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SCHWEINFURT
Die Krankenhaus-Friseuse
Karin von den Hoff passt ihrer Freundin Cornelia Müller eine Perücke an. Die beiden haben sich kennengelernt, als Müller vor ein paar Jahren vor ihrer Chemotherapie in den Salon kam. Heute ist Müller gesund und hat wieder volles Haar, sie stand für das Foto lediglich Modell.
Foto: Anand Anders | Karin von den Hoff passt ihrer Freundin Cornelia Müller eine Perücke an. Die beiden haben sich kennengelernt, als Müller vor ein paar Jahren vor ihrer Chemotherapie in den Salon kam.
Nike Bodenbach
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:28 Uhr

„Ohne Tränen geht es eigentlich nie“, sagt Karin von den Hoff. Sie steht in einem winzigen Nebenräumchen ihres Friseursalons im Leopoldina-Krankenhaus, vor dem Spiegel liegen zwei Päckchen Taschentücher.

Hierhin zieht sie sich mit Krebspatientinnen zurück, wenn es an der Zeit ist, für die Chemotherapie eine Perücke zu bestellen. Und wenn dann der Tag gekommen ist, an dem die Haare plötzlich büschelweise ausfallen, rasiert die 60-Jährige hier auch die Köpfe der Kranken. Seit genau 25 Jahren hat Karin von den Hoff ihren Salon mit Perückenstudio im Erdgeschoss der Klinik. Sie frisiert Komapatienten, schneidet die Haare vor Kopf-OPs. „Ich habe alles gesehen, und damit meine ich alles.“

Im kleinen Perückenraum fragt von den Hoff beim ersten Beratungsgespräch ganz genau, welchen Krebs eine hat und wann die Chemo beginnt. So lange die Tür hier zu ist, darf niemand stören. „Ich kann fast auf den Tag genau sagen, wann die Haare ausgehen.“ Und das sagt sie den Frauen auch. Männer verzichten in der Regel auf ein Haarteil. „Ich rede mit den Leuten offen und sage klar, was auf sie zukommt.

“ Dass nicht nur die Haare auf dem Kopf ausfallen werden, sondern auch die Augenbrauen und Wimpern. Und dass sich auch Haut und Fingernägel verändern werden. Wenn dann die Haare fallen und der Anruf kommt, steht von den Hoff bereit.

Bei vielen Frauen, vor allem den etwas älteren, ist die 60-Jährige der einzige Mensch, der sie mit Glatze sieht. „Sie zeigen sich auch ihren Männern so nicht.“ Wenn das Verhältnis zu einem Frisör ohnehin ein besonderes ist, so sind diese Momente außergewöhnlich intim. Im Kühlschrank stehen immer ein paar Piccolo-Flaschen Sekt, um die Nerven zu beruhigen. Sie begleitet „ihre Patientinnen“ über die ganze Krankheit hinweg, immer wieder steht sie mit Rat zur Seite, ist Ansprechpartner für die äußeren Veränderungen des Körpers.

Über 100 Perücken hat von den Hoff immer hinter dem Spiegel im Räumchen verstaut. Die meisten Frauen nehmen eine Kurzhaarperücke, allein schon aus Kostengründen, weil die Krankenkassen nur einen bestimmten Betrag erstatten. Dabei hat nicht für alle Frauen Priorität, dass sie mit der Perücke aussehen wie immer und niemand etwas auffällt. Jüngere würden die traurige Gelegenheit auch nutzen, um mal eine neue Frisur auszuprobieren. Überhaupt hätte sich bei der Qualität der Perücken in den letzten 25 Jahren viel getan. „Früher waren das Badekappen.“

Karin von den Hoff wirkt wie ein positiver, handfester Mensch, der das Leben nimmt, wie es kommt. Die Friseurmeisterin steht seit 45 Jahren „am Stuhl“. Als sie vor einiger Zeit mal Zeugin eines Autounfalls mit Fahrerflucht war, sollte sie bei der Polizei den Mann beschreiben. Dunkelblond, links gescheitelt, Ohren frei – ihre Beschreibung war so exakt, dass der Polizist verwundert guckte. „Ich bin Friseuse...“, habe sie dann erklärt.

Der erste Salon, in dem sie gearbeitet hat, war ganz in der Nähe in der Segnitzstraße. Als der Laden nach 20 Jahren schloss, war sie für gerade mal zwei Wochen arbeitslos, dann kam die Gelegenheit am Leo quasi über Nacht. Die alte Chefin schloss am Freitag, am Montag machte der Salon mit Karin von den Hoff wieder auf. Von sich selbst spricht sie als Friseuse, nicht Frisörin, und findet daran nichts Abwertendes.

Aus ihrem ersten Salon hat sie viele Menschen mitgenommen, vor allem ihre Mitarbeiterin Monika Back. Seit 35 Jahren arbeiten die Frauen zusammen, am Leo wurde Back von den Hoffs Angestellte. „Bei uns muss nicht mehr viel gesprochen werden“, sagt die Chefin. Sie verständigen sich mit Blicken und kleinen Fingerzeigen. Jede weiß dann, was zu tun ist.

Auch die meisten Kunden im Salon kommen schon seit vielen Jahren, von den Hoff hat sie aus dem alten Laden mitgebracht. Sie schätzt, dass 85 Prozent der Kunden keine Leo-Patienten sind. „Wir haben alle Freud und alles Leid zusammen erlebt.“

Als sie 60 wurde, kamen so viele Blumen, dass Leute dachten, im Salon gäbe es auch Sträuße zu kaufen. Zum 25-Jahre-Jubiläum neulich hat sie sich deshalb etwas anderes ausgedacht: Sie stellte eine Spendenbox auf. 1170 Euro kamen so zusammen, viel mehr als erwartet. Das Geld spendete von den Hoff an die Beratungsstelle der Bayerischen Krebsgesellschaft am Leopoldina, zu der sie oft Patientinnen schickt, die große psychische Probleme mit ihrer Situation haben.

Sie selbst ist mit den teilweise tragischen Schicksalen und erschreckenden Bildern, die täglich auf sie einprasseln, stets gut klargekommen. „Klar, abends brauchst du schon mal zehn Minuten für dich.“ Wenn Frauen mit einem Rückfall kommen, trifft sie das schon. „Oder wenn eine in der Zeitung steht, bei der ich damit nicht gerechnet habe.“ Mit manchen Kundinnen entwickeln sich echte Freundschaften, so wie mit Cornelia Müller, die für das Foto Modell stand. Sie war selbst vor einigen Jahren hier, um sich für die anstehende Chemotherapie eine Perücke zu besorgen. Auch sie sagt: „Ich habe meine Glatze nur Karin gezeigt.“

 
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