten den Schleier des Vergessens, den wohl mancher gerne über die NS-Verbrechen ausgebreitet hätte."

Besonders dankbar sei sie der Gruppe "Pax´ an", die seit 25 Jahren das jährliche Gedenken im Park organisiert. Dem Bezirk und dem Krankenhaus liege die Aufarbeitung sehr am Herzen. Es gehe darum, die Opfer aus ihrer Anonymität zu befreien: "Unser abendländisches Verständnis vom Menschen ist zutiefst geprägt von der Würde des Einzelnen". Entsprechend sei der wunderbare und prägnante Satz nach 1945 ins Grundgesetz aufgenommen worden: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Dem sei nichts hinzuzufügen, so die Bezirksrätin.

Dem Regen zum Trotz wurden nach einer Gedenkminute weiße Rosen am Mahnmal niedergelegt. Den musikalischen Rahmen übernahmen die Musiktherapeuten am Psychiatrischen Krankenhaus, Benedikt Heinrich und Franz Berwind.

 
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