
Zum 70. Mal jährt es sich am 13. April, dass die Amerikaner an jenem Frühlingstag 1945 nach vorherigen schweren Kampfhandlungen in Alitzheim in Gerolzhofen einmarschierten: Es sind bange Stunden für die Bevölkerung. Die Anspannung, Ungewissheit und Unsicherheit ist seit Tagen groß, auch weil man nicht weiß, wie die Nazis in den letzten Tagen unter ihrer totalitären Herrschaft reagieren.
Als wäre der Krieg nicht schon längst hoffnungslos verloren, hat die NSDAP-Ortsgruppe so am 25. März 1945, dem Palmsonntag, nochmals demonstrativ in feierlichem Rahmen 24 Jungen und 28 Mädchen öffentlich auf Führer Adolf Hitler und die Nationalsozialistische Arbeiterpartei verpflichtet.
Dabei kommen jetzt schon mehr und mehr versprengte deutsche Soldaten auf der Flucht vor den vorrückenden US-Truppen durch die Stadt. Die ausgemergelten und ihrer Illusionen beraubten Männer schleichen erschöpft an den Häusern vorbei. Sie sind ohne Verpflegung und Hoffnung und verfallen ob ihres körperlichen Zustandes und der Ausweglosigkeit vielfach in Lethargie.
Der Frauenaufstand
Darüber ist man sich in der Stadt allerdings bei aller Solidarität mit den seelisch und körperlich Geschundenen auch im Klaren: Sollte es von irgendeiner Seite beim Einmarsch der Amerikaner Widerstand geben, dann wäre der sogenannte Frauenaufstand vom 6. April 1945 umsonst gewesen.
An diesem Freitag hatten Hunderte von Frauen, Schulkindern und in der Stadt verbliebene Männer auf maßgebliche Initiative von Hauptschullehrerin Josefine Schmitt auf dem Marktplatz für die kampflose Übergabe der Stadt demonstriert. Unter allen Umständen will man eine sinnlose Zerstörung verhindern. Deshalb hat man es jetzt eilig, die letzten Soldaten und Einheiten noch rechtzeitig aus der Stadt hinauszubugsieren.
Aber erst als am Donnerstag, 12. April 1945, die letzten in der Stadt lagernden Einheiten in Richtung Ebrach weiterziehen, ist Gerolzhofen frei von Soldaten. Gerade noch rechtzeitig, muss man sagen.
Denn was passiert, wenn sich Widerstand erhebt, konnten die Gerolzhöfer schon seit zwei Tagen mit eigenen Augen und Ohren in Alitzheim vernehmen. Dort hatten die Amerikaner das Dorf sturmreif geschossen und große Teile in Schutt und Asche gelegt, um den letzten Rest an Widerstand einer SS-Einheit mit brachialer Waffen- und Militärgewalt zu Land und zu Luft zu brechen.
Um 9 Uhr geht das Telefon
Nun bereiten sie sich am Freitag, 13. April 1945, darauf vor, die Stadt Gerolzhofen einzunehmen. Die ursprünglich aufgebauten Panzersperren an den Stadteingängen sind bereits aus Angst vor Artilleriebeschuss wieder hektisch beseitigt worden, da klingelt an jenem Freitag gegen 9 Uhr im Rathaus auf dem Marktplatz in Gerolzhofen das Telefon. Am Apparat ist der in Rügshofen lebende Franz Ruf. Der Mann, der kurze Zeit darauf mit Kurt Tully von der US-Militärregierung mit der Wiedergründung der SPD in Gerolzhofen sowie der Führung mehrerer örtlicher Betriebe als Treuhänder beauftragt wird, fungiert als Mittelsmann.
US-Militärs instruieren Hans Greß
Ruf verlangt den seit 1934 für die NSDAP an der Rathausspitze stehenden Bürgermeister Hans Greß. Der wird daraufhin eiligst aus seiner Wohnung in der Bahnhofstraße geholt. Ruf teilt Greß mit, die Amerikaner hätten ihm erklärt, dass der Bürgermeister in die Alitzheimer Straße kommen solle. Hans Greß schwingt sich unverrichteter Dinge auf sein Sachs-Motorrad.
An der Straße nach Alitzheim trifft er auf die verantwortlichen US-Militärs. Sie eröffnen ihm, dass man in einer Stunde einmarschieren werde. Der Stadt und ihren Bewohnern werde nichts passieren, sofern bestimmte Dinge wie das Hissen von weißen Fahnen beachtet würden.
Von den Amerikanern derart instruiert, rast Hans Greß mit seinem „Sachser“ in die Stadt zurück, um die Kunde selbst beziehungsweise vom städtischen Amtsboten Franz Müller per Ausschellen verbreiten zu lassen.
Um 10 Uhr wird es richtig laut in der Stadt. Die US-Truppen haben damit begonnen, von der Alitzheimer Straße aus einzumarschieren. Schon von Weitem ist das Scheppern und Dröhnen der Ketten und Motoren zu hören. Eine nicht enden wollende Kolonne mit unzähligen Jeeps, Sherman-Panzern, Halbkettenfahrzeugen, Späh-, Mannschafts- und Versorgungswagen umkurvt die Verkehrsinsel an der Einmündung zur Nördlichen Allee. Am Friedhof biegt der Tross in die Östliche Allee und am Scherenbergturm schließlich in den Steingraben ein.
Es ist der Tag, an dem der überwiegende Teil der Gerolzhöfer Bevölkerung erstmals im Leben einen leibhaftigen „Neger“, also Farbigen, zu Gesicht bekommt.
Menschliche Schutzschilde
Aus Alitzheim haben die US-Truppen Schneidermeister August Rößner und Valentin Engert als Kriegsgefangene und „Trophäen“, aber auch als menschliche Schutzschilde mit im Marschgepäck. Rößner muss zu Beginn, quasi als abschreckendes Beispiel, in voller SA-Montur vor der Kolonne herlaufen. Später sitzt er mit Engert an nicht minder exponierter Stelle auf einem der Fahrzeuge. Die Amis nehmen Rößner bis nach Augsburg mit, wo er ins Entnazifizierungslager kommt.
Werden die in der Mitte der Straßen fahrenden Kolonnenfahrzeuge anfangs noch zu beiden Seiten von geduckt laufenden GIs, mit dem Gewehr im Anschlag, flankiert, so springen diese mehr und mehr auf die Fahrzeuge auf, als sie erkennen, dass ihnen keine Gefahr droht.
Am Ende der Steingrabenstraße, wo die endlose Fahrzeugschlange nach rechts in die Schuhstraße abbiegt, wird es richtig eng. Hier müssen die Shermans unter kreischenden Ketten so scharf drehen, dass die Leute regelrecht auf die Seite springen.
Das Kanonenrohr im Zimmer
Ein Panzerfahrer bekommt an dem Eck die Kurve nicht. Der Panzer fährt geradeaus in das Haus von Agnes Mocker. Die Ketten stehen im Wohnzimmer, ins Schlafzimmer darüber ragt das Kanonenrohr.
Die Kolonne nimmt bald von zwei Seiten Kurs auf Marktplatz und Rathaus, zum einen von der Spital- und zum anderen von der Rügshöfer Straße über die bis zum Marktplatz weiß beflaggte Marktstraße. Je mehr Fahrzeuge ins Stadtzentrum vordringen, desto mehr gerät die Kolonne immer wieder ins Stocken. Mehrere Jeeps verirren sich in den engen Gassen der Altstadt. Doch alles bleibt friedlich und ruhig.
Die Sektkorken knallen
Angesichts der kampflosen Einnahme der Stadt nach den zuvor in Alitzheim wütenden heftigen Kampfhandlungen fällt offenbar auch den US-Militärs ein großer Stein vom Herzen. Schon öffnen die ersten Offiziere auf dem Marktplatz vor ihrem Jeep eine Flasche Sekt.
Während noch am gleichen Tag der größte Teil der US-Truppen ohne langen Aufenthalt in der Stadt bis nach Ebrach weiterzieht, beginnen die hier verbleibenden Amerikaner umgehend damit, sich in der Stadt breitzumachen und die Hoheitsgewalt auszuüben. Als einer der ersten Schritte wird von der ins Bezirksamt eingezogenen US-Militärregierung die Ausgangssperre über die Stadt verhängt. Zudem werden die ersten Gebäude für die Unterbringung der Soldaten beschlagnahmt und man beginnt mit den Hausdurchsuchungen. Laut Erlass der US-Militärregierung sind außerdem alle Waffen, Fotoapparate und Ferngläser abzugeben. Bald türmt sich auf dem Marktplatz ein riesiger Haufen.
Es soll allerdings noch bis zum 25. Mai 1945 dauern, ehe Bürgermeister Hans Greß von der hierfür zuständigen Militärregierung in Schweinfurt abgesetzt und der Uhrmachermeister Karl Schmitt als sein Nachfolger eingesetzt wird.