„Ich habe 36 Seelen“, soll Helmut Ammann über sich selbst gesagt haben. Der tiefgläubige protestantische Bildhauer, Maler und Grafiker würde am 21. Oktober dieses Jahres 110 Jahre alt werden. Im Sennfelder Rathaus wird der Kirchenkünstler (1907-2001) nun mit einer Ausstellung gewürdigt.
Kurz nach dem Krieg hat Ammann die Kupfer-Kanzel der Dreieinigkeitskirche geschaffen, mit biblischen Gleichnissen, ebenso wie das markante Kreuz im Kreis über dem Eingangsportal. 1963 folgte der apokalyptische Christus als acht Meter hoher Travertinstein im Altarraum. 1992 kamen als Spätwerk noch die beiden Glasfenster „Paradies“ und „Pfingsten“ hinzu.
In Würzburg und Oberndorf künstlerisch gewirkt
In der Oberndorfer Kreuzkirche oder in Würzburg St. Stephan, St. Johannis und der Zellerauer Erlöserkirche) hat sich der Deutsch-Schweizer ebenfalls verewigt.
Zu den Weggefährten zählte der in Schweinfurt tätige Kirchenarchitekt Olaf (Andreas) Gulbranson, ebenso wie der bildhauerisch interessierte Alexander Schmorell, Mitbegründer der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ (seit 2012 als Heiliger Alexander von München ein russisch-orthodoxer Märtyrer).
Einigen der 36 Seelen wurde nun in einer „kunsthistorischen Kirchen-Andacht“ nachgespürt, zu der Pfarrer Stefan Stauch im Reformationsjahr, aber auch im 700. Jahr nach der Ersterwähnung Sennfelds als „Freies Reichsdorf“, das zudem vor 475 Jahren lutherisch geworden ist, begrüßte. Entsprechend stehen das Gedenkjahr und ein Jubiläumsbuch unter dem Motto „Zur Freiheit berufen“.
Es waren zwei echte Kenner, die sich Ammann im dialogischen Vortrag näherten: Professor Marita Krauss ist die Stieftochter, verheiratet mit dem Historiker und Galeristen Erich Kasberger. Die Nachlass-Verwalter hatten druckfrisch ihre eigene aktuelle Veröffentlichung dabei. Darin geht es um die mehr als 70 Glasfenster, die der Vertreter der „klassischen Moderne“ an evangelischen Gotteshäusern hinterlassen hat.
Seine Arbeit war stark vom Krieg geprägt
Eine Seele war auf jeden Fall fernöstlich geprägt: 1907 wurde der oft selbst erkrankte Arztsohn in Shanghai geboren. Ab 1911 kam an der Spree „Berliner Humor“ hinzu. Eine weitere Seele stammte aus der Schweiz: Als Eidgenosse musste der Wahl-Münchner in der Nazizeit keinen Kriegsdienst leisten. 1943 ausgebombt, verbrachte Ammann einige Jahre im fränkischen Castell. Er war vieles nicht, so die Erben: Zum Beispiel kein Bayer, sondern Weltbürger. Und: „Seine Arbeit war stark vom Krieg geprägt“. Diese Auseinandersetzung mit Leiden, Sterben und Schuld spürt man auch in Sennfeld, wo die alte Kirche dem Luftangriff vom 31. März 1944 zum Opfer gefallen ist.
Künstlerisch schlugen ohnehin mehrere Seelen in seiner Brust: Neben Arbeiten auf Papier, in Metall, Stein oder Glas schuf er zahlreiche Porträtköpfe von „Promis“ seiner Zeit, vom Unternehmer Rolf Rodenstock bis hin zu den Physikern Werner Heisenberg oder Otto Hahn.
Ammans 40 Jahre lang geführte Tagebücher haben literarische Qualität. Ebenso wie die „Morgengrüße an Carmen“, eine Mischung aus Arbeitsberichten und Liebesbriefen an die erste Ehefrau. Ergänzt durch Gedichte und Zeichnungen, etwa zum „Absonderlein“, ein Alter Ego mit Chinesenhut.
Abstarktes steht neben Konkreten
Im Sommer 1963 kamen die humorigen Grüße aus Sennfeld, wo die Steinwand ohne Fehlschlag entstand: Christus als strenger, ikonischer Weltenrichter ist inmitten von Symbolik aus der „Offenbarung des Johannes“ nur angedeutet, mit einem Mund wie ein Schwert, ohne Nettigkeit: Inbegriff eines Gottes, der sich für Ammann zugleich „austeilt und verschweigt“. Geschaffen wurde das Werk als sinnstiftendes Gehämmer in Ergänzung zum „Gemüsegewerkel der Sennfelder Bauern“, wie es in den Aufzeichnungen heißt. Ammann fühlte sich eine Zeitlang als „klopfendes Herz für dieses Gemeinwesen“.
Auch in den leuchtenden Fenstern des Chorraums, die sich um Gott als Schöpfer und als Heiligen Geist drehen, steht Abstraktes neben Konkreten. Schwer Verständliches der christlichen Überlieferung wird vereinfacht, bis das Wesentliche dem modernen Menschen wieder nahe kommt. „Der Himmel ist mit tausend Offenbarungen in mich gefallen und ich in ihn“, zitierte Günter Breitenbach, Rektor der Rummelsberger Anstalten und ehemaliger Dekan von Würzburg, den jungen Gottsucher Ammann.
Im Anschluss eröffnete Bürgermeister Emil Heinemann im randvollen Rathaus die Ausstellung mit Werken des 2001 in Pöcking am Starnberger See verstorbenen Universalkünstlers, festlich umrahmt vom Posaunenchor: „Wir erleben heute und in den kommenden Monaten bis zum November eine für Sennfeld kulturell und kunsthistorisch bedeutsame Zeit“, so der Bürgermeister, dessen Gemeinde 2017 gleichberechtigt mit Wirkungsorten wie München steht.
Kasberger gab eine kurze Führung durch die Ausstellung. Filmsequenzen beleuchten die Arbeit des Bildhauers, Zeichners und Mosaikkünstlers. Drei Porträtköpfe begegnen sich im Dialog. Im Trausaal geht es in Rot um Liebe, Leid, Verstrickungen, unter anderem mit der Skulptur des „Jakobskampfs“: ein Ringen mit höheren Mächten und sich selbst. Bilder an der Empore weisen auf die fränkischen Kirchenfenster hin.
Information: Die Ausstellung läuft bis 12. November. Am 23. Juli lädt Erich Kasberger zur kostenfreien Exkursion auf den Sennfelder und Würzburger Spuren Ammanns ein (Anmeldung bis 20. Juli bei der Gemeinde).