Wachsen die größten Schätze da, wo die Vielfalt gut gedeihen kann? Mitten im Wülfershäuser Rechtlerwald Am Hegholz steht der frankenweit schönste Speierlingsbaum. Das wurde vor drei Jahren genauestens kartografiert. Rund 46 weitere Genossen tummeln sich in der zirka 240 Hektar großen Flur. Obwohl, von tummeln kann ja bei Bäumen nicht so ohne weiteres die Rede sein.
In Deutschland gibt es noch rund 2500 Speierlinge. Der sehr seltene Wildobstbaum zählt zu den kostbarsten heimischen Hölzern. Aber was heißt schon kostbar? Da sind sich die drei Wülfershäuser Waldspezialisten Alfred Heil, Oswald Drenkhard und Martin Heil einig: Es ist die Gesamtheit eines gesunden Mischwaldes, dessen Wert sich in Zahlen nur schwer berechnen lässt. Beim Spaziergang wird deutlich, dass sie viele Bäume persönlich kennen. Da wächst die Wertschätzung auf andere Weise.
„In einer Bewirtschaftung, die nicht so viel Wert auf Nutzholz legt, ist die Situation günstiger für den Speierling. In einem Mittelwald, in dem die Bäume rund 30 Meter hoch werden, hat er eine Chance, mit seiner Krone ans Licht zu kommen“, so Forstwirt Alfred Heil, der bereits in zweiter Generation im Wald tätig ist. Er betont, dass der Wald hier nicht geplündert wird. Harvester würden nicht eingesetzt und ins Bodenleben nicht sehr eingegriffen.
Wie ein Schwamm kann ein guter Boden das Wasser aufnehmen, Hochwässer reduzieren und den Abtrag durch Starkregen verhindern. Auch Heil sieht die Gefahr der Bodenverdichtung durch die immer größer werdenden Maschinen. In den unteren Schichten könne er sich langfristig nicht mehr regenerieren. Auch auf den Äckern finde dieser Prozess statt.
Man könne die Wirtschaftlichkeit eines Waldes ja auch dadurch steigern, indem man die Bewirtschaftungskosten so gering wie möglich halte und den Wald weitgehend in Ruhe lasse. Früher habe man, abgesehen vom Brennholz, alle 25 Jahre mal in den Wald eingegriffen, um gute Lichtverhältnisse für den Nachwuchs der nächsten 25 Jahre zu schaffen.
Auf 240 Hektar liegt das jahrhundertealte Recht für heute 67 Wülfershäuser, Holz schlagen zu dürfen. Der Wald hat für die Gemeinde eine besondere Bedeutung. „In den Familien wird der Bezug zum Wald seit vielen Jahrzehnten weitergetragen“, so Rechtler und Gemeinderat Martin Heil. Auch eine alte Köhlertradition ist für die Gemeinde nachgewiesen. Alle drei Jahre wird diese mit einem Kohlenmeilerfest gefeiert. Mit Aktionen rund um die Wander- und Radwege werde der Wald in seinen vielen Aspekten im Bewusstsein gehalten.
Der ausgewachsene Speierlingsbaum ist auf den ersten Blick gar nicht so leicht von einer Eiche zu unterscheiden. Das gefiederte Laub sitzt weit oben in der Krone, so dass nur ein Blick auf die Innenseite der silbrig-schuppigen Borke helfen kann. Dort ist diese etwas dunkler. Das prächtige fränkische Exemplar ist mindestens 150 Jahre alt, ein Baum in seinen besten Jahren. „Auf dem blauen Ring gemessen hat er zirka 240 Zentimeter Umfang“, so Drenkhard, Vertreter der Waldrechtler. Für einen sehr langsam wachsenden Baum ist das sehr viel. Die Seltenheit, das langsame Wachstum und die sehr hohe Holzdichte tragen zur hohen Wertigkeit des Speierlings bei.
Am kostbarsten ist er jedoch vielleicht, wenn er lebendig mitten im Waldgefüge steht. Denn was ist erst da oben los in der Krone! Eine gute Bienenweide ist der Speierling, und auch ansonsten wird oben in den weitgehend noch unerforschten Baumwipfeln das pralle Leben wogen. Der Waldkenner Peter Wohlleben schreibt von mehreren tausend Tieren aus zirka 250 Arten, die in einem Baum leben. Da sind die Vögel noch nicht mitgerechnet, die momentan unser Ohr erfreuen. Wohlleben erforscht das kollektive Sozialgefüge eines Waldes und wartet in seinem neuesten Buch mit erstaunlichen Informationen auf.
Im Herbst reifen die birnen- bis apfelförmigen Früchte des Speierlings, dessen Samen sich über Vögel und Säugetiere verbreiten. Häufiger seien jedoch Austriebe aus dem Wurzelgeflecht eines Baumes. „Die schmecken den Rehen aber so gut wie unsereins die Schokolade“, weiß Forstwirt Heil. Da bleiben nicht viele der zarten jungen Gewächse stehen.
Wie arm wären wir ohne den Wald, der Wolken macht! Wir würden auf dem Trockenen sitzen in der Wüste. Bis zu 2500 Kubikmeter Wasser verdunsten im Sommer im Wald auf einem Quadratkilometer. Der Wind treibt die Wolken hinein ins Land, wer weiß, wie sehr der Spessart dem trockenen Unterfranken hilft? Da möchte man Klimaforscher werden. Oder Bodenkundler. Oder doch Lokaljournalistin bleiben. Ein glücklicher Mischwald in seiner Vielfalt ist ja wesentlich produktiver. Das gilt auch für die Menschen.
Bücher: Wohlleben, Peter; Das geheime Leben der Bäume. (Spannende Sachinformationen);
De Fombelle, Timothée; Tobie Lolness (zweibändiges Kinderbuch, das in einer Baumkrone spielt).