Kennen Sie Margo Lion? Oder Fritz Löhner-Beda? Wissen Sie, wer Fritz Grünbaum oder Kurt Gerron war? Die Namen dieser Künstler sind meist unbekannt, doch ihre Werke kennen auch heute noch viele. Lieder wie "Dein ist mein ganzes Herz", "Ich hab' mein Herz in Heidelberg verloren" oder "Was machst Du mit dem Knie, lieber Hans?" waren in den Goldenen Zwanzigern regelrechte Kassenschlager. Viele dieser Melodien sind insbesondere der älteren Generation bis heute wohlbekannt. Es waren gerade diese jüdischen Künstler, die in Deutschland und Österreich federführend daran beteiligt waren, das Theater, das Kabarett und die leichte Musik zur Blüte zu führen. Das Publikum liebte und verehrte viele Komponisten und Sänger für ihren besonderen Sinn für Humor, bestaunte ihre originelle Art und bewunderte ihr meisterhaftes Können.
Während ihre musikalischen Werke auch die Jahre nach dem Kriegsende überdauert haben, scheinen die Spuren ihrer Schöpfer allmählich dann doch zu verwehen. Aus Anlass des Internationalen Tags des Gedenkens an die Opfer des Holocaust gab das Duo "Café Sehnsucht", Silvia Kirchhof (Gesang) und Achim Hofmann (Klavier), am Wochenende im Theaterhaus Gerolzhofen zwei ausverkaufte Konzerte. Das Motto der Abende: "Geliebt - gelacht - gelitten. Eine Hommage an jüdische Künstler gegen das Vergessen."
Ende des Kulturlebens
Die Machtergreifung Hitlers 1933 markierte das beginnende Ende dieser Hochkultur im Deutschland der Weimarer Republik - eine Ära, in der die deutsche Kulturlandschaft einen weltweit herausragenden Ruf genoss und die maßgeblich geprägt wurde von jüdischen Künstlern. Mit der Reichspogromnacht 1938 wurde der Niedergang endgültig besiegelt. Jüdische Komponisten, Sänger und Librettisten verloren im Zuge der Arisierung ihre Stellen. Aus den dicken Programmkatalogen der Schallplattenfirmen wurde quasi über Nacht nur noch dünne Heftchen.
Für die betroffenen Künstler bedeutete dies den Entzug ihrer Lebensgrundlage. Die "Entjudung" führte zum beruflichen Ruin. Wer nicht emigrierte, beging Selbstmord oder starb nach der Verhaftung in einer der Tötungsfabriken in den Konzentrationslagern. Viele Künstler wanderten in die USA aus und machten dort Karriere. "Die Optimisten landen in Auschwitz, die Pessimisten in Beverly Hills", lautete ein geflügeltes Wort jüdischer Künstler.
Wider dem Vergessen
Nachdenkliches, Besinnliches und Humoristisches: In den beiden Konzertabenden wider dem Vergessen gelang es dem Duo "Café Sehnsucht", in ihrem musikalischen Zusammenschnitt aus Liedern, Gedichten und biografischen Informationen die Künstler und ihr damaliges Schicksal in Erinnerung zu rufen. Schon das erste Lied im Programm, "An allem sind die Juden schuld" von Friedrich Hollaender, hinterließ bei den Besuchern einen zweispältigen Eindruck. Hollaender hatte kurz vor seinem Gang ins amerikanische Exil diesen Text auf die bekannte "Habanera"-Melodie aus Bizets Oper "Carmen" getextet.
Sein politisch-satirisches Couplet führt den völlig absurden Antisemitismus vor Augen: "Ob das Telefon besetzt ist, ob die Badewanne leckt, ob dein Einkommen falsch geschätzt ist, ob die Wurst nach Seife schmeckt, ob am Sonntag nicht gebacken, ob der Prinz of Wales schwul, ob bei Nacht die Möbel knacken, ob dein Hund 'n harten Stuhl: An allem sind die Juden schuld." Man kann natürlich schmunzeln über so einen Text, möchte fast loslachen. Doch dann bleibt einem, unter dem Eindruck der geschichtlichen Nachbetrachtung, das Lachen im Halse stecken, eingedenk der Tatsache, dass diese Zeilen Hollaenders wenige Jahre später bittere Wahrheit wurden.
Franz Lehár und sein Texter
Weiter ging es im Programm mit dem Filmkomponisten und Hollaender-Freund Mischa Spoliansky, der nach seinem Hit „Heute Nacht oder nie“ der Verfolgung im Londoner Exil entging. Margo Lion wurde als Diseuse für den weiblichen Typus des "Vamp" stilbildend, und verließ 1932 nach dem verzweifelten Selbstmord ihres Mannes, des Kabarettisten und Autoren Marcellus Schiffer, Berlin in Richtung Paris. Und tragisch ist es, wenn Silvia Kirchhof und Achim Hofmann erzählen, dass Komponist Franz Lehár 1940 in Anwesenheit Hitlers in Wien seinen 70. Geburtstag mit einer Aufführung seines „Das Land des Lächelns“ feierte, der Texter dieser Operette, Fritz Löhner-Beda, da aber schon zwei Jahre lang im Konzentrationslager Buchenwald einsaß und später als „arbeitsunfähig“ in Auschwitz totgeschlagen wurde. Die Texte für „Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren“ und „Was machst Du mit dem Knie, lieber Hans?“ stammen aus seiner Feder.
All dem Schrecken und seiner Ernsthaftigkeit zum Trotz hatte auch das Humoristische dieser jüdischen Künstler einen festen Platz im Programm von "Café Sehnsucht". Und das war gut so. Denn damit hat der geistreiche lebensbejahende Esprit dann doch die Oberhand gewonnen gegen all den dumpfen Hass und die Menschenfeindlichkeit.