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Der will doch nur spielen
Von unserem Redaktionsmitglied Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 15.12.2020 14:01 Uhr
Schweinfurt Darf einem Don Giovanni sympathisch sein? Darf man gar Mitgefühl mit ihm haben? Mit ihm und nicht mit all den Frauen, die er erst verführt und dann fallen lässt? Mit einem, der immer nur an sich denkt, der immer nur nimmt und dann das, was er bekommt, gering schätzt?

Johannes Felsenstein sieht in Don Giovanni vor allem den Spieler, den Gaukler. In seiner Inszenierung von Mozarts Dramma giocoso für das Anhaltische Theater Dessau - am Samstag und Sonntag zu Gast am Theater Schweinfurt - wirkt der ewige Verführer wie ein ziemlich großer junger Hund, der allem widerstehen kann nur keiner Versuchung. Und der fabelhafte Ulf Paulsen hat sichtlich Spaß daran, von einer Verwicklung in die nächste zu stolpern und sogar der Mandolinistin an die Wäsche zu gehen, die in der Fenster-Arie per Stehleiter zum Bühnenrand emporgeklettert ist, um seinen Gesang zu begleiten. Und wenn ihm einer ernsthaft entgegentritt, bekommt er den Gesichtsausdruck eines Kindes, dem man ohne ersichtlichen Grund den Teddy weggenommen hat. Alles, was er tut, tut er doch aus Liebe: "Sich mit einer begnügen, hieße andere betrügen."

Paulsens Don Giovanni ist kein viriler Eroberer, auch wenn er jederzeit skrupellos von seinen Willkür-Rechten als Adeliger Gebrauch macht. Die Frauen geben sich ihm wohl vor allem deshalb hin, weil seine Gegenwart schlicht unterhaltsamer ist als die eines Tumben wie Masetto oder eines Strebers wie Don Ottavio. Johannes Felsensteins Don Giovanni durchzieht eine Leichtigkeit, die sogar den Totschlag am Komtur zu einer Art Betriebsunfall macht. So richtig böse kann man dem Erotomanen nicht sein - der will doch nur spielen, und es ist schließlich nicht seine Schuld, dass keiner mehr Sinn hat für ein bisschen Spaß.

So wird das ewige Verfolger-Trio Anna/Elvira/Ottavio zum spießigen Störfaktor, während Zerlina sich ziemlich lange - im wahrsten Sinne des Wortes - alle möglichen Optionen offenhält. Sängerisch begeistern vor allem Ulf Paulsen, Kostadin Arguirov als Leporello, Christina Gerstberger als Zerlina, Rainer Büsching als Komtur, mit Abstrichen bei den Koloraturen auch Daniela Zanger (Donna Anna) und Jörg Brückner (Don Ottavio). Iordanka Derilova (Donna Elvira) allerdings scheint sich bei Mozart nicht so recht wohlzufühlen. Sie wirkt stimmlich etwas verkrampft. Golo Berg dirigiert ein spritzig und sensibel aufspielendes Orchester, dessen transparentes Klangbild spürbar und wohltuend von der historischen Aufführungspraxis beeinflusst ist.

Die deutsche (Neu-)Übersetzung des Librettos hilft zwar bei der Verständlichkeit, kommt aber nicht gegen die Poesie der italienischen Originalversion an. Immer wieder vermisst man die vertrauten Text-Passagen. Wenn etwa Zerlina ihrem Masetto ein "Balsamo" anbietet, klingt das einfach schöner als "ein Mittel".

Das Bühnenbild von Stefan Rieckhoff, eine ausladend gewundene Treppe zwischen Rokkoko-Wandbildern von Fragonard, ist idealer und leicht umdeutbarer Raum für eine Fülle von witzigen Einfällen und mächtigen Bildern. Schlüssig verknüpft Felsenstein immer wieder Komik mit Tragik.

Als sich Leporello nachts auf dem Friedhof erleichtert, tut er das ausgerechnet auf das Grab des Komturs. Der schreitet beim abschließenden Festmahl die riesige Tafel hinab, um einen Don Giovanni abzuholen, der ihm umso bereitwilliger in die Unterwelt folgt, als er im Diesseits alle Amüsier-Möglichkeiten ausgeschöpft hat. Und wie die Skrupellosen im echten Leben, kommt auch Don Giovanni mit allem durch. Zum Schluss lacht er frech ins Publikum, einziger Überlebender eines Spiels, dessen Regeln nur er allein kennt.

 
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