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GEROLZHOFEN
Die Perspektive entscheidet
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Foto: Matthias Endriß
Matthias Endriß
 |  aktualisiert: 02.12.2016 03:52 Uhr

Eigentlich ist Reiner Apel ja Berliner. Aber schon mit einem halben Jahr verschlug es ihn nach Bayern, wo er in München aufwuchs, zur Schule ging, evangelische Theologie studierte und auch als Seelsorger wirkte. Nach einem Abstecher ins Allgäu kam er vor rund sechs Jahren nach Franken – zunächst nach Thüngen und Arnstein, im Juni 2015 schließlich nach Gerolzhofen. Ein Städtchen, dem Reformation und Gegenreformation nicht fremd sind, und das im kommenden Jahr ganz im Zeichen des 500. Jahrestags des Thesenanschlages Martin Luthers und des 400. Todestages des Würzburger Fürstbischofs Julius Echter steht. „Schaufenster“-Redakteur Matthias Endriß führte mit Pfarrer Reiner Apel ein Gespräch über das Lutherjahr, das Gerolzhöfer Theaterprojekt „Du musst dran glauben“, die Ökumene – und das bevorstehende Weihnachtsfest.

Frage: Gebürtig in Berlin, aufgewachsen in München, jetzt seit einigen Jahren hier in der Region: Wie viel Franke steckt eigentlich schon in Ihnen?

Reiner Apel (lacht): Es wächst. Ich muss mich da einfach noch einarbeiten. Mit der Geschichte habe ich mich schon beschäftigt. Aber es könnte natürlich noch mehr sein. Also wie viel Franke steckt in mir? Das deftige Essen jetzt bei Luthers Tischreden war jedenfalls schon ein guter Einstieg ins Fränkische. Der Musiker Hans Heiligenthal hat zum Beginn meiner Zeit hier in Franken ein Gedicht vorgetragen, da habe ich kein Wort verstanden. Da habe ich jemanden gefragt, ob er es mir übersetzt. Ich glaube, das würde jetzt besser gehen. Aber es gibt da ja so viele feine Unterschiede zwischen den fränkischen Dialekten. So tief bin ich da noch nicht eingestiegen.

Frage: Wie würden Sie ihn denn beschreiben, den Franken als solchen und den Gerolzhöfer im Besonderen?

Apel (schnauft tief durch): Das ist jetzt eine heikle Frage, da kann man ganz viel falsch machen. (lacht) Zunächst einmal freundlich, zugewandt. Dann aber auch von der Haltung her abwartend, so nach dem Motto: „Schau mer mal, was kommt.“

Frage: Der Name Julius Echter sagt Ihnen natürlich mittlerweile auch etwas.

Apel: Ja.

Frage: Er ist sicher einer der bekanntesten Fürstbischöfe Frankens. Er hat viele prägende Gebäude hinterlassen. Er war aber auch gleichermaßen knallharter Gegenreformator und Hexenverfolger. Wie stellt sich diese ambivalente Persönlichkeit Ihnen dar?

Apel: Er hat auf jeden Fall Spuren hinterlassen auch in der Kirchengeschichte, indem Menschen evangelischen Glaubens vertrieben wurden oder sich heftigst ihres Glaubens wehren mussten. Was ich über ihn weiß ist, dass man über ihn persönlich sehr wenig weiß. Über seine Motivation hat er gar nicht viel gesagt. Er hat von der Verwaltungsseite aus agiert, hat gemacht, was von ihm verlangt wurde. Also den katholischen Glauben wieder stärken, und das natürlich auf Kosten von Religions- und Gewissensfreiheit, die uns heute selbstverständlich sind. Das würde heute nie wieder jemand so machen. Was mich an der Gegenreformation immer wieder wundert ist, dass die Erinnerung daran häufig ausgelöscht ist. Dass man gar nicht mehr weiß, dass es hier am Ort einmal Evangelische gab, die schließlich gehen mussten. In Gerolzhofen, so wurde mir gesagt, ist das anders. Da wurde diese evangelische Phase der Stadt in Ansprachen und Theaterstücken schon immer mal thematisiert. Aber in meiner ehemaligen Gemeinde war es so, dass sich der katholische und der evangelische Ort immer noch sehr misstrauisch gegenüberstanden. Das sind sicher Spuren, an denen wir uns heute noch abarbeiten, wenn man auf die Person Echters zielt. Trotz der vielen Jahre, die vergangen sind.

Frage: Im Eingangsbereich der Erlöserkirche hängt ja auch die Grabplatte Jakob Pfeffers, der ja bekanntlich der erste evangelische Pfarrer Gerolzhofens gewesen sein soll. Die Meinungen gehen da auseinander.

Apel: Dafür gibt es wohl keine Belege. Ich hoffe das einmal hieb- und stichfest zu bekommen durch Professor Rainer Leng, der das jetzt alles noch einmal recherchiert hat. Wenn man dann einen gesicherten Bestand hat, kann man diese Grabplatte vielleicht auch beschriften mit dem, was wirklich ist. Denn diese Person Jakob Pfeffer als evangelischer Prediger hat es wohl nach Information von Prof. Leng so nicht gegeben. Man sucht halt immer einen Ursprung. Aber der Ursprung kann ja auch bei vielen Menschen sein, die einen Gedanken weitergetragen haben. Das muss ja nicht ein Einzelner gewesen sein.

Frage: Jetzt zu jemandem, der im kommenden Jahr – neben Julius Echter – auch eine große Rolle spielt: Martin Luther. Auch er wird ja heute durchaus kritisch gesehen wegen seiner Äußerungen über Juden und Frauen. Wie präsentiert sich diese Person Ihnen als evangelischer Theologe?

Apel: Er war ein ganz vielschichtiger Mensch. Ganz wichtig ist, dass er zunächst einmal ein Mensch mit Leidenschaften und Fehlern war. Die lutherische Lehre hat dann aus Sachen, die Luther vielleicht in einer bestimmten geschichtlichen Situation gesagt hat, sozusagen Sätze für die Ewigkeit machen wollen. Ich denke, man muss ihn dann auch immer aus seiner Geschichte verstehen. Er ist ein ganzes Stück weit noch ein Mensch des Mittelalters, der eben an Teufel und Hexen auch geglaubt hat. Und der dennoch einen ganz wichtigen Beitrag zum Verständnis des Glaubens geliefert hat: Dass der Mensch von Gott die Gnade und die Rechtfertigung bekommt, dass es durch den Glauben einen direkten Zugang gibt zum Heil.
Und dass die Kirche – darunter leiden wir Evangelischen auch ein bisschen – nicht die ganz große Bedeutung hat, sondern  ein Instrument ist, um diesen Glauben immer wieder zu stärken, zu fördern und weiter zu entwickeln. Das ist die große Entdeckung von Luther gewesen. Er wollte nicht nur die Kirche reformieren, sondern er hat gleichzeitig auf eine neue und radikale Weise den Zugang zu Gott über den Glauben propagiert.
Das war schon eine große theologische Entwicklung. Und die Schattenseiten? Über Luther und die Juden hatten wir ja vergangenes Jahr die Ausstellung. Dass wir diese kritischen Seiten auch beleuchten, hat nicht jedem gefallen. Aber es gehört auch zum Gesamtbild der Person. Diese Judenschriften werden ja auch gar nicht mehr gedruckt. Ich hatte da eine Ausgabe, die war schon 175 Jahre alt, da stand es noch drin. Im Gesamtwerk steht es zwar noch, aber es wird nicht mehr verbreitet. Und das auch mit gutem Recht.
Wenn man sich mit ihrer Vita beschäftigt, stößt man auf ein großes ökumenisches Engagement. Kürzlich habe ich ein Interview mit Kardinal Marx gelesen, der sinngemäß sagte: Eigentlich eint uns mehr, als uns trennt.

Frage: Sehen Sie das auch so?

Apel: Ganz bestimmt, ja. Seit dem zweiten vatikanischen Konzil ist da auch theologisch sehr viel gearbeitet worden. Der Punkt ist aber, dass die Kirchen zu dem, was erarbeitet wurde, auch ja sagen müssen. Aber das ist ein ganz mühsamer Prozess, und die Hindernisse sind viel größer als eigentlich erwartet. Das letzte Großereignis war 1999 die Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Und da war ich auch einer von denen, die gesagt haben: Selbst wenn die Erklärung mit manchen Einschränkungen versehen ist, ist es immer noch besser, als wenn man sich gar nicht einigt. Man muss einmal feststellen: In diesem und jenen Punkt sind wir bereits einig – und da einen Pflock einschlagen, hinter den man nicht mehr zurück kann.

 

 
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