Keine Angst. Es ist nicht nötig, die Polizei anzurufen. Bei dem Obdachlosen, der auf der Bank neben dem Seiteneingang der Stadtpfarrkirche auf dem Marktplatz, bewacht von seinem Hund, seinen Rausch ausschläft, handelt es sich nur um eine verkleidete und ausgestopfte Strohpuppe.
Die Szenerie mit der Penner-Attrappe wirkt vor allem in der Dunkelheit allerdings täuschend echt. Der Hingucker soll provokativ auf das jüngste spektakuläre Kirchenprojekt des Pfarrgemeinderats und seines Projektteams unter der Leitung von Pastoralreferent Josef Pohli hinweisen.
Projekt erstreckt sich über vier Wochen
„Ich bin ich! – Bin ich ICH? Welche Rolle(n) spiele ich?“ ist die Aktion überschrieben. Damit lädt die katholische Pfarrgemeinde „Maria vom Rosenkranz“ in Gerolzhofen gleich zu Jahresbeginn wieder zu einem besonderen Projekt in den Steigerwalddom ein. Es wird sich über vier Wochen erstrecken.
Dazu zählen speziell gestaltete Gottesdienste, in denen das Thema im Wechsel von Pfarrer Stefan Mai und von Pastoralreferent Josef Pohli aufgegriffen wird, oder vom 20. bis 26. Januar die Auslegung von Vordrucken mit der Frage „Wo ist mein Platz – und warum sitze ich gerade da?“ auf bestimmten Sitzplätzen in der Kirche. Hier geht es darum, durch die schriftlichen Antworten zu erfahren, warum die Kirchgänger etwa am liebsten in der ersten und letzten Reihe oder hinter den Säulen sitzen, die das Blickfeld einengen.
Taschenlampenführung mit dem Pfarrer in der Kirche
Eine Taschenlampenführung mit Pfarrer Stefan Mai in der Kirche, bei der die Figuren ausgesuchter Heiliger und Evangelisten buchstäblich erhellt werden, macht am 27. Januar direkt im Anschluss an den Vorabendgottesdienst gegen 19 Uhr den Auftakt, wenn es bis 2. Februar um „Heilige in unserer Kirche“ geht.
Vom 29. Januar bis 13. Februar werden von den Kindergarten- und Hortkindern gemalte Bilder zu sehen sein, die sie in ihrer Lieblings-Faschingsverkleidung zeigen. Die Beschreibung verrät, warum sie etwa gerne in die Rolle von Prinzessin oder Cowboy schlüpfen.
In ein transparentes Netz können derweil beschriftete Folien gehängt werden, auf denen Besucher deutlich machen, welche Rolle Gott in ihrem Leben spielt".
Einbeziegung von Schulen und Kinderhäusern
Josef Pohli unterstreicht: „Wir wollen auch die Schulen und die Kinderhäuser einbeziehen und eine Verbindung zur Faschingszeit herstellen.“ Von Woche zu Woche werde das Thema mit verschiedenen Schwerpunkten weiter entfaltet.
Außer auf den Obdachlosen auf der Bank zwischen Seiteneingang und der Ölbergszene wird man in der Kirche selbst noch bis Ende der Aktion am 13. Februar auf weitere besondere Menschen stoßen, die als verkleidete Schaufensterpuppen über den Innenraum verteilt wurden.
Über den Innenraum verteilte, verkleidete Schaufensterpuppen
Dazu gehören der oben auf der Kanzel stehende Pfarrer, der Vater, der als Arbeiter die Familie ernährt, die Mutter mit dem Schulkind, der Jugendliche mit Käppi, Skateboard und Fußball, die Seniorin mit ihrem Rollator, die kranke Frau, die den Infusionsbeutel auf dem Ständer mitführt, der Single und der junge Flüchtling mit der Wollstrickmütze, der in der Stadt auf der Suche nach Asyl gestrandet ist.
Die Figuren sollen dazu anregen, über die eigene(n) Rolle(n) nachzudenken, die man in Familie, Schule, Beruf und Gesellschaft ausfüllt. Thematisiert wird auch, welche Rolle Gott und Glaube im Leben spielen.
Es geht um Selbstfindung und Identität
Es geht also um Selbstfindung und Identität. „Entdecke dich selbst“ ist in Augenhöhe auf die inneren Glastüren gemalt, wenn man die Kirche betritt.
Pastoralreferent Josef Pohli betont: „Zu unserem Leben gehört es dazu, dass wir viele verschiedene Rollen zu spielen haben. Alle zusammengenommen ergeben die ‘Rolle meines Lebens‘“. Diese zu entdecken und sich selber auf die Spur zu kommen – dazu würden das Kirchenprojekt-Team des Pfarrgemeinderates und das gesamte Pastoralteam alle Interessierten an den einzelnen Stationen im Kirchenraum einladen. Erkenne dich selbst und werde der, der du (eigentlich) bist, lautet dabei die Devise. Und vielleicht hilft dabei eben auch die Frage, welche Rolle Gott und der Glaube im Leben eines Einzelnen spielen, so die Hoffnung der Initiatoren.
Eine Puppe anzukleiden ist kein einfaches Unterfangen
Neben Pastoralreferent Josef Pohli sind hier besonders Annette Mößlein und Carmen Wächter zu nennen. Anja Iff war in diesem Fall weniger als Kleider-, sondern als Ankleide-Expertin gefragt, als es jetzt darum ging, die Schaufensterpuppen in der Kirche zu dekorieren.
Dabei zeigte sich, dass es einiger Kraftanstrengung bedarf, bis die Hose mit vereinten Kräften sitzt. Dazu müssen nämlich die Beine der Puppe ausgehängt und wieder verankert werden, was gar nicht so einfach ist.
Besondere Sonntagsgottesdienste zum Thema
Zur Teilnahme an dem jüngsten Kirchenprojekt sind alle Interessierten eingeladen, insbesondere auch Kinder und Jugendliche. Geöffnet ist die Stadtpfarrkirche täglich von 8 bis 18 Uhr. Die Sonntagsgottesdienste am 14. und 28. Januar sowie am 11. Februar (Faschingssonntag) sind ebenfalls auf das Thema „Ich bin ich! – Bin ich ICH? Welche Rolle(n) spiele ich?“ abgestimmt.
Mit der Aktion knüpft die katholische Kirchengemeinde nahtlos an so erfolgreiche Vorgängerprojekte wie „Angst“ oder „Sehnsucht nach Meer/mehr“ mit dem vor dem Hauptportal der Stadtpfarrkirche aufgebauten Sandstrand an. Liegestühle, Luftmatratzen und Sonnenschirme hatten seinerzeit wie jetzt der schlafende Obdachlose vor dem Seitengang als Blickfang für die Aktion gedient und auf die weiteren Stationen im Inneren der Kirche hingewiesen.
So wünschen der Pfarrgemeinderat und sein Projekt-Team diesmal allen, die von dem Angebot Gebrauch machen, gute und bereichernde Schritte auf dem Weg zur Selbsterkenntnis und Selbstfindung.