Es lebt der Mensch nicht nur vom Brot allein. Das gilt auch für die Jungen, nach Bildung und Weisheit strebenden, die nicht nur geistig hungrig sind. Weil aber vor allem bei jungen Menschen der Geldbeutel eher dazu neigt von Schwindsucht befallen zu sein, muss günstig und im besten Fall auch noch gut sein, was dem Brot kongenial zur Seite steht, um für die nötigen Grundlagen zu sorgen. Im Fall einer Gruppe von Schweinfurtern, Ex-Schweinfurtern und solchen, die der Stadt zwar längst den Rücken gekehrt, sie aber nie vergessen haben, war es die Currywurst, die die in schöner Regelmäßigkeit das harte Brot des Schüler-, Studenten- oder Azubi-Daseins mit Soße und Würze versehen hat.
Currywurst-Essen, dafür gab es vor 35 und mehr Jahren eine definitive Adresse, den "Antlitz-Imbiss" in der Langen Zehntstraße. Der heißt heute "Uehleins Imbiss", die Wurst schmeckt aber noch genauso wie vor Jahrzehnten, ist sich Wolfgang Reisky sicher. In Gedenken an unzählige hier verbrachte Mittagspausen und wahrscheinlich noch viel mehr in Erinnerung der gemeinsamen Jugend, lädt er seit knapp 20 Jahren einmal im Jahr zum "skandalfreien Currywurst-Treffen" an und in den Imbiss ein.
Warum die Currywurst in Zeiten schmaler Geldbeutel für junge Leute die erste Wahl war, ist schnell erklärt. "Ich glaube eine Mark, vielleicht 1,20 Mark haben wir damals bezahlt", erinnert sich Reisky, der seit 37 Jahren in Bamberg lebt, und die Umstehenden nicken zustimmend. Günstig war sie und dank reichlich Kalorien macht sie auch noch zuverlässig satt. Schülerherz was willst du mehr. Vor gut 70 Jahren erfunden, ist die Currywurst in aller Munde. Künstler, Kulturschaffende, junge Gewerkschafter, feste Größen im Schweinfurt der friedens- und anders bewegten Zeiten – damit ist nur recht unscharf umrissen, wer hier schon alles im Stehen und vor sich ein Pappschälchen mit Wellenrand, seinen Hunger gestillt und am Zustand der Welt gefeilt hat.
Die Currywurst als gemeinsamer Nenner
Dabei wurden Freundschaften geschlossen und Netzwerke geknüpft, wie man heute sagen würde. Leute wie Norbert Lenhard, der gerade erst als Schaeffler-AG-Betriebsratsvorsitzender in den Ruhestand verabschiedet wurde, oder Michael Meyer, der einst im Dienste der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner) junge Männer, die lieber Zivi sein, als zum "Bund" wollten, auf die "Gewissensprüfung" vorbereitete, gehören dazu.
Der Schweinfurter Jugendszene, bevorzugt der Alternativen, gehörten die jungen Leute einst an, die jetzt meist so an der Schwelle zum Rentnerdasein, mitunter schon mitten drin stehen. Junge Gewerkschafter, Zivis, regelmäßige Gäste des Kulturhauses "Schreinerei" und der einst sehr reichen alternativen Kneipenszene, die das Leben zwar in verschiedene Himmelsrichtungen, aber nie ganz auseinander gebracht hat, haben die Curry-Wurst einst als gemeinsamen Nenner entdeckt.
Die "Schreinerei" gibt es schon lange nicht mehr und auch sonst hat sich viel geändert, die Currywurst ist geblieben, als Grund sich einmal im Jahr zu treffen. Eigentlich nichts anderes, als ein gesellig-kulinarisches Treffen bei einer Schweinfurter Schlachtschüssel. "Doch für die hat damals das Geld gefehlt", schmunzelt Reisky. Nicht aus monetären, aber aus nostalgischen Gründen ist es bei der Currywurst geblieben. Auch wenn man sich heute mehr Zeit lassen kann als früher, als die Currywurst für manchen Schüler das kulinarische Bindeglied zwischen Vormittags- und Nachmittagsunterricht war und es mitunter schnell gehen musste, wenn es darum ging, die letzten Soßenreste mit dem Brötchen aufzutunken.
Der fränkische Wimpel auf dem Steh-Tisch vermittelt mit der Aufschrift "Die Freunde der Currywurst und des Spanferkels" fast schon Stammtisch-Feeling. Alte Geschichten glänzen neu, viele Sätze fangen – wie sich das gehört – mit "Weißt du noch..." an. Auffallend viele erinnern sich an einen gemeinsamen Klamauk-Kurzfilm mit dem Titel "Der Joint", in dem zwar nur normaler Tabak und eine "Selbstgedrehte" zum Einsatz kamen, der aber dennoch allen Beteiligten viel Spaß gemacht hat. 1982 war das, erinnert sich Helmut Korder, der damals die 16mm-Kamera bediente. Junge Schweinfurter Filmschaffende probierten in dem 8-Minuten-Schwarz-Weiß-Slapstick-Streifen vor allem viel Tricktechnik aus, um ihr Können zu erweitern. Tricktechnik, die hart erarbeitet war, wie sich Erich Deppert (Gochsheim) erinnert. Um den Eindruck des "Fliegens" zu erwecken, musste er unzählige gefilmte Luftsprünge machen, die dann Schnipsel für Schnipsel aneinandermontiert wurden. Und noch etwas macht diesen Film einzigartig: bis heute ist er weder auf YouTube noch sonst irgendwie online zu finden.
Erinnerungen an das Schweinfurt von einst
Die Zeiten von "Mainkaufhaus" und "als die Autos noch durch die Spitalstraße fuhren" werden aufgewärmt, während die erste Wurst langsam kalt wird. Macht nichts, es bleibt noch Zeit für eine zweite und die eine oder andere Geschichte aus dem Schweinfurt der 70er- und 80er-Jahre. Nächstes Jahr kommen sie wieder nach Schweinfurt, zur dann hoffentlich nicht nur skandalfreien, sondern auch coronafreien Currywurst.