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MÜNCHEN
Die unbeugsamen Dörfer Sennfeld und Gochsheim ausgezeichnet
Freude im Kaisersaal der Münchner Residenz bei (von links) Gochsheims Bürgermeisterin Helga Fleischer, Sennfelds Bürgermeister Emil Heinemann, Schweinfurts Landrat Florian Töpper und Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle. Den Erhalt der Kulturerbe-Urkunden feiern Hüte schwenkende Trachtler aus beiden ehemals freien Reichsdörfern.
Foto: Holger Laschka | Freude im Kaisersaal der Münchner Residenz bei (von links) Gochsheims Bürgermeisterin Helga Fleischer, Sennfelds Bürgermeister Emil Heinemann, Schweinfurts Landrat Florian Töpper und Bayerns Kultusminister Ludwig ...
Von unserem Mitarbeiter Holger Laschka
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:17 Uhr

Was die beiden ehemals freien Reichsdörfer Sennfeld und Gochsheim vereint, sind Unabhängigkeit und Unbeugsamkeit. Als ihnen im Dreißigjährigen Krieg die Reichsfreiheit entzogen wurde, nahmen sie das nicht klaglos hin.

1649 wieder unabhängig

1649 erhielten sie ihre Unabhängigkeit zurück und waren nicht mehr den Reichsfürsten oder Fürstbischöfen unterstellt, sondern direkt dem römisch-deutschen Kaiser. Und sie nutzten die damit wiedererlangte Religionsfreiheit für ein Bekenntnis zum Protestantismus.

Soweit die Unabhängigkeit. Zur Unbeugsamkeit weiß Sennfelds Bürgermeister Emil Heinemann eine Anekdote beizutragen, die beides zeigt: den Kampfeswillen der einst freien Reichsbürger und den Zusammenhalt zwischen den beiden Dörfern, denen weithin eigentlich eine gewisse Rivalität nachgesagt wird. Als die Gochsheimer einst ihre Steuern an die Schweinfurter Eintreiber nicht entrichten konnte – es herrschte Ebbe in der Dorfkasse – waren die Nachbarn behilflich.

Den Stadtknechten aufgelauert

Nicht mit Geld – nein. Die Sennfelder Burschen lauerten den Schweinfurter Stadtknechten an der „Gochsheimer Höh“ auf und vermöbelten diese derart, dass sie wimmernd und unverrichteter Dinge in die Stadt zurückkehrten.

So erzählt es das Sennfelder Gemeindeoberhaupt anno 2016, wohlwissend, dass zwischen den beiden Nachbardörfern nicht immer nur eitel Sonnenschein herrschte. Ja, Rivalitäten, die gab?s, räumt auch Gochsheims Bürgermeisterin Helga Fleischer ein. Aber das seien meist eher wechselseitige Streiche gewesen, die man sich gespielt habe: „Die Planpaare haben sich halt geneckt“, sagt Helga Fleischer, „bösartig war das nie!“

Dennoch war es eine große Sache, als der 1996 ins Amt gekommene Emil Heinemann in seinen frühen Amtsjahren Lust verspürte, am Tag der Sennfelder „Kirm“ einmal einen Besuch auf der Gochsheimer „Kärm“ abzustatten. Auf der Straße hatte er damals noch Schweinfurts Polizeidirektor Jürgen Karl getroffen – einen Sennfelder Bürger – der spontan mitkam.

Dem Gochsheimer Bürgermeister Walter Korn sei beim Eintreffen der Gäste der eben eingeschenkte Schoppen übergelaufen, erzählt Emil Heinemann. Und Tage später habe man in beiden Dörfern gewitzelt: „aber zum Schutz hat er sich einen Gendarmen mitgebracht!“

1999 das erste Grenzsteinfest

1999 jedenfalls wurde zur Besiegelung der nie richtig abgekühlten und auf jeden Fall neu entfachten Freundschaft erstmals ein Grenzsteinfest gefeiert und inzwischen ist es guter Brauch, dass die Gochsheimer Planpaare (und nicht nur die) am Kirchweih-Montag in Sennfeld auftauchen und mitfeiern – und die Sennfelder am Nachkirchweih-Sonntag in Gochsheim.

Was mittelbar wohl auch dazu führt, dass eine ebenfalls alte aber weniger bekannte Tradition zwischen beiden Dörfern eine Fortsetzung findet. „Es is immer scho viel rüber und nüber geheiert worn“, so Helga Fleischer. Und das soll auch so bleiben.

Die Freundschaft der Nachbargemeinden – sagt Schweinfurts Landrat Florian Töpper – „ist nichts Aufgesetztes sondern eine ganz besondere Tradition“. Er war oft dabei, bei der Sennfelder Kirchweih und jetzt als Landrat „alternierend“ – wie er sagt – mal da, mal dort. „Die Kirchweihen besuche ich gerne, auch wenn ich selbst keine Tracht trage."

Plantänze in der Residenz

Je fünf Planpaare legten am Donnerstagabend im schmucken Kaisersaal der Münchner Residenz sehenswerte Dreher, Hüpfer und Walzer auf die Bühne. Sie waren die ersten von zwölf Kulturgruppen beim Festakt zur Aufnahme in die Landesliste des Immateriellen Kulturerbes Bayern. Die beiden Bürgermeister waren dabei – fesch herausgeputzt mit ihren Amtsketten – und der Landrat im Anzug und mit Krawatte. So unterschiedlich, vielfältig eben, wie das fränkische und bayerische Brauchtum insgesamt.

Neben der Sennfelder und Gochsheimer Kirchweih wurden so illustre Traditionen wie der Traunsteiner Georgi-Ritt mit Schwerttanz oder der Zwiefache – eine besondere Liedgattung in die Landesliste aufgenommen. Die zwölf bayerischen Bewerbungen werden nun auf Bundesebene von Experten gewogen und (zumindest die Sennfelder und Gochsheimer) hoffentlich für gut befunden und können es am Ende durchaus einmal zum Welterbe-Status bringen. Zu diesem „Immateriellen Kulturerbe der Menschheit“ zählen etwa die türkische Kaffeekultur und die mongolische Kalligraphie.
 

Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle ist stolz darauf, dass bayerische und fränkische Traditionen besonders vielfältig sind und auch mit besonderer Hingabe gepflegt werden. Von den bislang 57 Bewerbungen für die Bundesliste kamen in den letzten zwei Jahren 20 aus Bayern. Eigentlich sollten es pro Jahr nur vier sein. Aber weil viele andere Bundesländer ihr Kontingent nicht ausschöpfen, ist Bayern überrepräsentiert. Wieder einmal spitze. . .

 
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