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Handthal
Die starken Bilder des Professor Braungart
Nehmen, benutzen, wegwerfen - so kann das nicht weitergehen.  Das 5. Nachhaltigkeitssymposium Mainfranken beschäftigte sich mit Möglichkeiten gegenzusteuern.
Beim Nachhaltigkeitssymposium in Handthal beschäftigten sich die Teilnehmer mit Möglichkeiten, beim Müll von der einer linearen zu einer Kreislaufwirtschaft zu kommen, um dadurch Rohstoffe auf hoher Qualität zu erhalten und wiederzuverwenden.
Foto: Tatan Syuflana/dpa | Beim Nachhaltigkeitssymposium in Handthal beschäftigten sich die Teilnehmer mit Möglichkeiten, beim Müll von der einer linearen zu einer Kreislaufwirtschaft zu kommen, um dadurch Rohstoffe auf hoher Qualität zu ...
Norbert Finster
Norbert Finster
 |  aktualisiert: 03.12.2019 11:38 Uhr

über 100 Teilnehmer aus Wirtschaft, Forschung und Politik kamen im Steigerwald-Zentrum Handthal zusammen, um sich beim 5. Nachhaltigkeitssymposium Mainfranken über das Cradle-to -Cradle-Konzept ("von der Wiege zur Wiege" oder freier übersetzt "vom Ursprung zum Ursprung") und andere aktuelle Themen der Kreislaufwirtschaft zu informieren.

Schöpfer des Cradle-Konzepts waren Ende der 1990er-Jahre der Chemiker Professor Michael Braungart  und der US-amerikanische Architekt William McDonough. Braungart war beim Symposium in Handthal und hielt einen recht unorthodoxen Vortrag, in dem er Begriffe wie Umweltschutz oder Klimawandel kritisierte. Was andere Umweltschutz nennen, bedeutet für Braungart lediglich "ein bisschen weniger Schweinereien zu begehen oder sein Kind nur fünfmal statt vorher zehnmal zu schlagen." Der Mensch habe niemals in Kreisläufen gedacht, sondern nach dem Motto "nehmen, nutzen, wegwerfen" gehandelt, also einer linearen Durchlaufwirtschaft gefrönt.

Das Falsche perfekt gemacht

Die momentan herrschende Weltuntergangsdiskussion gelte es in Innovation umzusetzen. Produkte seien beim zirkulären Wirtschaften so zu gestalten, dass nicht nur deren erste Bestimmung erfüllt wird, sondern bereits bei der Entwicklung die Möglichkeiten der weiteren Verwendung der Rohstoffe miteinbezogen werden. Das verbirgt sich im Wesentlichen hinter dem Cradle to Cradle-Prinzip, über dessen Potenziale Michael Braungart eindrucksvoll berichtete. „Was wir aktuell betreiben, ist ein Ökologismus, der der Ökologie rein gar nichts nutzt. Am Beispiel der Mülltrennung sehen wir, dass wir das Falsche perfekt machen: Die hat zwar Ehen gerettet, weil sie in der Küche nun für ausreichend Gesprächsstoff über richtiges Trennen sorgt, der Umwelt bringt sie aber nichts“, so Professor Braungart.

Der Professor bemühte das Bild der sinkenden Titanic: „Statt mit dem Teelöffel schippen wir das Wasser nun mit dem Esslöffel. Aber effektiver wäre es doch, das Leck zu dichten! Etwas weniger schlecht zu machen, bedeutet noch lange nicht, dass man es gut macht.“ Dass das Cradle-to-Cradle-Modell in der Praxis funktioniert, konnte Professor Braungart anhand zahlreicher Beispiele zeigen – von biologisch abbaubaren Lidl-Textilien über vollständig recycelbare Möbel bis hin zu Cradle-to-Cradle-zertifizierten Puma-Schuhen.

Hersteller müssten den Verbrauchern künftig sagen, was in ihren Produkten drin ist, nicht nur, was nicht drin ist. Der Sprecher nannte auch Beispiele, die grün aussehen, es aber nicht sind. So habe sich die Verpackungsmenge verdreifacht, seitdem es den Grünen Punkt gibt. Und Verbrennen dieser Müllmengen sei kein Recycling, sondern Downcycling. Anderes Beispiel: Von 41 Elementen in einem Mobiltelefon werden nur neun recycelt. 

Kompostierbares Papier 

Auch Papier müsse in Zukunft zu 100 Prozent recycelbar und kompostierbar sein, sonst werden viele Druckereien eingehen. Im Papier des Ikea-Katalogs seien immer noch 50 Schadstoffe enthalten (in Spitzenzeiten waren es 90). 

Menschliches Handeln muss sich wieder der Natur annähern, forderte Braungart, der an der Erasmus-Universität Rotterdam und der Leuphana-Universität in Lüneburg lehrt. In der Natur bleiben nämlich alle Ressourcen erhalten, im menschlichen Wirtschaften nicht. Und schließlich: Cradle to Cradle müsse ein Geschäftsmodell werden, kein Moralmodell.

Über erste Ansätze der Kreislaufwirtschaft berichtete Hans-Jürgen Schneider, Standortleiter Schweinfurt bei ZF Friedrichshafen, unter der Überschrift "Da geht noch was - das unterschätzte Potenzial von Abfällen". Der Schweinfurter Industriebetrieb ist der drittgrößte Stahlverarbeiter in Bayern. Bisher galt auch für den Stahl der Werdegang "Kaufen - produzieren - verkaufen - wegwerfen". Als bei ZF das Bewusstsein gereift war, zu viele natürliche Ressourcen zu verschwenden, "haben wir uns mit externer Hilfe den Spiegel vorgehalten und einen ganzheitlichen Prozess zur Optimierung des Abfallmanagements gestartet.“

Ein zentraler Erfolgsfaktor liege dabei in der organisatorischen Verknüpfung der vormals getrennten betrieblichen Rohstoffver- und -entsorgung als Voraussetzung für das notwendige Denken in geschlossenen Materialkreisläufen. „Im Rahmen des Projekts haben wir bei Verpackungen, flüssigen Sonderabfällen, Stanzen und Elektromotoren signifikante Einsparungen erreicht und weitere Potenziale identifiziert, so dass ein Rollout auf andere ZF-Standorte vereinbart wurde“, so Hans-Jürgen Schneider. Der Testlauf für das Kreislaufprojekt startete in Schweinfurt im Jahr 2016 und wurde 2018 abgeschlossen.

Wie Forschungseinrichtungen, Abfallwirtschaft und Netzwerkakteure Impulsgeber für mehr zirkuläre Wirtschaft sein können, wurde in der abschließenden Talkrunde diskutiert, die Eberhard Schellenberger vom Bayerischen Rundfunk moderierte. Als Geschäftsführer des Zweckverbands Abfallwirtschaft Raum Würzburg wies Alexander Kutscher auf die Bedeutung der thermischen Abfallbehandlung hin: „Aus den im Müllheizkraftwerk Würzburg jährlich anfallenden 50 000 Tonnen Verbrennungsasche holen wir 3500 Tonnen reine Metalle wie Eisen, Aluminium oder Kupfer. Großes Potenzial liegt darüber hinaus in der Nutzung von ausgestoßenem Kohlendioxid zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe.“

Mengen, Qualität und Verfügbarkeit

Dr. Hermann Achenbach vom SKZ beschäftigt sich mit einem hochaktuellen Thema: dem Kunststoffrecycling. „Hier arbeiten wir gemeinsam mit Partnern nicht nur an der Qualitätssicherung von Kunststoffrezyklaten, sondern auch an einer digitalen Anwendung, um einen stabilen Rezyklatmarkt mit zuverlässigen Informationen über Mengen-, Qualitätsdaten und Verfügbarkeitszeitpunkten aufzubauen.“

In eben jener Verknüpfung von Künstlicher Intelligenz mit Umwelttechnologien sieht Alfred Mayr, Geschäftsführer des Umweltcluster Bayerns enormes Potenzial für neue Geschäftsmodelle. „Da zukunftsfähige Ansätze in der Digitalisierung häufig von jungen und sehr kleinen Unternehmen entwickelt werden, ist die Vernetzung etablierter Unternehmen mit innovativen Start-ups im regionalen Kontext von großer Bedeutung.“

Schürfstätte Großstadt

Über die Kompetenzen des Fraunhofer-Einrichtung für Wertstoffkreisläufe und Ressourcenstrategie (IWKS) im Bereich Urban Mining (hier wird eine dicht besiedelte Großstadt als Schürfstätte für Rohstoffe betrachtet) berichtete Dr. Sven Giegrich am Beispiel eines Smartphones. „Um unser Hauptziel – die Gewinnung sortenreiner Materialien – zu erreichen, wenden wir innovative Trenntechnologien an. In diesem Fall die elektrohydraulische Zerkleinerung, bei der wir über Schockwellen Materialgrenzflächen gezielt schwächen und dadurch eine materialspezifische Trennung erreichen.“

Eingangs hatte Landrat Florian Töpper auch in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Trägervereins Steigerwaldzentrum erläutert, dass 20 Prozent der Menschheit 80 Prozent der Ressourcen verbrauchen. "Wenn alle so handeln würden, bräuchten wir fünf Erden." Auch Töpper ist der Ansicht, dass der zirkulären Wirtschaft die Zukunft gehöre.

Profesor Michael Braungart denkt schon einen großen Schritt über den konventionellen Nachhaltigkeitsbegriff hinaus.
Foto: Norbert Finster | Profesor Michael Braungart denkt schon einen großen Schritt über den konventionellen Nachhaltigkeitsbegriff hinaus.
 
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