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Der Trauer einen Raum geben
Sterben: Liedermacher Clemens Bittlinger findet, dass wir den Tod verdrängen. Im neuen Bergrheinfelder Verabschiedungsraum ist Platz für den Schmerz.
Das Gespräch führte Nike Bodenbach
 |  aktualisiert: 02.05.2013 18:16 Uhr

Die Gemeinde Bergrheinfeld hat auf ihrem Friedhof einen Raum geschaffen, in dem Trauernde in Ruhe und geschützter Atmosphäre von ihren Lieben Abschied nehmen können. Zur Segnung des Raumes spielt der bekannte Liedermacher und evangelische Pfarrer Clemens Bittlinger ein Konzert. Er ist bekannt für klare Worte, erhielt nach Kritik am Papst sogar schon Morddrohungen katholischer Fundamentalisten. Ein Gespräch über Trauerarbeit in der Spaßgesellschaft.

Frage: Wie wichtig ist es für Hinterbliebene, einem Verstorbenen in Ruhe und in geschützter Umgebung „Auf Wiedersehen“ sagen zu können?

Clemens Bittlinger: Ich halte das für enorm wichtig. Vor allem, wenn ein Abschied abrupt gekommen ist. Es ist ja nicht immer so, dass man einen Freund oder Verwandten über Wochen begleiten kann. Dann gibt es Sachen, die man noch hätte besprechen wollen oder besprechen müssen. Sich da die Zeit zu nehmen und zu sagen „Ich stelle mich meiner Trauer“, ist wichtig. Ein Verabschiedungsraum ist dafür sehr wertvoll.

Frage: Ist denn sonst die Gefahr groß, die Trauer zu verdrängen?

Bittlinger: Wir leben ja in einer sogenannten Spaßgesellschaft, und zu Spaß passen Trauer oder Leid nicht. Die Gefahr, dass man solche Momente verdrängt, ist groß. Wenn ich mir keine Zeit für die Trauer nehme, holt sie mich irgendwann in einem Moment ein, wo ich es überhaupt nicht gebrauchen kann und wirft mich aus den Socken. Das Wort „Trauerarbeit“ ist mittlerweile in den Sprachgebrauch übergegangen und trifft es auch – Trauer ist Arbeit. Wenn ich möchte, dass mein Garten blüht, muss ich ihn umgraben. Das macht vielleicht keinen Spaß, aber danach kann ich mich auf eine Bank setzen und mich daran freuen.

Frage: Und ein solcher Verabschiedungsraum tritt diesem Verdrängungstrend entgegen?

Bittlinger: Er ist die logische Konsequenz aus der steigenden Verbreitung von Hospizen und Palliativstationen in einer Gesellschaft, die den Tod verdrängt. Ich habe es selber miterlebt, wie meine Schwägerin auf einer Palliativstation in Ruhe sterben konnte. Das klingt vielleicht makaber, aber das Motto der Station war „Bei uns wird fröhlich gestorben“. Auf der Station herrschte eine große Heiterkeit und Gelassenheit. Ich war komplett beeindruckt. Auch mit dem Verabschiedungsraum gibt man ein positives Signal und sagt „So, und jetzt nimm dir noch mal die Zeit“.

Frage: Das Trauerjahr oder der Kondolenzbesuch sind kaum noch verbreitet. Braucht es neue Rituale?

Bittlinger: Die gesamte Gesellschaft ist anonymisiert. Heute kennt man sich nicht mehr, früher hat man noch Kondolenzbesuche gemacht. Da sind uns wichtige Rituale verloren gegangen.

Frage: Können neue Formen, wie etwa das Kondolieren auf Online-Friedhöfen, diese traditionellen Rituale ersetzen?

Bittlinger: Das ist ein Versuch, mit der Trauer umzugehen. Und eine tolle Möglichkeit, jemandem zu kondolieren, für den man vielleicht doch nicht durch die halbe Republik fahren würde. Dort habe ich die Möglichkeit, sehr direkt mir meiner Trauer umzugehen. Menschen, die mit dem Internet aufwachsen, finden so einen Online-Friedhof auch gar nicht befremdlich. Wie neue Rituale aussehen müssten, ist die Frage. Es gibt zum Beispiel den Trend zu Friedwaldbestattungen, den ich eigentlich ganz schön finde. Ich bin Natur-Fan und die Vorstellung, ich kann einen Baum umarmen unter dem ein geliebter Mensch liegt, das gefällt mir. Ganz grundsätzlich begreifen die Menschen, dass es irgendeine Form der Zeremonie braucht. Besonders bei den Friedwaldbestattungen nimmt das Zeremonielle eher zu, auch wenn es mitunter eigenartige Blüten treibt. Ein germanischer Tanz rund um die deutsche Eiche, ich weiß nicht. Aber ich sag mal so: Wenn's hilft! Ich bin da nicht borniert oder ängstlich. Paulus sagt, es ist alles erlaubt, aber nicht alles nützlich.

Frage: So eine Friedwaldbestattung ist ein Job für einen säkularen Trauerredner. Sehen Sie die als Konkurrenten zur Kirche oder als wertvolle Ergänzung?

Bittlinger: Ich sehe das sehr frei. In Amerika gibt es einen freien Markt der Kirchen und jede muss ihr Angebot so attraktiv darstellen, dass die Leute kommen. Ich glaube, wir müssen uns in Deutschland daran gewöhnen, dass es hier auch einen gewissen freien Markt gibt. Als evangelische Landeskirche haben wir viel zu lang geglaubt „Naja, wenn jemand stirbt ist das selbstverständlich, der geht an den Bestatter und kommt dann zu uns“. Aber die Leute sagen eben: Ne, Pusteblume. Ich hatte mein Lebkuchentag nichts mit der Kirche zu tun, warum soll ich jetzt zur evangelischen Kirche gehen. Ich suche mir einen freien Bestatter und mache das Ganze weiß der Geier wie. Da muss ich sagen: Das ist eine Anfrage an die Kirche.

Frage: Was sollte die Kirche tun?

Bittlinger: Man ist schlecht beraten, sich schmollend zurückzuziehen, mit dem Finger auf die verlorenen Schäflein zu zeigen und zu sagen „Das dürfen die aber nicht“. Natürlich dürfen sie das. Und ich muss mir diese Anfrage gefallen lassen und als Pfarrer vor Ort eine Antwort finden auf die Frage, was die Leute wollen. Und zwar nicht nur bei der Bestattung, sondern bei meinem Gottesdienst und meiner Gemeindearbeit überhaupt. Niemand wagt es mehr, sein Klientel eine geschlagene Stunde zu langweilen – das schaffen nur noch die Kirchen.

Frage: Sollten in deutschen Kirchen mehr Emotionen angesprochen werden? Ich denke an evangelikale Bewegungen in den USA, die täglich Anhänger gewinnen.

Bittlinger: Die machen einiges richtig, aber auch vieles falsch. Da muss ich dann doch fragen, was im neuen Testament eigentlich drin steht. Die Menschen mit allzu einfachen Wahrheiten abzuspeisen, sodass sie gar nicht mehr nachdenken müssen – das kann im Land der Reformation nicht der Weg sein. Aber es gibt durchaus Punkte, wo ich davon lernen kann. Zu mir kommen nach den Gottesdiensten oft Leute die sagen, wenn die Gottesdienste so wären wie meine Konzerte, dann würden wir wieder häufiger in die Kirche gehen. Dann sage ich den Leuten: Jede Gemeinde feiert den Gottesdienst, den sie verdient. Wenn ihr engagierte Christen seid und mit eurem Gottesdienst nicht zufrieden seid, dann nehmt den Pfarrer in die Pflicht, gründet meinetwegen einen Vorbereitungskreis für den Gottesdienst. Konkurrenz belebt das Geschäft, an der Stelle kann man von den Amerikanern lernen.

Clemens Bittlinger

Als „Rockpfarrer“ wird der Liedermacher, evangelische Pfarrer und Kommunikationswirt oft betitelt. Seine Musik bezeichnet Bittlinger selbst als „moderne Glaubensäußerung, die mir selbst und anderen Mut und Trost verschaffen will". In seinem Song „Mensch Benedikt“ kritisierte er den früheren Papst, wofür er von katholischen Fundamentalisten Morddrohungen erhielt. Bittlinger wuchs unter anderem in Wetzhausen und Bad Königshofen auf.

Programm und Architektur

Am Sonntag, 5. Mai, widmet die Gemeinde Bergrheinfeld unter dem Motto „Sei behütet – Gedanken zu Trauer und Tod“ einen ganzen Tag ihrem neuen Verabschiedungsraum auf dem Friedhof.

Das Programm

13.30 Uhr: Ökumenische Segnung des Verabschiedungsraums durch Pfarrer Werner Kirchner und Pfarrer Andreas Bauer. Dazu wird Künstler Günther Johrend das Motiv des Glasfensters im Verabschiedungsraum erklären.

14 Uhr: Gevatter Tod - zum Fürchten oder Totlachen?, Hans Driesel (Text, Rezitation), Marina Klinger (Harfe), Aussegnungshalle.

15 Uhr: Klangmeditation „Und die Seele spannt ihre Flügel aus“ mit Petra Eisend (Musik) und Ulrike Heck (Text, Bewegung), Aussegnungshalle.

16 Uhr: „Trauer hat viele Gesichter“, Gedanken zur Trauerarbeit mit Cornelia Krines-Eder, Verabschiedungsraum.

18 Uhr: „Sei behütet“, Konzert mit Clemens Bittlinger, Aussegnungshalle

Unter dem Dach der Leichenhalle liegt der neue Verabschiedungsraum. Vor dem Umbau war der Raum offen, eine Art Unterstand. Die neuen, mit Holzlamellen verkleideten Glastüren wurden nach einem Entwurf von Architekt Peter Kopperger in die alte Bausubstanz eingepasst. Zwischen dem Verabschiedungsraum und den Kriegerdenkmälern wurde ebenfalls eine Wand eingezogen, sodass ein weiterer kleiner Raum entstanden ist. Die Kriegerdenkmäler sind durch eine Tür ins Freie weiterhin unabhängig vom Verabschiedungsraum betretbar.

Der Verabschiedungsraum ist Teil der Bergrheinfelder Friedhofskultur, die den veränderten Bedürfnissen der Menschen Rechnung tragen soll, sagt Birgit Grob, Geschäftsleiterin der Gemeinde. In den vergangenen Jahren sind eine Natursteinmauer und ein Stelenfeld entstanden. Derzeit entstehen Rasenflächen um die Gräber. Bald sollen auch Baumbestattungen möglich sein. Text: Hof/nibo

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