Es ist ein einfacher, weißer Raum, gleich neben der Security, mit Untersuchungsliege, Tisch und Stühlen. Dr. Rosemarie Klingele kommt mit schnellen Schritten, begleitet von Schwester Anneliese Alter, und stellt ihre Tasche ab. Gleich hält die fast 80-jährige Medizinerin ihre Sprechstunde in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in den Conn Barracks bei Geldersheim, vor den Toren der Stadt Schweinfurt. „Weil mir der Mensch wichtig ist“, wie sie sagt.
Jeden Dienstag- und Donnerstagvormittag begibt sie sich zur Flüchtlingsunterkunft in der ehemaligen US-Kaserne, die die Regierung von Unterfranken betreibt. Sie kommt freiwillig, sie arbeitet ehrenamtlich, im Rahmen der Asylsozialarbeit der Diakonie Schweinfurt, genauso wie ihre 78-jährige Begleiterin. Schon auf dem Flur werden die beiden von einem jungen Patienten erwartet. „Ich bin krank“, sagt er nur. Gleich wird Dr. Klingele ausführlich mit ihm sprechen, ihn gründlich untersuchen. „Basismedizin“ nennt sie das.
Bis 2012 in der Nuklearmedizin gearbeitet
Dabei ist die Medizinerin in ihrer hauptberuflichen Zeit Leiterin der Nuklearmedizin am Leopoldina-Krankenhaus Schweinfurt gewesen. Bis 2012, also lange über ein Ruhestandsalter hinaus, hat sie gearbeitet. Ihr verstorbener Mann Dr. Herbert Klingele, ehemals Chefarzt für Strahlentherapie am Leo, engagierte sich in der Dritten Welt. „Das ist Auftrag für mich“, erklärt seine Witwe.
Sie selbst war ebenfalls oft im Auslandseinsatz, erst in diesem Winter vier Wochen lang in Kamerun. „Fremde Kulturen sind mir nicht fremd“, lächelt die kleine, agile Frau mit Blick auf die Flüchtlinge.
Sie bezeichnet sich selbst als begeisterte Medizinerin, und auch für ihre Helferin, Krankenschwester Anneliese Alter, ist der Beruf eine Berufung. „Ich habe vor eineinhalb Jahren meine Dienste angeboten“, erinnert sich die 78-jährige Schweinfurterin an ein Telefonat mit der Diakonie, die die Asylsozialarbeit im Landkreis wahrnimmt, die die vielen Ehrenamtlichen organisieren hilft, Schulungen und jede Art Hilfestellung bietet. Der Zufall brachte so die beiden ehemaligen Leo-Angestellten in der neuen Aufgabe wieder zusammen. Jetzt bilden sie ein eingespieltes Team, unaufgeregt, zupackend und mit reichem Erfahrungsschatz.
Die Ambulanz ist erste Anlaufstelle
Das wissen die Flüchtlinge mittlerweile. Anfangs, im Mai 2015, kamen sie nur vereinzelt. Inzwischen hat sich unter den derzeit knapp 400 Geflüchteten herumgesprochen, dass die Ambulanz die erste Anlaufstelle ist, wenn jemand krank ist. Jetzt genügt die eigentliche Sprechstundenzeit von 9 bis 11 Uhr nicht mehr, jetzt beginnt Dr. Klingele schon nach 8 Uhr und geht erst, wenn der letzte Patient an der Reihe war. 25 bis 30 Personen wollen an einem Vormittag behandelt werden.
Husten, Schnupfen, Heiserkeit, Kopf- oder Ohrenschmerzen, aber auch Verletzungen sieht sich die Ärztin an. Sie sichtet, sortiert, schickt bei Bedarf weiter zu einem Allgemeinmediziner oder Facharzt. „Es braucht viel Zeit, herauszufinden, was der einzelne Patient hat“, betont sie mit der ihr eigenen Ruhe. Damit entlastet sie die niedergelassenen Ärzte in der Region.
Für eine Behandlung bei einem Arzt muss sich der noch nicht anerkannte oder geduldete Asylant beim Sozialamt einen Behandlungsschein holen. Allerdings muss er wissen, wohin er geht und wann er einen Termin bekommt. Darum kümmert sich Dr. Klingele. „Termine zu vereinbaren ist wirklich zeitaufwändig“, stöhnt sie. Weil ihr in den Conn Barracks kein Festnetz, kein Faxgerät und kein Internet zur Verfügung steht, läuft alles über ihr Handy.
„Ich habe ja keine Kassenpraxis, ich kann keine Kassenrezepte ausstellen oder Überweisungen schreiben“, erklärt sie. Aber sie kann Basismedikamente über die Apotheke Gartenstadt in Schweinfurt bestellen und verabreichen. Das Sozialamt des Landratsamtes bezahlt die Medizin.
Freistaat spart viel Geld
Von den knapp 400 GU-Bewohnern sind derzeit über 100 sogenannte Fehlbeleger, erklärt Gisela Westendorf, stellvertretende Sachgebietsleiterin im Sozialamt. Das heißt, sie haben ihre Anerkennung, müssten eigentlich die GU verlassen und sich eine Wohnung suchen. Dieser Personenkreis erhält eine Krankenversichertenkarte und kann damit zu jedem Arzt gehen.
„Es ist ein unschätzbarer Mehrwert, den Frau Dr. Klingele in den Conn Barracks erbringt“, sagt Westendorf. Ein unbürokratisches Handeln, nah am Menschen. Man könne gar nicht messen, was dadurch dem Freistaat Bayern finanziell gespart werde.
Dass sich die Bewohnerstruktur in der GU verändert hat, erlebte die Ärztin mit. Viele Erstbewohner sind nicht mehr hier, neue, vor allem junge Männer wurden in die GU verlegt. „Sie kommen alleine, und viele haben psychische Probleme.“ Die Belastung durch die Situation in der Heimat oder die Flucht könnten viele nur schlecht verarbeiten. Depressionen seien die Folge.
Dr. Klingele versucht, mit ihnen zu sprechen. Sie habe schon einige Männer weiterempfohlen zur stationären Behandlung in Werneck. Oder zur Vorstellung in der psychiatrischen Ambulanz in Schweinfurt.
So schwierig und Kräfte zehrend der ehrenamtliche Einsatz auch ist: „Für uns ist er auch Erfüllung“, geben die Ärztin und die Krankenschwester zu. Und wenn ein Patient ihnen irgendwann ein Lächeln schenke, „dann ist das der schönste Lohn“.
Wenn ich aber jetzt die politischen Diskussionen hier sehe, bleibe ich lieber ruhig!
Warum?
Das Thema erledigt sich bald und es kehrt wieder Ruhe ein!
Traurig ist nur, dass die Politik nichts dafür getan hat! Es waren die Bürger und Bürgerinnen, die Verantwortung übernommen haben und gut Arbeit geleistet haben!