Die Maria steht auf dem Trockenen. In der Nische an der Südwand der Stadtpfarrkirche ist weit und breit keine Wasser zu erkennen. Doch warum wurde ausgerechnet dort eine Brunnenfigur hingestellt? Ein genauer Blick auf diese Maria Immaculata, die Unbefleckte, lohnt sich allemal. Denn die Statue ist ein Denkmal in vielerlei Hinsicht.
Zum einen ist sie mit der frühen Gerolzhöfer Wasserversorgung eng verwoben. Und zum anderen ist das Schicksal der Maria Immaculata – die vor der Erbsünde bewahrte Gottesmutter – eng mit der Säkularisation verknüpft, also jener Zeit nach 1803, als kirchliche Institutionen aufgehoben und ihr Besitz verstaatlicht und dann verramscht wurde.
Von den ersten Anfängen der Besiedelung an versorgten sich die Gerolzhöfer mit Trinkwasser aus Brunnen. Viele Anwesen der Altstadt haben auch heute noch gemauerte Brunnenschächte bis hinunter ins Grundwasser in ihren Kellern. Doch auch auf den öffentlichen Plätzen gab es Brunnenschächte, die in alter Zeit als Zieh- und Pumpbrunnen Wasser förderten. Heutzutage sind die Schächte zumeist abgedeckt und mit Straßen überbaut.
Dass es zwei öffentliche Brunnen gab, an denen ständig das Wasser aus Röhren in ein Becken lief, ohne dass man am Schwengel pumpen musste, das gehörte damals zum Luxus, den sich nur eine Stadt wie Gerolzhofen leisten konnte. In der Tat ist die Konstruktion der frühen Fernwasser-Leitung vom Lindenbrunnen bis in die Innenstadt eine technische Meisterleistung gewesen. Der Lindenbrunnen liegt noch heute, gesäumt von mächtigen Bäumen, rechts von der Straße nach Dingolshausen, östlich der Kart-Bahn gleich neben der Abzweigung zum Mahlholz.
Von der dortigen Quelle führte schon seit dem 14. Jahrhundert eine Leitung im natürlichen Gefälle bis zum Röhrenbrunnen vor dem Eingang zur Spitalstraße (heute Gabelmannbrunnen). Auf 1700 Metern Länge waren längst durchbohrte Stämme von Fichte, Kiefer oder Tanne im Boden verlegt. Diese Holzröhren führten durch die ständige Vermorschung naturgemäß zu einem hohen Reparaturaufwand, so dass man sich 1736 entschloss, wenigstens innerhalb der Stadt vom Dingolshäuser Tor bis herab zum Brunnen die Wasserleitung in Bleirohr auszuführen. Von den gesundheitlichen Risiken mal abgesehen, war ein Bleirohr auch zehnmal teurer als eine Holzröhre. Erst 1868 wurde die komplette Leitung von der Quelle bis zum Brunnen dann in Tonröhren verlegt.
Die Brunnen waren leck
Zunächst hatte der Gabelmann-Brunnen nur einen Brunnenkasten aus dicken Holzbohlen. Erst seit 1728 erhielt er ein Becken aus Werksandstein, in der Mitte geschmückt mit dem Meeresgott Neptun. Ausführender Steinmetz war Meister Friedrich Gosokorski aus dem Bildhauerdorf Egenhausen (heute Gemeinde Werneck). Acht Jahre später beschloss die Stadt, unter anderem wegen Brandschutzgründen noch einen zweiten Röhrenbrunnen in der nördlichen Vorstadt zu bauen, den heutigen Floriansbrunnen. Dieser Brunnen wurde über eine verlängerte Leitung ebenfalls an den Lindenbrunnen angeschlossen.
Im Laufe der Zeit erwiesen sich die steinernen Brunnenkästen zunehmend als undicht. Das teure Verkitten der Fugen, das nahezu jedes Jahr in Auftrag gegeben werden musste, hatte nur kurzfristigen Erfolg. So war der Stadtrat gezwungen, entweder neue Brunnen zu bauen oder sich nach Gebrauchtware umzuschauen. Man entschied sich für eine Lösung nach dem Motto „Sowohl als auch“.
Die Stadt schloss im Jahr 1819 mit dem Steinhauer Bernhard Katzenberger – der wie Gosokorski ebenfalls aus Egenhausen kam – einen Vertrag zum Bau eines komplett neuen Röhrenbrunnens in der Centvorstadt. Die entsprechend der „Zeichnung“ von Katzenberger vorgefertigten Sandsteine für den „kleinen Röhrenbrunnen“, wie er damals genannt wurde, wurden mit Pferdegespannen Gerolzhöfer Landwirte aus Egenhausen geholt. Der einheimische Maurermeister Balthasar Rosentritt half Katzenberger dann vor Ort in der Rügshöfer Straße beim Aufbau des Brunnens. Katzenberger erhielt 251 Gulden, Rosentritt 58 Gulden.
Als Ersatz für den Neptun-Brunnen vor der Spitalstraße entschied der Stadtrat, den Gemeindebrunnen im Gut Dächheim bei Theilheim zu kaufen. Eine vorherige Besichtigung des Brunnens durch Bürgermeister Michael Teutsch und den städtischen Brunnenmeister, Schlosser Leyerer, war 1819 erfolgversprechend ausgefallen. 1820 kaufte die Stadt den kompletten Brunnen im Gut Dächheim für 110 Gulden.
Den Auftrag für den Ab- und Wiederaufbau des Brunnens erhielt erneut Bernhard Katzenberger. Zimmermann Michael Hofmann aus Gerolzhofen baute in Dächheim ein Gerüst auf, um die Brunnenanlage demontieren zu können. Martin Weisenberger pendelte mit seinen Pferdegespannen mehrmals zwischen Dächheim und der Steigerwaldstadt, bis alle Brunnenteile angeliefert und zwischengelagert waren.
Der alte Neptunbrunnen wurde 1821 abgerissen, die Steine wurden verkauft. Immerhin 50 Gulden erlöste die Stadt aus diesem Verkauf. Nachdem Zimmermann Hofmann wieder ein Gerüst aufgebaut hatte, konnte unter Führung von Katzenberger der Aufbau des Dächheimer Brunnens beginnen. Einige der alten Steine waren offenbar nicht mehr zu gebrauchen oder passten nicht, denn der Steinmetz aus Egenhausen musste frische Steine liefern. Zahlreiche Gerolzhöfer Handwerker übernahmen dabei Hilfsarbeiten, allen voran wieder Maurermeister Rosentritt. Aus den damaligen Rechnungen ist ersichtlich, dass Katzenberger die Summe von 279 Gulden erhielt, an Rosentritt gingen immerhin 185 Gulden. Anno 1822 waren die Arbeiten am so genannten „großen Röhrenbrunnen“ dann beendet. Der Name des Bürgermeisters Michael Teutsch wird am Brunnenbecken in die Außenwand gemeißelt – die Schrift ist noch heute zu lesen.
Neptun statt Maria
Die zentrale Brunnenfigur des Dächheimer Brunnens, eine Maria Immaculata, wurde zwar mit nach Gerolzhofen geliefert, allerdings fand sie nicht mehr ihren Platz auf dem Brunnenpodest. An ihre Stelle rückte wieder ein Neptun, umgangssprachlich der „Gabelmann“. Er stand bis 1952 auf dem Podest, ehe er stark verwittert ins Stadtmuseum kam. Bildhauer Lossau schlug 1959 nach dem alten Vorbild aus Muschelkalk einen neuen Gabelmann.
Doch wo war die Immaculata geblieben? Es gibt in den Akten des Stadtarchivs bislang nur einen einzigen kleinen Hinweis: In einem Inventarverzeichnis der Stadt aus dem Jahr 1827 ist eine „große steinerne Statue der S. Maria“ erwähnt, die im Bürgerhof hinter dem Spital (damals vergleichbar dem heutigen Bauhof der Stadt) steht. Es besteht kaum ein Zweifel, dass es sich hierbei um die Immaculata handelt.
Wann die Statue an die südliche Schauseite des Steigerwalddoms gelangte, ist (noch) unklar. Auf den ältesten Fotografien von der Pfarrkirche aus dem Jahr 1898 ist die Figur aber schon auf ihrem heutigen Standort zu erkennen.
Die ursprüngliche Heimat des Brunnens, das Gut Dächheim, gehörte früher zum 1069 gegründeten Augustiner-Chorherrenstift Heidenfeld. 1803 wurde das Männerkloster im Zuge der Säkularisation aufgelöst. Am 19. Mai 1803 feierten die 20 Chorherren ihren letzten Gottesdienst in der Stiftskirche. Der Historische Verein Heidenfeld hat erforscht, dass ein paar Wochen nach dem Auszug der Chorherren viele Gegenstände aus dem Kloster verkauft, versteigert oder zerstört wurden. Wertvolle Dokumente gelangten nach München oder nach Würzburg. Der Hochaltar der Stiftskirche – allerdings ohne das zentrale Altarbild – steht heute in der evangelischen Kirche St. Johannis oberhalb des Marktplatzes in Schweinfurt, das Altarbild selbst befindet sich inzwischen in München. Andere sakrale Gegenstände sind in den Pfarrkirchen von Heidenfeld, Hirschfeld und Wipfeld im Gebrauch, Ölbilder mit Weihnachtsdarstellungen finden sich in der Kirche von Gernach. Die Stiftskirche wurde eingerissen, die kostbare Einrichtung der Bibliothek aus den Händen des bekannten Kunstschreiners Johann Georg Neßtfell (Wiesentheid) fand einen Käufer in Amerika. Die wertvollen Bände und Bücher sind heute über die ganze Welt verstreut. Auch der Dächheimer Brunnen gehört auf diese lange Liste von Klosterbesitz, der nach 1803 in private oder kommunale Hände gelangte.
Und so steht die Figur der Unschuld bis zum heutigen Tag auf dem Marktplatz – gestrandet auf dem Trockenen. Die vier Delfine an den Ecken des Postaments, aus denen früher das kühle Nass sprudelte, haben seit fast 200 Jahren kein Wasser mehr gesehen. Die metallene Lilie in der rechten Hand, das Attribut für die Unbefleckte Empfängnis, ist verschwunden. Ihre rechte Hand – während der Nazi-Zeit von einem Steinmetz bei Reparaturarbeiten bewusst im Stile des „Deutschen Grußes“ falsch angesetzt – ist schon mehrfach abgebrochen gewesen, inzwischen aber wieder korrekt befestigt. Und um ihren Kopf glänzt ein Kranz von goldenen Sternen, zehn an der Zahl. Nur zehn. Ursprünglich waren es sicherlich mal zwölf gewesen, denn in der Offenbarung des Johannes ist von der Frau mit einem Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt die Rede. Aber schon in den 30er Jahren bestand der Kranz nur noch aus zehn Sternen, wie auf alten Fotografien zu sehen ist. Die anderen zwei hatte wohl der Rost geholt.