Viele der langjährigen Kunden können und wollen es immer noch nicht so recht glauben, dass die St. Michaels-Apotheke im Schatten der katholischen Stadtpfarrkirche in der Marktstraße schließt. Nach 37 arbeitsreichen Jahren und unzähligen Notdiensten geht Irmgard Böhm in den wohlverdienten Ruhestand. Mit 70 Jahren möchte sie ihr Leben jetzt etwas ruhiger angehen lassen. Samstag ist letzter Öffnungstag – und die Michaels-Apotheke wird nach 67-jährigem Bestehen ein Stück Stadtgeschichte.
Die Anfänge in der Rügshöfer Straße
Irmgard Böhms 1994 verstorbener Vater Georg Schwaab hatte die Apotheke mit ihrer inzwischen 102-jährigen Mutter Anny am 3. Oktober 1951 in den im Erdgeschoss vom Maler Friedrich Lorenz Estenfelder angemieteten Räumen in der Rügshöfer Straße 163 eröffnet, der heutigen Hausnummer 23. Die Lehrerstochter aus dem Grabfeld und der ursprünglich aus dem schwäbischen Ries stammende Apotheker hatten sich in Schweinfurt kennengelernt, wo sie zu dieser Zeit beide arbeiteten. Nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft 1946 wurde ein Jahr später geheiratet.
Als eine Bekannte den Eheleuten berichtete, „in Gerolzhofen bräuchte es eine weitere Apotheke“, fuhr Georg Schwaab bis nach München, um die Genehmigung zu bekommen und sich damit selbstständig machen zu können, nachdem er zuvor in Apotheken in Bad Neustadt/Saale, Wiesentheid, Staffelstein und schließlich in Schweinfurt gearbeitet hatte. Die St. Michaels-Apotheke war 1951 erst die zweite Apotheke neben der Stadtapotheke in der damaligen Kreisstadt.
Friedhofskapelle als Namensgeber
Als Namensgeber für die eigene Apotheke diente der heilige Erzengel Michael und damit der Patron der unweit am östlichen Stadtausgang stehenden Friedhofskapelle St. Michael. Im Jahr 1956 zog die fünfköpfige Familie und mit ihr die Apotheke in die Marktstraße um, nachdem die Schwaabs das Anwesen Nummer 100 (heute Marktstraße 9) erworben und entsprechend umgebaut hatten.
Den Namen St. Michaels-Apotheke behielt man trotz des Umzugs ins Stadtzentrum bei, obwohl man nicht mehr in der Nähe der Friedhofskapelle, sondern nun in Nachbarschaft zum „Steigerwalddom“ residierte. Andererseits gilt der Erzengel neben verschiedenen anderen Heiligen als einer der Schutzpatrone der Pharmazeuten – und daran hatte sich auch am neuen Standort im Stadtzentrum ja nichts geändert.
Im Januar 1981 übernahm Irmgard Böhm, die älteste Tochter der Schwaabs, die Apotheke von ihrem Vater zunächst als Pächterin, 1984 schließlich als Eigentümerin. Noch im selben Jahr folgte ein erneuter Umbau, um die Apotheke zu modernisieren. Zu dieser Zeit dauerte der 24-Stunden-Notdienst eine Woche lang und häufig schloss sich eine komplette Woche an, in der die Apotheke nochmals jeweils bis 19.30 Uhr für Notfälle geöffnet blieb.
Es fand sich kein Nachfolger
Irmgard Böhm beteuert, dass sie ihre Apotheke nach 67-jähriger Geschäftstätigkeit nur allzu gerne in fähige Hände gegeben hätte, um die von ihrem Vater in Gerolzhofen begonnene und ihr fortgeführte Tradition aufrechtzuerhalten. „Leider ist mir dies aber mangels fehlenden Nachfolgers nicht möglich gewesen“, stellt sie zu ihrem Bedauern fest.
Die meisten Kunden sind aus allen Wolken gefallen, als sie von der Geschäftsaufgabe erfuhren. „Das können Sie doch nicht machen. Sie sind doch noch fit“, bekam Irmgard Böhm nicht nur einmal im Gespräch mit der Kundschaft zu hören, seitdem ihr Entschluss feststeht. Das spricht für das gute Verhältnis, das in den vielen Jahren zu den Kunden aufgebaut und mit ihnen gepflegt worden ist und bei dem neben der fachlichen Beratung auch das eine oder andere persönliche Wort nicht zu kurz gekommen ist. Nicht selten waren die Apothekerin und ihre Mitarbeiterinnen hinter der Theke auch als „Seelendoktor“ gefragt, wenn sie Arzneimittel und andere Dinge ausgaben.
Keine Langeweile im Ruhestand
Andere wiederum bringen durchaus Verständnis dafür auf, dass Irmgard Böhm nach der langen Zeit als Apothekerin nun in Rente gehen will. Langweilig dürfte ihr auch künftig nicht werden. So hat sie schon immer Gesundheitskurse der Volkshochschule belegt, von Qigong bis zum meditativen Tanz. Auch bei der Seniorenbegegnung ist sie mit von der Partie, wenn Tanz und Bewegung angesagt sind. Dazu kommt zweimal pro Woche Gerätetraining, um sich fit zu halten. Und jetzt kommt auf Irmgard Böhm im Unruhestand noch eine besonders „schöne Aufgabe“ zu, wie sie selbst sagt. Sie ist nämlich gerade Oma geworden.
Mit einer der Hauptgründe, weshalb sie länger weiter gemacht habe, als sie es ursprünglich vorhatte, sei ihr langjähriges wie treues Personal gewesen. Gerade bei Urlaubsvertretungen zum Beispiel sei sie froh gewesen, Mitarbeiterinnen zu haben, auf die sie sich immer verlassen konnte.
Langjährige Mitarbeiterinnen
Sabine Schättler, die seit 1993, also 25 Jahre in der Michaels-Apotheke arbeitete, hat bereits eine neue Stelle angetreten. Auch bei Elke Scheder steht der Wechsel bevor und Rita Streng geht wie ihre langjährige Chefin in Rente. Die beiden Letzteren hatten noch zu Zeiten von Irmgard Böhms Vater in der Apotheke angefangen.
Dem treuen Team gilt Irmgard Böhms besonderer Dank für die stets gute Zusammenarbeit in den vergangenen mehr als 25 Jahren. Ebenso ist es der Apothekerin ein besonderes Bedürfnis, sich nochmals herzlich bei ihren Kundinnen und Kunden für ihre jahrzehntelange Treue, ihre Verbundenheit und das von ihnen entgegengebrachte Vertrauen zu bedanken.
Das mulmige Gefühl beim Notdienst
Irmgard Böhm ist froh, dass ihr in der langen Zeit vor allem beim Notdienst nichts passiert ist. Sie betont: „In manchen Fällen bin ich schon mit gemischten Gefühlen von der Wohnung in die Apotheke hinuntergegangen, vor allem später, als wir keine Schäferhunde mehr hatten.“
Doch es ist ja alles gut gegangen. Und jetzt wartet endgültig der Ruhestand auf Irmgard Böhm, wenn sie am Samstag die St. Michaels-Apotheke für immer schließt.
Das Anwesen Marktstraße 9
Das 1651 gebaute Fachwerkhaus in der Marktstraße wird als Krämerei, Metzgerei und Heckenwirtschaft genutzt. 1731 baut der Bierbrauer und Büttner Georg Stephan das Anwesen zu einem Gasthof um. Der Hostienkelch im Türstock erinnert an die Hl. Barbara, Namenspatronin von Georg Stephans Ehefrau. 1789 kauft Stadtschreiber Franz Anton Molitor das Haus, ehe Bäckerfamilien einziehen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg eröffnet hier 1947 der Uhrmacher und Optiker Philipp Wolf sein Uhren- und Schmuckgeschäft. Außerdem zieht 1950 die Eisenhandlung Josef Hofmann ein. 1955 erwirbt der Apotheker Georg Schwaab das Anwesen, um nach entsprechenden Umbaumaßnahmen hierher im September 1956 seine fünf Jahre zuvor in der Rügshöfer Straße eröffnete Apotheke zu verlegen.
Besonderer Blickfang des Fachwerkhauses in der Marktstraße ist bis heute die im ersten Stock außen auf das Hauseck zur Straße hin aufgesetzte Sandsteinfigur der Heiligen Jungfrau Maria im auf dem Putz angedeuteten Strahlenkranz als Patrona Franconiae. (novo)