Der vielfach preisgekrönte deutsche Schriftsteller Wilhelm Genazino ist ein bekennender Sonderling. Einer, den man, wie er selbst zugibt, eigentlich im Museum ausstellen sollte. Denn Genazino führt ein medienabgewandtes Leben und gerade deshalb ist seine Literatur so gut. Handy, Laptop, Internet oder Fernseher sucht man bei ihm vergebens, wie er bei seiner Lesung „Tarzan am Main“ einem großen Publikum im Georg Schäfer Museum verrät.
Statt im ICE in den Laptop zu „glotzen“ oder mit dem Handy am Ohr durch die Gegend zu eilen, beobachtet Genazino Menschen und Situationen, lauscht Unterhaltungen und sammelt „gute“ Sätze. Der Büchner-Preisträger gilt als meisterhafter Darsteller des Mittelmäßigen im menschlichen Dasein. Irritieren und Dinge bewirken, das sind seine Maxime, das Ungeklärte seine Motivation, wie er im Gespräch mit der Moderatorin des literarischen Abends, Johanna Bonengel erläutert. Titel, Cover, Text – das muss zusammen ein sperriges Ganzes ergeben. Etwas das auf den ersten Blick irritiert und auf den zweiten perfekt ins literarische Gesamtwerk passt. Ein Titel soll herausfordern, soll Denktüren öffnen und Genazino produziert, wie er erzählt, permanent Titel – auch wenn es die Texte dazu vielleicht niemals geben wird.
Der Titel „Tarzan am Main“ – eine „Meisterleistung“, wie er selber bewundernd feststellt – stammt übrigens nicht von ihm. Die Lesung gibt delikaten Einblick in ein sehr persönliches Werk, offenbart eine ernüchternde Bestandsaufnahme aus der Mitte Deutschlands mit vielen autobiografischen und sozialkritischen, aber auch erheiternden Momenten, die für die Landesausstellung „Main und Meer“ die ganz besonderen, wortgewaltigen Akzente setzen, die Museumsleiterin Sigrid Bertuleit schon eingangs versprochen hatte.
Zudem bringen die charmant-provozierenden Impulse der Moderatorin im Anschluss an die Lesung ein Gespräch in Gange, das alle Beteiligten als sehr gelungen bezeichnen. Zum Ende wird er höchst philosophisch und träumt tatsächlich von einem Computer, der all die Texte aufzeichnet, die wir Menschen fortwährend in unseren Köpfen produzieren. Dann, und wirklich nur dann, würde Genazino über seinen Schatten springen und sich einen PC anschaffen. Daniela Schneider