Mehrere hundert Menschen sind am Donnerstagnachmittag auf den städtischen Friedhof gekommen, um mit einer ökumenischen Andacht ihrer toten Verwandten und Freunde zu gedenken. Während der Andacht wurden neben den Gräbern auch die neue Ewig-Licht-Stele und der neue Sternenkinder-Platz gesegnet.
„Der Friedhof ist die Visitenkarte einer Gemeinde“, sagte der katholische Pfarrer Stefan Mai bei der Begrüßung. Der Umgang mit den Toten zeige auch etwas über die Einstellung zum Leben und zur Würde des Lebens an sich. Die Friedhofskultur sei heutzutage in einem radikalen Wandel begriffen. Es stelle sich die Frage, wie man diesen Wandel sinnvoll gestalten könne, damit der Friedhof nicht immer mehr zu einer Kieswüste werde, sondern ein würdevolles Gesicht behalte.
Bürgermeister Thorsten Wozniak betonte, die Stadt Gerolzhofen habe sich dieses Themas angenommen. Die Mitglieder des Friedhof-Arbeitskreises hätten sich viele Gedanken gemacht und erste Schritte eingeleitet. „Unser Friedhof bekommt dabei ein stärkeres grünes Gesicht.“ Aufgelassene Gräber wurden mit Rasen bepflanzt, Zierbäume an der nördlichen Friedhofsmauer gesetzt. Die alten Thuja-Hecken mit ihren oft grässlichen Löchern, die entstanden, wenn die Grabsteine weggenommen wurden, wurden gerodet. „Der alte Friedhof atmet dadurch jetzt mehr Weite.“
Für alle Toten der Stadt
Zu der Aufwertung des Friedhofs trägt auch die neue Ewig-Licht-Stele aus Corten-Stahl bei, die der ehemalige Kunstreferent der Diözese, Domkapitular emerit. Jürgen Lenssen, ehrenamtlich entworfen und die vom Gerolzhöfer Handwerksmeister Winfried Ansorge gefertigt wurde. Die Stele und der sie umgebende kleine Platz sollen ein Begegnungsort der Lebenden werden – und ein Erinnerungsort an alle Toten der Stadt, besonders an die, an die keiner mehr denkt.
Am Friedhofseingang an der Kaplan-Jäger-Straße wurde in den vergangenen Wochen von der Stadtgärtnerei nach einem Entwurf von Michael Finster ein würdevoller Bestattungsplatz für so genannte „Sternenkinder“, für still geborene Kinder angelegt. Ein Frühchen hat in dem Bereich, der durch eine Stele kenntlich gemacht ist, bereits seine letzte Ruhe gefunden. Die Stele hat Rainer Schneider von der Gerolzhöfer Firma Tully Stein GmbH gefertigt.
Platz für Sternenkinder
Der Bedarf für eine solche Bestattungsform ist da. Etwa 2400 Kinder mit einem Gewicht über 500 Gramm werden jedes Jahr in Deutschland tot geboren, weitere 2000 Kinder mit einem Gewicht darunter. Vor noch nicht vor allzu langer Zeit wurden die Embryonen unter 500 Gramm menschenunwürdig einfach mit dem Operations- und Krankenhausmüll entsorgt. In Schweinfurt mit seinen beiden Geburtsstationen gibt es bereits ein würdevollen Bestattungsplatz für die still geborenen Kinder. Dort beerdigen die Krankenhauspfarrer gemeinsam mit den Eltern in regelmäßigen Abständen alle zwei Monate rund 25 bis 30 Embryonen, die zwischen der sechsten und 22. Schwangerschaftswoche gestorben sind. Nun gibt es auch in Gerolzhofen solch einen Platz, wo Väter und Mütter, die noch keine eigene Grabstätte besitzen, ihrer Trauer einen Ort geben können.
Die Würde nach dem Tod
Mit der Ewig-Licht-Stele und dem neuen Sternenkinderplatz wolle die Stadt Gerolzhofen in einer Zeit der immer mehr zunehmenden Anonymisierung der Gesellschaft ein Zeichen gegen das Vergessen setzen, betonte Bürgermeister Wozniak. Denn: „Der Mensch behält seine Würde auch noch nach seinem Tod.“
Jürgen Lenssen war zur Segnung der neuen Stele extra aus Würzburg angereist. Er verdeutlichte in seiner Ansprache die Formensprache der Stele, die zwei stilisierte Hände darstellt, die schützend das Licht behüten. Die Hand des anderen zu spüren, darin sich geborgen fühlen – dies sei eine Urgeste, ein Urzeichen des Menschen, sagte der ehemalige Kunstreferent der Diözese.
Ein tiefes Zeichen
Das Kleinkind vertraue auf die Hände der Eltern, Verliebte gehen Hand in Hand durchs Leben, man lege seine Hand auf die Schulter des Freundes und selbst in Grenzsituationen wie beim Sterben, wo kaum noch passende Worte zu finden seien, gebe es die ausgestreckte Hand als ein tiefes Zeichen. Diese Sehnsucht nach dem Geborgensein in einer Hand sei unabhängig von der Religiosität, sagte Lenssen, denn sie sei urmenschlich. Und die brennende Kerze in der Mitte der Stele sei ein Licht für die Toten, die nicht von der Finsternis eingeholt wurden, sondern nun in der Helle des Tages Gottes leben.
Lob für die Stadt
Die neue Stele stelle ein Mahnmal dar für alle Toten der Stadt, besonders für die, deren Gräber aufgelassen, deren Namen und damit auch deren Erinnerung längst entschwunden seien. „Es ist aber notwendig, sich an die Menschen vor uns zu erinnern“, sagte Lenssen, „denn wir stehen auf ihren Schultern.“ Es sei deshalb „bewundernswert“, dass die Stadt Gerolzhofen solch einen Ort geschaffen habe, der zum Ausdruck bringe: „Niemand verliert seinen Platz bei uns.“ Er kenne keine andere Kommune, die diese Idee so umgesetzt habe. „Dies ist Friedhofskultur par excellence“, lobte der emeritierte Domkapitular.
Nach dem traditionellen Verlesen der Namen der rund 90 in den vergangenen zwölf Monaten verstorbenen Mitglieder der katholischen Pfarrgemeinde und der evangelischen Kirchengemeinde segnete Jürgen Lenssen unter den Klängen der Stadtkapelle gemeinsam mit den Pfarrern Stefan Mai und Reiner Apel die neue Stele. Während der Gräbersegnung im neuen Teil des Gottesackers segneten Mai und Apel in einer kurzen Zeremonie dann auch die Wiese für die Sternenkinder. Reiner Apel sagte, dies hier sei jetzt ein Platz für die Trauer und die Tränen, für die Hoffnungen, die nicht in Erfüllung gegangen sind, für die Leben, die nicht zur Entfaltung kommen durften, für die Kinder, die niemals das Licht der Welt sahen.