Eigentlich wollte die Schauspielerin Jennifer Lawrence alias Katniss Everdeen den Song vom Henkersbaum gar nicht singen; Bei den Dreharbeiten zum Film „Tribute von Panem – Mockingjay“ ließ sie sich dann doch überreden – unter der Bedingung, dass die Szene später mit der neuseeländischen Sängerin Lorde nachsynchronisiert wird. Doch Lawrence‘ Gesangsleistung überzeugte so sehr, dass der Filmkomponist James Newton Howard kurzerhand eine Single daraus machte. Das Lied wurde zu einem Welthit, der sich über eine Million Mal verkaufte.
Jetzt tourt Howard mit seinem Programm durch ganz Europa – allerdings ohne Jennifer Lawrence. Daher suchte der Filmkomponist für jede Stadt eine Sängerin, die mit ihm auf der Bühne den berühmten Song aus „Tribute von Panem“ singt. Für sein Konzert im Münchner Geiselgasteig hat sich Howard für die Schweinfurterin Kenia Pawlik entschieden. Die 19-Jährige hat sich gegen alle anderen Bewerberinnen durchgesetzt und wird am 22. November zusammen mit einem Chor und den Philharmonikern des Czech National Symphony Orchestra auf der Bühne stehen, um das „Lied vom Henkersbaum“ zu singen.
Auf dem Wettbewerb ist Kenia durch einen befreundeter Sänger aufmerksam geworden. „Er sagte zu mir: Kenia, deine Stimme würde total gut zum Song passen“. Daraufhin hat sie den Song direkt im Tonstudio eines Freundes aufgenommen – komplett A Capella. Ungewohnt für die junge Sängerin, die sonst eigentlich nur in Begleitung ihrer Band „Audiostreet“ singt. Das fertige Lied lädt sie mit einer persönlichen Botschaft an den Filmkomponisten auf Youtube hoch und erhält bereits wenige Tage später eine E-Mail – statt der erhofften Zusage, kommt allerdings die Aufforderung, eine zweite Version des Liedes aufzunehmen. „In der ersten Version habe ich wohl einen bestimmten Ton etwas individueller als im Original gesungen“, so Kenia. Heimlich vermutet sie aber, dass Howard testen wollte, ob sie den Song auch spontan fehlerfrei singen kann. Gleich am nächsten Tag nimmt sie im Wohnzimmer der Eltern eine zweite Version auf – und erhält schon am darauffolgenden Tag die Zusage.
Gemeinsamkeiten mit der Romanheldin
Schon im Aufnahmestudio nahm sich Kenia viel Zeit, um die meditative Stimmung und die besondere Atmosphäre des Liedes auch stimmlich aufzugreifen. Für sie hat „Hanging Tree“ etwas Geheimnisvolles und Mystisches. Seinen Ursprung hat das Lied im dritten Band der Romanreihe von Suzanne Collins, auf deren Büchern die Filme basieren: Im Staat Panem, in dem das Kapitol regiert und seine Macht durch sogenannte Hungerspiele, modernen Gladiatorenkämpfe, demonstriert, wird Katniss Everdeen, die selbst an den Hungerspielen teilnehmen musste, zur Anführerin eines Aufstandes. Das „Lied vom Henkersbaum“ kennt die Romanheldin von ihrem verstorbenen Vater; im Kampf gegen das Kapitol nimmt es für sie eine zentrale Rolle ein. Schon bald ist das Lied als Protesthymne wieder in aller Munde; die Verse werden zum Symbol des revolutionären Aufstands in Panem.
Ein wenig Rebellin steckt auch Kenia: Mit 12 Jahren bewirbt sie sich mit einem Cover von „Dear Mr. President“ der US-amerikanischen Rocksängerin Pink bei „KIKA beste Stimme 2010“ – einem Sendeformat, bei dem der Kinderkanal im Fernsehen den besten Sänger zwischen 12 und 16 Jahren sucht. Ihre Eltern informiert sie allerdings nicht über ihr Vorhaben; sie bewirbt sich heimlich und wird sogar von der Jury eingeladen. Am Ende der Staffel landet sie auf Platz vier. „Ich hab auf mich gehört und es einfach durchgezogen. Das war die beste Entscheidung“, so die Sängerin.
Doch nicht nur das Rebellische verbindet Kenia mit der Romanheldin, auch die Beziehung zu ihren Vätern ähneln sich: Im Roman nimmt der Vater Katniss mit auf die Jagd, um ihr das Bogenschießen zu zeigen. Auch Kenias Vater Holger, der selbst Sänger ist, unterstützt sie schon früh mit ihrem Gesang. Er förderte Kenias Talent von klein auf und nimmt mit ihr erste eigene CDs auf. „Er war überall dabei“, so die 19-Jährige. Gemeinsam singen sie bei Hochzeiten und Trauungen, auch in der Zeit beim KIKA unterstützt Vater Holger seine Tochter bei allem. Später bestärkt er Kenia auch darin, eigene Lieder zu schreiben.
Von der „Balladenqueen“ zur Soulsängerin
Kenia bringt sich schließlich selbst das Gitarre spielen bei und veröffentlicht bereits mit 15 Jahren ihre erste Single „Don?t ever look back“ im Internet. Wenige Zeit später belegt sie erst beim Regional-, dann beim Landes- und schließlich beim Bundeswettbewerb von „Jugend musiziert“ den ersten Platz in ihrer Altersklasse. Mit den Jahren findet sie immer mehr zu ihrer eigene Stimmfarbe, mit der sie sich – wie sie selbst sagt – heute sehr wohl fühlt und die sehr nach Soul klinge. „Ich bin jetzt nicht so Trällertante“, so die Sängerin. Früher sei sie eher eine „Balladenqueen“ gewesen; heute singe sie am liebsten Bigband-Stücke, probiere aber auch immer wieder Neues aus – zuletzt Lieder der Rockband ACDC: „Dafür habe ich aber einfach nicht die richtige Stimme. Lustig war es in den Bandproben aber allemal“, sagt Kenia.
Für die Vorbereitung auf ihren Auftritt in München hört sich Kenia das „Lied vom Henkersbaum“ gerade in Dauerschleife an. Den Songtext will sie sich jetzt auf ein Blatt Papier schreiben, um ihn sich visuell einzuprägen und beim Konzert notfalls wieder abrufen zu können. Auch wenn sie sich durch die vielen Auftritte mit ihrer Band bereits gewisse Routine und Sicherheit erarbeitet habe, sei sie dennoch sehr nervös: „Bei den Auftritten mit der Band gelte ich eigentlich sonst immer als die „Entspannung in Person“, so die 19-Jährige. Ihr Geheimrezept gegen die Aufregung: ein Schluck Sekt vor dem Auftritt. Nach München möchte Kenia außerdem ganz alleine fahren, um ihrem großen Auftritt ganz für sich alleine zu sein – ganz im Geiste von Katniss Everdeen.