Selbst mit ganz viel Lametta, bunten Christbaumkugeln und viel Kerzenschein lässt sich's kaum kaschieren. "Die Luft ist raus, gerade vor Weihnachten", sagt Julia Shoemaker. Als sie diesen Satz ausspricht, sind es noch gut zwei Tage hin bis zum Heiligen Abend, dem emotionalen Fest für die ganze Familie. Doch nicht nur das: Gefühlt verfällt an den Festtagen die ganze Gesellschaft in eine Friede-Freude-Eierkuchen-Laune. Auch Julia Shoemaker und ihre 20 Kolleginnen und Kollegen geben ihr Bestes, um dem gerecht zu werden. Dabei ist es schon unter normalen Umständen oft anstrengend, im Wohnbereich 1 des Wohnstifts Steigerwald in Gerolzhofen Weihnachten einkehren zu lassen. Im Jahr zwei der Corona-Pandemie ist es Schwerstarbeit.
Die 33-jährige Wohnbereichsleiterin sagt von sich selbst, dass sie so schnell nichts umhaut. Diesen Eindruck vermittelt sie auch. Schon allein wenn sie davon erzählt, was sie und ihre Kolleginnen im Wohnstift alles unternehmen, um es den Bewohnerinnen und Bewohnern während der Adventszeit und an den Weihnachtstagen so schön als möglich zu machen, dann lässt einen das staunen. Vieles von dem, was sie fürs Fest vorbereiten, stemmen sie außerhalb ihrer eigentlichen Arbeitszeit.
Den Bewohnern fehlt der Besuch
Damit bügeln sie wenigsten einen Teil der Begleitschäden aus, die die Corona-Pandemie unter den Bewohnerinnen und Bewohnern hinterlässt. Denn das Schmücken von deren Zimmern mit weihnachtlicher Deko haben zuvor oft Angehörige übernommen. Wegen der strengen Besuchsregeln und Hygienevorschriften, die seit Ausbruch der Pandemie gelten, kommt jedoch weniger Besuch. Dies bedeutet für das Personal des Wohnstifts zusätzliche Arbeit. Und das nicht nur, weil sie jetzt neben den Aufenthaltsbereichen auch Bewohnerzimmer mit Zweigen, Lichtern und Kugeln schmücken, was sonst oft Angehörige erledigten. Die Pflegekräfte stehen jetzt auch grundsätzlich häufiger vor Aufgaben, die sonst Besucher übernehmen und für die sie streng genommen auch nicht verantwortlich sind, etwa das Ordnen von Kleiderschränken.
Doch so sehr sich Julia Shoemaker und ihre Kolleginnen und Kollegen seit Monaten aufarbeiten, eines können sie kaum verhindern: "Die Menschen hier sind in den vergangenen zwei Jahren vereinsamt", stellt die Bereichsleiterin fest. Dies hängt natürlich damit zusammen, dass die Besucher seit Ausbruch der Pandemie weniger geworden. Julia Shoemaker meint sogar, dass die Besuche "stark nachgelassen" hätten. Vielen sei es einfach zu umständlich, sich trotz doppelter oder gar dreifacher Impfung vor jedem Besuch nochmals auf Corona testen zu lassen, sagt sie. "Nach dem Einkaufen in der Stadt kurz noch mal im Wohnstift bei einem Verwandten oder Bekannten vorbeischauen, das geht einfach nicht mehr."
Schutzmasken stellen eine Barriere dar
Doch mindestens ebenso schwer wiegt, dass der ehrenamtliche Besuchsdienst nicht mehr stattfindet. Auch die Frauen und Männer, die den Bewohnern beispielsweise aus der Zeitung vorgelesen haben, dürfen das Wohnstift aus Sicherheitsgründen derzeit nicht besuchen. Hinzu kommt die gefühlte Distanz zwischen Bewohnern und Pflegerinnen, die durch die Schutzmasken, die ständig zu tragen sind, entsteht. "Manche Bewohner können die ganze Situation mit Masken und Corona gar nicht verstehen", sagt die Bereichsleiterin. Das gilt nicht nur für Demenzerkrankte. All diese Punkte tragen dazu bei, dass es vielen schwerfällt, das Wohlgefühl, das mit Weihnachten normalerweise einhergeht, überhaupt erst zu entwickeln.
Doch die Mitarbeitenden des Wohnstifts halten mit aller Macht und allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen. Julia Shoemaker berichtet von einer Weihnachtsfeier am vierten Adventswochenende für alle Bewohnerinnen und Bewohner ihres Bereichs. Es gab nachmittags Lieder, Kaffee und gute Stimmung. "Das hat gereicht, dass alle alle voll zufrieden waren", sagt sie, "auch wenn, anders als erst geplant, keine Angehörigen dabei sein konnten."
Pflegerinnen treten als Christkind auf
An Heiligabend wird sie wie im vergangenen Jahr zusammen mit einer Kollegin als Christkind von Zimmer zu Zimmer gehen und kleine Geschenke verteilen. Diese haben sie selbst eingekauft, individuell für jede Bewohnerin und jeden Bewohner, und hübsch eingepackt. Das geschah alles außerhalb der Arbeitszeit, "weil es uns wichtig ist", erklärt Julia Shoemaker. Der Lohn für ihre Mühen werden die glücklichen Gesichter der Beschenkten sein, vielleicht auch die eine oder andere Träne der Freude. So fühlt sich Weihnachten im Wohnstift an.
Mit diesen Eindrücken wird Julia Shoemaker an Heiligabend nachmittags nach Hause kommen, zu ihren drei Kindern und ihrem Mann. Ihr Dienst geht an diesem Tag von 6 bis 13.30 Uhr. Dann hat sie eine kurze Verschnaufpause für die eigene Bescherung zuhause. Am ersten Weihnachtsfeiertag steht ihr Name schon wieder auf dem Dienstplan. Am zweiten Feiertag hat sie dann frei. Doch als Bereichsleiterin bleibt sie auch dann ansprechbar für ihre Mitarbeitenden, wenn sie eigentlich Feierabend hat. Wenn das Handy klingelt, geht sie ran, ohne Zögern, auch am Feiertag.
Sie beschwert sich darüber mit keinem Wort. Es gehört für sie zur Arbeit, die sie liebt, einfach dazu. Dennoch zehrt es an ihrer Kraft. Für den Job in der Pflege hat sie sich früh entschieden. "Ich mache das seit meinem 16. Lebensjahr", sagt die 33-Jährige. Was die Arbeit in dem Bereich mit sich bringt, welche Anstrengungen damit verbunden sind, hat sie bereits viel früher kennengelernt: Ihre Mutter war selbst Stationsleitung in einer Pflegeeinrichtung. Seit zwölf Jahren ist diese selbst im Wohnstift Steigerwald – als Bewohnerin, obwohl sie erst 53 Jahre alt ist. "Ich kenne also nicht nur die Sorgen als Mitarbeiterin, sondern auch als Angehörige", sagt Julia Shoemaker.
Weihnachten erhält einen besonderen Rahmen
Deshalb achtet sie besonders darauf, dass Heiligabend im Wohnstift nur vordergründig "ein Tag wie jeder andere ist", wie sie sagt. Deshalb werden zum Essen an diesem Tag und an den beiden Feiertagen weiße Tischdecken aufgelegt. Nachmittags spielt an Heiligabend der Posaunenchor im Wohnstift und es wird Gottesdienst in der Kapelle gefeiert und auch in die Zimmer übertragen. Und die Christbäume in jedem Wohnbereich leuchten. "Es ist vielen Bewohnern wichtig, dass die Lichter am Baum erst an Heiligabend angezündet werden", sagt Julia Shoemaker. Dies hänge mit alter Tradition zusammen, ebenso wie das Tragen schicker Kleidung an diesem Tag. Und zum Abendessen gibt es Kartoffelsalat und Würstchen – noch ein Brauch, der für viele Bewohnerinnen und Bewohner schon immer dazugehört hat, egal, ob zuhause oder jetzt hier im Wohnstift.
Und wenn das alles passt, wenn Weihnachten den richtigen Rahmen hat, den es einfach braucht, dann wird es auch in diesem Jahr gelingen, dass die Bewohnerinnen und Bewohner die Festtage genießen, da ist sich Julia Shoemaker sicher. Manchen tue es gut, sagt sie, dass Weihnachten im Wohnstift nicht mehr so hektisch ablaufe, wie es früher oft daheim war. Wobei allerdings auch klar sei: In der eigenen Familie sind Oma und Opa an Weihnachten oft ein Hauptpunkt. "Das können wir hier nicht ersetzen."