Ein buntes Sprachengewirr durchdringt das Nebengebäude der Verwaltungsgemeinschaft. Das syrische Arabische und Kurdische dominieren, aber auch Englisch ist zu hören, ebenso wie natürlich Deutsch. Die am Montag in Gerolzhofen angekommenen Flüchtlinge nutzen die von der Stadt bereitgestellten Räume vom ersten Moment an. Und sind begeistert.
Im extra für die Kleinsten eingerichteten Kinderzimmer ist kaum mehr ein Plätzchen frei. Jungen und Mädchen sind mit Kuscheltieren und anderem Spielzeug beschäftigt, alles Sachen, die ihnen ihre Altersgenossen aus Gerolzhofen und Umgebung gespendet haben. Die Stimmung ist ausgelassen. „Diese Kinder kehren gerade in ihre Kindheit zurück“, sagt der Syrer Yussef in gutem Deutsch. Er ist sich sicher, dass die meisten von ihnen in den vergangenen Jahren nur Krieg und nichts als Krieg in ihrem Heimatland erlebt haben. Der Mann weiß, wovon er spricht. Er ist selbst aus Syrien geflohen, als Asylant bereits anerkannt und lebt in Gerolzhofen. Nun hilft er bei der Ankunft seiner Landsleute in der Stadt, wo er kann. Besonders als Dolmetscher ist er gefragt.
Im Raum gegenüber sitzen die Erwachsenen bei Kaffee, Tee und Kuchen. Die Biergarnituren dafür hat die Firma Getränke Marx zur Verfügung gestellt. Die meist jüngeren Menschen wirken nicht mehr so abgekämpft und verhärmt wie tags zuvor bei ihrer Ankunft. Sie unterhalten sich lebhaft, lächeln und winken freundlich. Keiner sagt nein, als der Reporter fragt, ob er ihre Kinder beim Spielen fotografieren darf.
„Das sind sehr, sehr liebe und nette Leute“, sagt Yussef. Er meint damit die vorwiegend weiblichen Helfer des Gerolzhöfer Asylkreises. Sie versuchen alles, den Flüchtlingen die ersten Tage in der neuen Umgebung so angenehm wie möglich zu gestalten. 40 Ehrenamtliche unter der Federführung von Silvia Kreis-Amarantidis und Sanne Seinstra sind nach Tagen der intensiven Vorbereitung zufrieden, dass ihr Angebot so gut angenommen wird.
Drüben im Fernsehraum laufen syrische Filme. Wer will, kann sich in der Gruppe auf einen geführten Stadtrundgang durch Gerolzhofen begeben, Fußball oder Tischtennis spielen. Besonders der Fußball verbindet. Gerolzhöfer Kinder kicken bereits mit jungen Syrern auf dem Platz an der Sporthalle, der noch bis 21. September nutzbar sein soll.
Die Flüchtlinge haben auf ihrem langen Weg von Syrien oder Afghanistan bis nach Gerolzhofen schon viele Aufnahmelager hinter sich gebracht. Überall wollten sie so schnell wie möglich weg. Nicht so in Gerolzhofen. Erste Stimmen wurden schon laut, die sagen „Hier wollen wir bleiben.“ Das berichtet Yussef, der schon zwei Jahre hier lebt. Auf die Frage nach der gesellschaftlichen Zusammensetzung der Flüchtlingsgruppe erklärt er, dabei seien alle Schichten, Arme und Reiche. Das spiele aber heute in Syrien keine Rolle mehr; der Krieg habe sie alle gleich gemacht in dem Bestreben, ihr Heimatland zu verlassen.
An einer Stelle treffen dann die zwei gegenwärtigen Großereignisse in Gerolzhofen, die Ankunft der Flüchtlinge und die Aufführung des Stücks „Fräulein Schmitt und der Aufstand der Frauen“, unmittelbar aufeinander. Niemand kann etwas dafür, doch es passiert. Das Kleine Stadttheater probt einzelne Szenen am Marktplatz, unter anderem auch die, bei der Soldaten mit Gewehren auftreten. Just in dem Moment kommt eine syrische Gruppe mit Kindern vorbei. Vor allem die Kinder bekommen beim Anblick der Soldaten sofort panische Angst. Sie haben geglaubt, Soldaten auf offener Straße und Krieg gebe es in Deutschland nicht. Ein Beleg, wie sehr die Menschen vom Krieg in ihrer Heimat traumatisiert sind.
Am Mittwochvormittag dann öffnet die Kleiderausgabe. Die Flüchtlinge kommen in kleinen Gruppen bis zu 15 Leuten und haben eine halbe Stunde Zeit, sich das für sie Notwendige und Passende auszusuchen. Jeder hat einen Gutschein für fünf Kleidungsstücke, ab dem sechsten Teil wird je ein Euro fällig.
„Alles läuft sehr diszipliniert ab, es gibt kein Gedrängel und Geschubse“, sagt Dieter Backhaus vom Rotary-Club Gerolzhofen/Volkach, der das Abholsystem entwickelt hat und bei der Kleiderausgabe zusammen mit vielen weiteren Ehrenamtlichen hilft. Backhaus ganz klar: „Ohne die Arbeit des Asylkreises und anderer könnten wir gar nichts ausrichten.“
Nachdem jetzt bekannt ist, wie sich die erste Flüchtlingsgruppe zusammensetzt, suchen die Betreuer der Kleiderkammer vor allem noch Männerkleidung in kleineren Größen, vor allem lange Hosen. Es fehlen auch Jacken für den kommenden Herbst und Winter. Sommersachen sind nicht mehr gefragt. Das ergab der erste Ausgabetag. Zu den Unterstützern gehören auch ein Gerolzhöfer Lebensmittelmarkt und die Firma Steigner, die Buggys und Kinderwägen vorbeibringen. Weitere gebrauchte Kinderwägen sammelt und vermittelt die Firma Steigner.
Spender, die Kleidung mit großen Größen abgegeben haben, brauchen sich keine Gedanken zu machen, dass ihre Hilfsbereitschaft womöglich vergeblich war. Was nicht für die Flüchtlinge gebraucht wird, bekommt die Katholische Junge Gemeinde (KJG) für ihre Herbstsammlung, die guten Zwecken dient.
Selbst wenn sie gewaschen ist, gebrauchte Unterwäsche ist als Spende ungeeignet, sagt Hubert Zinkl vom Rotary-Club. Als Grundstock für neue Unterwäsche stellen die Rotarier erst einmal 500 Euro zur Verfügung. Außerdem richten sie ein Spendenkonto ein. Das Geld soll für die Unterstützung der Flüchtlinge eingesetzt werden, auch für die alleinstehenden Minderjährigen, die ab Herbst im ehemaligen Kloster Lülsfeld unterkommen sollen.
Das Spendenkonto: Bankleitzahl 793 620 81 (VR-Bank Gerolzhofen), Konto 200 056 766.
