Zum Schluss seines Vortrags über Mentalität und Habitus der Unternehmerfamilie Sachs zeigt der Bamberger Geschichtsprofessor Andreas Dornheim in der Kunsthalle ein Bild: Willy Sachs inmitten hübscher Frauen. „Das ist kein schönes Abschiedsbild“, moniert gleich Wolfgang Weißenberger, der den Konsul noch aus seiner Zeit als Lehrling kennt. „Das war ein Chef, wie man ihn sich heute noch wünscht“, sagt er. Und eine Frau springt ihm bei, erzählt, wie es sich immer schnell herumgesprochen hat, wenn der Konsul in der Firma war.
Das Bild, das sich ein Historiker aus Dokumenten, Briefen, Erzählungen über jemanden macht, ist eben ein anderes, als das von Leuten, die die Person erlebt haben, sagt Dornheim. Ihm ist klar, dass er mit seiner These, die Familie sei wenig bürgerlich gewesen, erfolgreich, aber bildungsfern, den Zuhörern in der Kunsthalle einiges zumutet. Mag sein, dass Willy Sachs mit den Leuten reden konnte, sogar den Lehrling fragte, wie es ihm geht – nur war ihm offenbar die Jagd wichtiger als die Leitung seiner Firma.
Briefe an den Jagdaufseher gibt es; Briefe an die Firma, was in seiner Abwesenheit geschehen solle, nicht. Und für die politische Arbeiterbewegung hatte der Konsul gar nichts übrig. Bis zum Einstieg von Mannesmann ist die Firma wie ein großer Handwerksbetrieb geführt worden, sagt Dornauer, der für ZF die Firmengeschichte aufarbeitet.
Oben hängt die Sammlung Gunter Sachs, unten gibt Dornauer einen Überblick über die Familie, die einen rasanten Aufstieg hingelegt hat. Sie hatte Geld, Einfluss – war aber eher kleinbürgerlich. Und träumte davon, in den Adelsstand erhoben zu werden, so Dornauers These. Ernst Sachs habe darunter gelitten, nicht gebildet im bürgerlichen Sinn zu sein. Seine Frau Betty, geborene Höpflinger, kam aus einer einfachen, später zu Wohlstand gekommenen Familie. Bildung hatte auch sie wohl keine.
Deswegen gab es auch wenig, was Ernst und Betty in dieser Hinsicht an ihren Sohn Willy weitergeben konnten. Mühsam war seine Schulkarriere, es klappte nach langem Kampf dann doch noch mit einer Art Realschulabschluss für den Fabrikantensohn. Seltsamerweise war der Direktor der Schule hoch verschuldet bei Ernst Sachs – kurz, bevor der Junior die Prüfung schaffte, bekam der Direktor nochmal ein Darlehen.
Den alten Sachsern im Publikum gefällt das nicht so, den Willy Sachs, den sie schätzten und bewunderten, als nicht so helle dargestellt zu sehen. Dornauer hat auch Listen gefunden, mit denen nach der Scheidung von Willy und Elinor von Opel die Bibliothek aufgeteilt wurde. Ihr gehörten fast alle Bücher – ein Querschnitt durch die Weltliteratur, Reiseführer Wörterbücher. Ihm die Biografie von Henry Ford und einiges an Blut- und Boden-Literatur. Fotos zeigen den Reichtum der Familie. Auto, Chauffeur, Jagdpartien. Perserteppiche, schwere Möbel, alles historisierend und eigentlich längst out. Und mit einem Hauch Militärbegeisterung.
Die Kronleuchter im Rittersaal von Schloss Mainberg zeigen die Verbündeten des Deutschen Reichs im Ersten Weltkrieg. Der Soldat, der eine Handgranate in der Hand haltend einen Türsturz schmückte, ist nur auf Fotos erhalten. Das war späteren Bewohnern dann wohl doch zu viel.
Der Kauf von Schloss Mainberg ist für Dornauer Indiz für die Sehnsucht nach einem Adelstitel. Geld spielte keine Rolle beim Umbau. Der Architekt sprach von „einem lustigen Schaffen jenseits ökonomischer Zwänge“. Auch die Jagdleidenschaft, bei Willy fast eine Sucht, passt zum Adel. Wie die Pläne, das Vermögen nach dem Vorbild adliger Familien in einen Fideikomiss umzuwandeln, um zu garantieren, dass alles in der Familie bleibt. Selbst ein Wappen ließ man sich entwerfen. Aber die waren doch so volksnah, kommt es aus dem Publikum. Für Dornauer kein Widerspruch. Schließlich gehört diese Haltung ja noch heute zum Bild, das wir vom Adel haben – wie großzügige Spenden und karitative Aufgaben.
Was Dornauer fasziniert, ist, dass sich Gunter Sachs als einziger aus den Fesseln seiner kleinbürgerlichen Herkunft gelöst hat. Er war gebildet, weltoffen, das zeigt auch sein Kunstgeschmack. Nach der Scheidung war er bei seiner Mutter geblieben, Bruder Ernst Wilhelm beim Vater. Für Elinor von Opel war Bildung wichtig – und das „von“ brauchte sie wohl nicht, um ihren Platz zu finden.