Man kann getrost vom Ende einer Ära sprechen. Jahrzehntelang war Gerolzhofen eine überregional bedeutsame Hochburg des Seifenkistensports gewesen. 65 Jahre lang sausten Kinder und Jugendliche in ihren Kisten vor großer Kulisse abschüssige Straßen herunter. Das ADAC-Seifenkistenrennen hätte am 15. Mai 2022 zum 66. Mal stattfinden sollen. Hätte. Es gab aber zu wenige Anmeldungen. Die Motorsportvereinigung Gerolzhofen sagte deshalb nicht nur das für dieses Jahr geplante Rennen ab, sondern beerdigte die Traditionsveranstaltung auch für die Zukunft.
Der Seifenkistensport ist offenbar etwas aus der Zeit gefallen. Oder anders ausgedrückt: Die heutige Jugend hat keinen Bock mehr, in selbst konstruierten und gebauten Fahrzeugen lautlos einen Hang hinabzurollen. Die zweijährige Pause wegen der Corona-Pandemie habe sich natürlich auch noch zusätzlich negativ ausgewirkt, sagt Marco Reinstein, der bei der Motorsportvereinigung für die Organisation der Seifenkistenrennen zuständig ist. In jüngster Vergangenheit hätten sich aber auch ganze Familien zurückgezogen, weil ihre Kinder mittlerweile dem Sport entwachsen sind. Nachwuchs für den Seifenkistensport ist nicht in Sicht, gibt Reinstein zu. "Das Interesse der Kinder und Jugendlichen, bei einem motorlosen Event teilzunehmen, wird immer weniger."
Zu wenig Anmeldungen
Man habe im Vorstand der Motorsportvereinigung ausführlich über die Zukunft der Seifenkistenrennen diskutiert, so Reinstein. Schließlich stelle der Aufbau der Rennstrecke immer einen großen organisatorischen Aufwand dar. "Wir haben aber die Veranstaltung schweren Herzens absagen müssen." Zum Nennungsschluss lagen laut Reinstein zu wenige Anmeldungen vor – obwohl das Rennen in Gerolzhofen als Lauf zur Bayerischen Meisterschaft und als Qualifikationslauf zur Deutschen Meisterschaft eingestuft war.
Die Entscheidung sei der Motorsportvereinigung wirklich nicht leicht gefallen, betont der Rennleiter, denn die Gerolzhöfer gehörten ja zu den wenigen, die überhaupt noch Rennen nach den Vorgaben des DSKD e. V. (Deutsches Seifenkisten-Derby) austrugen. In ganz Bayern werden in diesem Jahr nur noch drei solche Veranstaltungen stattfinden. Nicht dazu zählen allerdings die sogenannten Gaudi-Rennen, wo Teilnehmer in teils abenteuerlichen Gefährten einen Berg herunter rasen. Solche Events entsprechen nicht den Regeln des DSKD und sie werden in Gerolzhofen – auch wegen der nicht unerheblichen Verletzungsgefahr – abgelehnt.
Ein Stadtrennen ist angedacht
Während die Ära der offiziellen Seifenkistenrennen in Gerolzhofen beendet ist, will man bei der Motorsportvereinigung aber noch nicht ganz aufgeben, sondern zumindest ein ganz kleines Flämmchen am Leben halten. Es gibt Überlegungen, zu einem späteren Zeitpunkt und mit deutlich geringerem Aufwand eine kleine interne "Gerolzhöfer Stadtmeisterschaft" auszurichten. Als Rennstrecke könnte – so lauten die der Redaktion vorliegenden Informationen – der abschüssige Flurweg vom Rügshöfer Sportplatz hinunter bis zum Silberbach dienen.
Ein Blick in die Chronik
Das erste Seifenkistenrennen in Gerolzhofen fand am 5. Juni 1955 auf der Landstraße zwischen Dingolshausen und Gerolzhofen statt, kann man in der Chronik der Motorsportvereinigung nachlesen. Unter der Leitung von Josef Süß gingen 25 Jungs an den Start. Damals wurden die Rennen als "besonders jugendfördernd" gepriesen. Schon der Bau der Seifenkiste sei eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung, die viele Wochen des Jahres ausfülle und die Jungen zum korrekten Arbeiten anhalte und zudem die Lust am handwerklichen Gestalten fördere. Die Adam Opel AG aus Rüsselsheim unterstützte bis 1971 die Seifenkisten-Szene als Sponsor.
Teilnahme an der "Deutschen"
Regelmäßig qualifizierten sich Gerolzhöfer Rennfahrer für die Deutsche Meisterschaft, die in Duisburg ausgetragen wurde. Im Jahr 1958 belegte dort das Trio Emeran Ach, Günter Engert und Peter Lauer die Plätze drei bis fünf. 1960 stellte Gerolzhofen mit dem zwölfjährigen Lothar Maul den Zweiten Bundessieger. Das Preisgeld in Höhe von 3000 D-Mark erhielt Lothar aus den Händen der Box-Legende Max Schmeling.
Im Jahr 1961 belegte Karlheinz Engert den achten Platz, ein Jahr später errangen Bernd Passargus den vierten und Günter Ach den sechsten Rang. 1963 kam Dieter Marschall auf Platz sieben. Der erfolgreichste Seifenkistenfahrer aus Gerolzhofen war aber Eberhard Wolf, der 1964 die Deutsche Meisterschaft errang. Er erhielt als Preis eine Studienbeihilfe über 5000 D-Mark und durfte auf Kosten von Opel in den USA am "All American Soap Box Derby" in Akron im Bundesstaat Ohio teilnehmen.
Opel zog sich zurück
Im Jahr 1971 zog sich die Opel AG als Sponsor vom Seifenkistensport zurück. Viele Rennen im Bundesgebiet fanden deshalb nicht mehr statt. Die Motorsportvereinigung war einer der wenigen Clubs, der trotzdem weitermachte. Man trat 1974 dann dem neu gegründeten DKSD bei und führte die Rennen fortan nach dessen Regeln durch. 1986 belegte Kathrin König bei der Deutschen Meisterschaft in Baden-Baden den zweiten Platz.
Ab den 1980er Jahren fand in der Bauweise der Seifenkisten eine massive technische Fortentwicklung statt. Neben den bisher selbst zusammengeschraubten kantigen "Holzkisten" gingen jetzt auch stromlinienförmige Rennmaschinen aus Verbundwerkstoffen an den Start. Gegen diese ultraschnellen Neuentwicklungen hatten Kinder in ihren traditionellen Gefährten, die oftmals in der Familie weitervererbt worden waren, natürlich keine Chance. Viele zogen sich von den Veranstaltungen zurück.
Luftbereifung mit sechs bar
Die modernen Piloten saßen nicht mehr, wie bisher üblich, tief nach vorne gebeugt in ihren Kisten, sondern es gab nun Konstruktionen, die im Liegen gesteuert wurden, um möglichst wenig Luftwiderstand zu generieren. Und um die Gefährte noch schneller zu machen, gab es auf den Rädern statt Hartgummi nun eine Luftbereifung, die mit einem hohen Druck von bis sechs bar gefahren wurde.
Doch trotz der Einführung dieser "Renn-Zigarren" ließ das Interesse der jungen Generation und der Zuschauer stetig nach. Und nun ist der Tiefpunkt erreicht: Die seit 1955 organisierte Traditionsveranstaltung ist Geschichte.
Da ist es doch einfacher für die Kids die Seifenkisten virtuell bergauf zu fahren ... und die Erwachsenen können getrost weiter aus nostalgischen Erinnerungen heraus über die Jugend lästern - am Ende für alle viel einfacher, gell.
Das geht ja heute gar nicht mehr: Das Leben findet heute auf Smartphones und Tablets virtuell statt!
Aber auch die Herausforderung, genauso wie es die Flößer am Rhein machen?