zurück
GEROLZHOFEN
Die Überraschung am Nützelbach
Klaus Vogt
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:51 Uhr

Das kleine Nützelbachtal südlich von Gerolzhofen ist vor langer Zeit ein offenbar begehrter Siedlungsplatz gewesen. Bei neuen archäologischen Untersuchungen an dem Richtung Arlesgarten leicht ansteigenden Hang sind Archäologen auf die Spuren von mindestens drei Siedlungen aus unterschiedlichen Zeitepochen gestoßen. Dabei gab es auch eine bemerkenswerte Überraschung: Eine der Siedlungen dürfte aus der Bronzezeit stammen.

Seit einigen Wochen sind bis zu elf Archäologen, Grabungstechniker und Hilfskräfte des „Büro für Ausgrabungen & Dokumentationen Dieter Heyse“ aus Schwarzach im Auftrag des Landesamts für Denkmalpflege auf einem 27 000 Quadratmeter großen Teilbereich des Areals zugange, wo ab nächstes Jahr das Neubaugebiet „Am Nützelbach II“ entstehen soll. In der Vergangenheit hatten sich durch Lesefunde an der Ackeroberfläche bereits Hinweise verdichtet, dass es hier einmal menschliche Siedlungen gegeben haben könnte. Aus diesem Grunde ordnete das Landesamt im Februar 2017 Sondierungsgrabungen auf der gesamten Fläche des geplanten Baugebiets an.

Grabung von Amts wegen

Bei diesen Sondierungen – schmale lang gezogene Gräben – zeigte sich, dass besonders im westlichen Bereich des insgesamt 42 000 Quadratmeter großen Baugebiets alte Relikte unter der Erdoberfläche ruhen, die es wert sind, wissenschaftlich untersucht zu werden. Das Landesamt ordnete daraufhin die Ausgrabungsaktion an. Die Kosten trägt die Stadt Gerolzhofen.

Mit Beginn der umfangreichen Untersuchungen vor einigen Wochen wurde der Mutterboden mit einem Bagger bis zum anstehenden Erdreich sauber abgezogen. Dabei zeigten sich bereits erste Verfärbungen im Boden, die von den Archäologen spontan als ehemalige Pfostenlöcher, Vorrats- und Abfallgruben interpretiert wurden. Grabungsleiter Ulrich Müller stellte jetzt, nachdem inzwischen die Untersuchungen im wahrsten Sinne des Wortes in die Tiefe gegangen sind, erste Ergebnisse vor.

Drei verschiedene Siedlungen

Im Bereich des Hangs habe es offenbar drei Besiedelungen gegeben, die aber nichts miteinander zu tun gehabt haben, erklärt Müller. Die Fundorte liegen ganz oben am Hang, dann ungefähr in der Mitte und schließlich unten in unmittelbarer Nähe zum Nützelbach und zum Schotterweg.

Oben am Hang: Hier hat man mehrere kreisrunde Bodenverfärbungen entdeckt mit einem Durchmesser von jeweils rund eineinhalb Meter. Laut Ulrich Müller dürfte es sich dabei um Vorratsgruben aus der Hallstattzeit etwa 750 vor Christi Geburt handeln. Diese Gruben, in denen die Menschen damals beispielsweise Getreide lagerten und die bis zu drei Meter tief sein können, sind allerdings noch nicht ergraben. Untersucht ist hingegen schon ein Bereich in unmittelbarer Nachbarschaft. „Wir haben vermutlich eine Lehmgrube gefunden“, sagt Müller. Die Bewohner dieser Hallstatt-Siedlung hätten hier Ton zum Herstellen ihrer Keramik abgebaut.

Unten am Hang: Es hat die Archäologen schon einigermaßen überrascht, dass direkt neben dem Nützelbach am heutigen Schotterweg und damit im Überschwemmungsbereich ebenfalls Reste einer mutmaßlichen Siedlung gefunden wurde. Eine genaue Untersuchung dieses Bereichs hat aber noch nicht stattgefunden und findet erst in den kommenden Wochen statt.

Interessant ist, dass auf der anderen Seite des Bachs, dort, wo das Neubaugebiet „Am Nützelbach I“ sich zusehens füllt, es ebenfalls eine frühzeitliche Siedlung gegeben hat. Archäologen hatten diese keltische Siedlung in die späte Latenezeit um 150 v. Chr. datiert. Anhand erster Funde glaubt Ulrich Müller allerdings, dass die jetzt entdeckte Siedlungsstelle an der Südseite des Bachs wohl etwas älter ist als die gegenüberliegende.

In der Mitte des Hangs: Eingehende Untersuchungen haben hier eine große Überraschung, um nicht zu sagen eine Sensation ans Tageslicht gebracht. Hier lebten um 1500 v. Chr. Menschen der Bronzezeit. „Das ist die Zeit der berühmten Himmelsscheibe von Nebra“, erklärt Müller. Die Fachleute haben inzwischen bis zu 100 Gruben entdeckt und ausgewertet, in denen früher die senkrechten Pfosten der Häuser steckten. „Es dürften ungefähr zehn bis 15 Häuser gewesen sein“, schätzt Ulrich Müller. In dem kleinen Dorf lebten zwischen 50 und 100 Menschen – Menschen, die heutzutage keinem Stamm oder keiner Volksgruppe mehr zuzuordnen sind.

Menschen zogen weiter

Das Dorf wird wohl nach rund zwei Generationen wieder aufgegeben worden sein, schätzt Grabungsleiter Müller. Dies sehen die Archäologen daran, dass mehrere Pfostenlöcher mit Brandschutt verfüllt sind. „Die Menschen sind damals weitergezogen und haben die großen Pfosten ihrer Häuser aus der Erde gezogen und mitgenommen, anschließend die Löcher mit Schutt eingeebnet.“ Doch warum sind die Menschen weitergezogen? „Möglicherweise waren die von ihnen angelegten Äcker ausgelaugt“, kann sich Müller vorstellen.

Bei ihren Grabungen im Bereich der Bronzezeit-Siedlung haben die Archäologen auch Metallfragmente aus der fraglichen Zeit gefunden: ein Stück einer Klinge und eine dickere Nadel. Und natürlich auch Keramikreste. Dabei zeigt der Henkel eines Gefäßes die typische Formensprache der Bronzezeit. Eine Tonscherbe, der Rest eines bauchigen Gefäßes, zeigt außen eine geriffelte Verzierung. „Dieses Muster einer Verzierung aus der Bronzezeit ist in der Fachliteratur bislang noch nicht beschrieben worden“, erklärt Müller. Alleine diese Scherbe sei also schon etwas Einmaliges.

Aufgrund der Flut von Befunden und angesichts der Tatsache, dass man es mit gleich drei Siedlungen zu tun hat, wird sich die Dauer der Ausgrabungskampagne laut Ulrich Müller in die Länge ziehen. „Wir haben, je nach Wetterbedingungen, vermutlich bis kommenden April gut zu tun.“

Weiteres Neubaugebiet „Am Nützelbach II“

Die Stadt Gerolzhofen plant ein neues Baugebiet südlich der Nützelbachseen. Der Stadtrat hat einen entsprechenden Aufstellungsbeschluss gefasst. Mit der Planung ist das Gerolzhöfer Architekturbüro Planungsschmiede Braun beauftragt worden.

Angedacht ist, eine Fläche von insgesamt 42 000 Quadratmetern je nach Bedarf Stück für Stück zu erschließen. Das Areal liegt in etwa zwischen der geschotterten Zufahrt zum Kräutergarten (bei der Zahnarztpraxis Tarenz) und der Zufahrt beim Sachverständigenbüro Engert (Seeweg), die dann als Betonweg hoch zum Arlesgarten führt.

Die Erschließung des neuen Gebietes sei dringend nötig, sagt Bürgermeister Thorsten Wozniak, da die restlichen zwei bis drei freien Grundstücke im jüngsten Neubaugebiet „Am Nützelbach I“ noch in diesem Jahr verkauft werden. Wenn die naturschutzrechtlichen Untersuchungen abgeschlossen seien, könnten schon im Sommer 2019 die Baumaschinen für die Erschließungsarbeiten anrollen. (kv)

Die Scherbe eines Tongefäßes aus der Bronzezeit: Die Art der Verzierung auf der Oberfläche ist bislang in der Literatur noch unbekannt.
Foto: Klaus Vogt | Die Scherbe eines Tongefäßes aus der Bronzezeit: Die Art der Verzierung auf der Oberfläche ist bislang in der Literatur noch unbekannt.
Grabungsleiter Ulrich Müller zeigt eine Scherbe, die im Bereich der oberen Siedlung gefunden wurde und aus der Hallstatt-Zeit um etwa 750 vor Christi Geburt stammt.
Foto: Klaus Vogt | Grabungsleiter Ulrich Müller zeigt eine Scherbe, die im Bereich der oberen Siedlung gefunden wurde und aus der Hallstatt-Zeit um etwa 750 vor Christi Geburt stammt.
Das Büro für Ausgrabungen & Dokumentationen Dieter Heyse aus Schwarzach ist südlich der Nützelbachseen derzeit mit bis zu elf Mitarbeitern dabei, zahlreiche Bodenfunde im Bereich des künftigen Neubaugebiets wissenschaftlich zu erfassen.
Foto: Klaus Vogt | Das Büro für Ausgrabungen & Dokumentationen Dieter Heyse aus Schwarzach ist südlich der Nützelbachseen derzeit mit bis zu elf Mitarbeitern dabei, zahlreiche Bodenfunde im Bereich des künftigen Neubaugebiets ...
Ausgrabungsleiter Ulrich Müller zeigt einen Bereich, der von den Archäologen bereits fertig abgearbeitet ist und demnächst wieder verfüllt wird. Möglicherweise wurde hier um 750 vor Christi Geburt Lehm abgebaut, um Ton für Gebrauchskeramik zu gewinnen.
Foto: Klaus Vogt | Ausgrabungsleiter Ulrich Müller zeigt einen Bereich, der von den Archäologen bereits fertig abgearbeitet ist und demnächst wieder verfüllt wird.
Alle Befunde werden von den Archäologen penibel dokumentiert.
Foto: Klaus Vogt | Alle Befunde werden von den Archäologen penibel dokumentiert.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Gerolzhofen
Klaus Vogt
Archäologen
Ausgrabungen
Bronzezeit (1999 - 800 v.Ch.)
Stadt Gerolzhofen
Thorsten Wozniak
Ulrich Müller
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top