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SCHWEINFURT
Die Seelenzustände der Menschen
Aus der neuen Ausstellung im Museum Otto Schäfer „Hell>>Heaven Oneway“ von Martin Stommel „Ein Erlöser“,  Aquatintaradierung, 2000-2006
Foto: Martin Stommel | Aus der neuen Ausstellung im Museum Otto Schäfer „Hell>>Heaven Oneway“ von Martin Stommel „Ein Erlöser“, Aquatintaradierung, 2000-2006
Bearbeitet von Kirsten Mittelsteiner
 |  aktualisiert: 07.10.2024 14:31 Uhr

Dante Alighieris (1265-1321) „Göttliche Komödie“ zählt zu den größten Klassikern der Weltliteratur. Sein episches Gedicht ist in drei Teile gegliedert: Inferno (Hölle), Purgatorio (Fegefeuer) und Paradiso (Paradies). Die Reise beginnt, als Dante in einem dunklen Wald irrt und vom römischen Dichter Virgil gerettet wird. Virgil führt Dante durch die neun Kreise der Hölle, wo sie Sünder treffen, die für ihre irdischen Taten bestraft werden. Danach steigen sie den Berg des Fegefeuers hinauf, wo die Seelen Buße tun, um sich auf den Himmel vorzubereiten.

Auf dem Gipfel des Fegefeuers trifft Dante auf Beatrice, seine verstorbene, geliebte Muse, die ihn weiter ins Paradies führt. Im Paradiso steigen Dante und Beatrice durch die neun Himmelssphären auf, wobei jede Sphäre verschiedene Tugenden und himmlische Wesen repräsentiert. Dante erfährt tiefgreifende theologische und philosophische Einsichten und erlangt schließlich eine Vision von Gott.

Der italienische Dichter beflügelte nicht nur die Literatur, sondern gleichsam die bildende Kunst. Keine geringeren als Sandro Botticelli, Gustave Doré oder Eugène Delacroix setzten die „Göttliche Komödie“ in Szene. Der in Bonn lebende Künstler Martin Stommel, dessen Ausstellung zu Dante Alighieri mit dem Titel „Hell>>Heaven Oneway“ von Sonntag, 20. Oktober bis 23. Februar 2025 im Museum Otto Schäfer zu sehen ist, fand Anfang der 2000er Jahre dann seinen ganz individuellen Zugang zu Dante.

Er selbst sagt: „Als ich die Commedia zum ersten Mal las, hatten sich die meisten der späteren Bilder schon in einem nebulösen Eindruck vorbereitet. Dieser Eindruck war kein Bild, er besaß vielleicht noch keine klare Komposition, mal keine Beleuchtung, mal keine genaue Perspektive. Es gab so etwas wie eine Erinnerung an eine Bewegung, eine Beziehung, eine Szenerie.“ Konkreter war es die Textstelle, in der Vergil seinem Begleiter Dante schützend die Augen vor der Gorgone zuhält, die alle, die ihren Blick kreuzen, in Stein verwandelt.

„Die Situation, in der Vergil mit eigenen Händen noch zusätzlich zu den seinen die Augen Dantes schützen will vor dem abgründigen Entsetzen der Gorgo, diese Situation blieb als starker Eindruck von fast mütterlich behütender Freundschaft vor meinem inneren Auge. Die Nähe der beiden Männer ließ mich selbst auch nah sein. Alles andere, die Vorstellung von den Erinnyen, dem Tor und den Teufeln musste einiges dahinter liegen in unruhigem, ja unbedeutendem Hintergrund. Aus der Geste lud sich der ganze Rest dramatisch auf. Das entscheidende Empfinden lag in dem außerordentlichen Schutz, und ja, im Schutz vor dem tiefsten Fall, dem versteinernden Verlust aller Zuversicht, allen Glaubens. Es gab nicht nur die Bewegung, den Ausdruck der Beziehung, sondern auch den Grund desselben, den konkreten Zustand mit seinem ganzen geistigen Gehalt. Ohne diesen gäbe es das Bild nicht, wieviel ich es versuchen würde.“

Immer wieder sind es die Darstellungen solcher „Seelenzustände“ der Menschen, die Stommels Schaffen prägen. Deshalb wäre es bei seinen Dante-Bildern auch falsch, von Illustrationen zu sprechen. Vielmehr steht der Mensch im Mittelpunkt, seine Erfolge und Unzulänglichkeiten. In diesem Anspruch zeigt sich auch die Zeitlosigkeit von Stommels Herangehensweise an den alten Dichter. Wie Dante selbst als Lernender in der „Göttlichen Komödie“ auftritt, können die Betrachtenden noch heute von Stommels Seelenbildern lernen, ohne dass sich der Künstler über sein Publikum erhebt. Stommel stellt dabei selbst fest, Dante „postuliert die Freiheit der Werke und die Begrenztheit ihrer Schöpfer.“

Als Medium für seine Bilder wählte Stommel die klassische Radierung, die in ihren unterschiedlichen technischen Möglichkeiten seinem Dante-Kosmos Form verleiht. Herrschen etwa im Inferno häufig starke, zeichnerische Linien vor, verlieren sich diese teils in der Unschärfe des Himmels durch die Flächen erlaubende Technik des Mezzotintos. Insgesamt 71 Radierungen entstanden so zur „Göttlichen Komödie“.

„Die Kombination von Literatur, Bildkunst und klassischen Drucktechniken, ohne aktuelle Lebensbezüge zu verlieren, ist wie gemacht für das Museum Otto Schäfer“, sagt Museumsleiter Jan Soldin. „Martin Stommel verbindet damit alles, wofür wir als Haus der Grafik und Buchkunst stehen. Der Künstler bietet uns einen tiefen Einblick in die Literatur und knüpft dabei stets an die Menschen an: Eine Ausstellung, wie das sprichwörtliche 'offene Buch'.“ Die Grafik-Schau ergänzen zudem drei großformatige Gemälde Stommels, von denen eines noch nie öffentlich zu sehen war und die das aktuellere Schaffen des Rheinländers repräsentieren.

Über den Künstler Martin Stommel

Martin Stommel wurde 1969 geboren und erhielt von 1993 bis 2001 durch den russischen Maler Boris Birger seine erste künstlerische Ausbildung. Bei Birger lernte Stommel die Darstellung des Menschen, speziell auch die Portraitmalerei, das Arbeiten nach der Natur und die Landschaftsmalerei. Im Atelier des Lehrers begegnete er in diesen Jahren Künstlern und Schriftstellern, vor allem auch Vertretern der russischen Dissidentenszene.

Von 1994-1997 studierte Stommel außerdem zunächst an der staatlichen Kunstakademie in München bei Bernhard Weißhaar. 1998 wechselte er für ein zweijähriges Gaststudium an die HdK Berlin zu Klaus Fußmann.

Im Jahr 2000 besuchte Stommel in London den Kunsttheoretiker Sir Ernst Gombrich, dessen Schriften starken Einfluss auf die Ansichten des Malers hatten und der ihn in seinen Plänen und seiner Arbeit bestärkte. Es schloss sich für die kurze letzte Lebensdauer Gombrichs ein Briefwechsel an.

In den Jahren 2001 bis etwa 2007 knüpfte Stommel Kontakte in die Zirkuswelt, malte Bilder von Zirkusartisten und Szenen in der Manege. Portraits malte er besonders von Clowns, beispielsweise von Oleg Popov, Francesco Caroli, Fumagalli, David Larible und Gensi Mestres und arbeitete zum Teil auch für Ausstellungen mit Bernhard Pauls Circus Roncalli zusammen.

Im Jahr 2004 wurde Stommel von Prince Rainier III zur Ausstellung seiner Zirkusbilder in Monaco eingeladen. Als der Wiener Surrealist Ernst Fuchs diese Ausstellung in Monaco besuchte, ergab sich daraus ein anhaltender Kontakt und Austausch. Ebenfalls in dieser Zeit entstand eine enge Bindung zur Sammlerin und Galeristin Charlotte Zander. Sie hatte 1967 zu den Mitbegründenden der ArtCologne gehört und wurde mit ihren Erfahrungen zu einer wichtigen Ratgeberin. Zander zeigte Stommels Arbeiten 2003 im Schloss Bönnigheim.

In der ersten Hälfte der 2000er Jahre prägte sich Stommels thematische und stilistische Orientierung auch durch die langjährige Arbeit an Illustrationen zu Dante aus. Er befasste sich mit barocken und manieristischen Sujets und entwickelte eine dynamische Alla-Prima-Malweise. Die Darstellung des Menschen in mythologischen Chiffren wurde in der Folge ein Hauptinhalt seiner Arbeit.

Das Begleitprogramm in Auszügen

Sonntag, 20. Oktober, 19 Uhr, Ausstellungseröffnung, Einführung mit Jan Soldin, Museumsleiter. Der Künstler ist anwesend.

Montag, 28., Dienstag, 29. Oktober, je 14-16 Uhr: Herbstferien: Fantastische Halloween-Masken - mit der Kunstpädagogin Ronni Zettner werden Gruselmasken gestaltet.

23. Februar, 2025, 18 Uhr: „Der Mann, der in der Hölle war“, Lesung zu Dantes „Göttlicher Komödie“, mit Katrin Hesse und Hans Driesel. Ein Abend der Worte und Symbole, der Geschichte und Geschichten.

Das vollständige Programm der Kulturvilla Museum Otto Schäfer gibt es unter www.museumottoschaefer.de.

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