Sie war das It-Girl unter (meist männlichen) Geistesgrößen und Kulturschaffenden am Vorabend der Moderne. „Geliebt und gehasst“, diesen Titel stellt Rezitator Hans Driesel im Saal des Augustinum der Lesung über Lou Andreas-Salomé vorneweg.
Die leidenschaftliche Russin hugenottischer, aber auch deutsch-dänischer Abstammung, die am 12. Februar 1861 in Petersburg geboren worden ist – sie entzieht sich bis heute den Schubladen: als Schriftstellerin, Essayistin, Psychoanalytikerin, Frauenrechtlerin. Wedekind, Buber, Hofmannsthal, Strindberg und manch anderer trudelte in ihrem Anziehungsfeld. Männer, denen sie als Femme fatale den Kopf verdrehte, wollten sie in der Regel auf der Stelle heiraten.
Bekannt geworden ist die charismatische, inspirierende Gesellschaftsdame durch ihre Liaison mit dem Philosophen und Gottesmörder Friedrich Nietzsche: „Dieses dürre schmutzige übelriechende Äffchen, mit ihren falschen Brüsten“, zischte der Abgeblitzte 1883 in einem Brief an Noch-Freund Paul Rée, der ebenfalls zu den Verehrern zählte: „Ein Verhängnis!“
Die nächste größere Amour fou, Poet Rainer Maria Rilke, war dafür ganz hin und weg und blieb es auch. Sigmund Freud wurde in späten Jahren faszinierter Brieffreund, Kollege und Mentor. Seit 1981 ist der intellektuellen „Venus im Pelz“ (Driesel) eine eigene Oper gewidmet.
Geboren wurde Louise als Tochter des protestantischen Generals Gustav von Salomé im Umfeld des Zarenhofs, im Jahr der Leibeigenen-Befreiung: Der eigene Leib gehörte auch später nur ihr. Aufgewachsen ist sie als glückliches Nesthäkchen mit fünf älteren Brüdern, aus bestem Haus. Der geliebte Vater wird für sie ein „Gott der Opposition“, gegen Ge- und Verbote aller Art. „Wir wollen doch sehn, ob nicht die allermeisten sogenannten 'unübersteiglichen Schranken' die die Welt zieht, sich als harmlose Kreidestriche herausstellen!“, revoluzzt sie später. Pastor Hendrik Gillot macht sie mit Spinoza, Kant, Leibniz, Kierkegaard & Co. vertraut. „Wie ein Schwamm“ saugt das aufgeweckte Mädchen alles auf.
Auch Familienvater Gillot wähnt eine Zukunft mit dem Teenager. Die Antwort ist Njet, der biblisch wie freudianisch assoziationsreiche Name „Salomé“ wird Programm.
Durch das Studium in der Schweiz und die Bekanntschaft mit Kunstförderin Malwida von Meysenbug gerät sie an Nietzsche, den sie im Petersdom kennenlernt. „Von welchen Sternen sind wir uns hier einander zugefallen?“, wundert sich der sonst frauenscheue Sachse. Zum Symbol wird das Luzerner Karrenbild, wo Nietzsche („Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht“) und Rée vorgespannt und von Lou mit der Geißel angetrieben werden. Der „Dreierbund“ endet im Zerwürfnis, Nietzsche später im Wahnsinn.
(Alb-)Traum vieler Männer
1885 liefert die 24-Jährige unter den Pseudonym Henri Lou dann ihren Debütroman: „Im Kampf um Gott“, rund um die Themen Sex, Crime und religiöse Zweifel.
In Berlin lernt sie Friedrich Carl Andreas, einen Orientalisten armenischer Abstammung, kennen: Auch dessen Heiratsantrag verschmäht die toughe Lou zuerst. Er rammt sich ein Messer in die Brust, was die Angebetete überzeugt. Bedingung: Ja kein Sex in der Ehe. Von einem „Haustierdasein“ als treue Gattin, wie sie es in Ibsens Ehedramen entdeckt, ganz zu schweigen.
Es folgen die Affäre mit dem jungen Rilke und Russlandreisen, bei denen man zu Leo Tolstoj wallt oder mit der Familie Pasternak verkehrt: „Ein Kind hat Russland hingebaut, zu Füßen Gottes“, dichtet die Multikulturelle über die „unreife“, aber hingebungsvolle Weite ihrer Heimat.
Sie sinniert psychologisch über Erotik, Ego und die Liebe, die soviel Enthusiasmus auslöst, bevor man den Anderen wieder sich selbst überlässt. Auch der labile „Toy Boy“ Rainer Maria wird entsorgt.
1912 beginnt der platonische Flirt mit Sigmund Freud, mit dem sie zur „Dichterin der Psychoanalyse“ avanciert. Als Psychoanalytikerin in Göttingen kümmert sie sich um ihre Brüder in Russland, denen Revolution und Sowjetmacht zusetzen.
Ihr Wiener Übervater Sigmund Freud hilft mit großzügigen Spenden über eigene Finanzmiseren hinweg, mit Tochter Anna ist sie eng befreundet.
In der Nazizeit intrigiert dann Nietzsches Schwester und Nachlassumdeuterin Elisabeth gegen die Judenfreundin, die Gestapo ist involviert. Die Jahrhundertfrau stirbt schwerkrank am 5. Februar 1937.
Nicht zuletzt für die kopflosen Liebhaber bleibt Salomé unvergesslich. Rilke, den erst sie von René in Rainer umgetauft hat, seufzt: „Du warst das Zarteste, das mir begegnet, das Härteste warst Du, damit ich rang. Du warst das Hohe, das mich gesegnet, und wurdest der Abgrund, der mich verschlang.“