„Er ist unser Hugo“, beschwört nicht nur Altbürgermeister Peter Heusinger. Der große Sohn des Werntals, der Schulmeister und Dichter Hugo von Trimberg (1235-1313) prägt Straßen, Schule und Turnhalle seinen Namen auf und präsentierte sich am Freitag so lebendig wie nie: Beim Festabend anlässlich seines 700. Todesjahres tauchten Akteure und Besucher hautnah ins Mittelalter ein und erspürten die Lebensumstände und Gesellschaftsnormen zu Zeiten des in Oberwerrn („Werna“) geborenen Moralpredigers.
Was prägte seine Ansichten und trieb ihn an, das epische Lehrgedicht „Renner“ zu schreiben? Hugo-Fachmann Rudolf Kilian Weigand (58), Professor und Geschäftsführer der Forschungsstelle für geistliche Literatur des Mittelalters der Universität Eichstätt, hat zwischen den 24 611 althochdeutschen „Renner“-Versen den Menschen Hugo von Trimberg herausgefiltert.
Der didaktische Dichter schien sogar ein bisschen von Weigand selbst Besitz ergriffen zu haben, so engagiert und süffisant verwob dieser für die Zuhörer Zitate und Lebenslinien. So pointiert bezog er das Auditorium durch schulmeisterlichte Interaktion in den Festvortrag mit ein.Zur passenden Einstimmung hatte man schon am frühen Nachmittag die Nieder- und Oberwerrner zur mittelalterlichen Lagerstatt ins Gemeindezentrums geladen und die Zeitumstände vermittelt: bei einem Becherlein Met, Armbrustschießübungen, Münzprägung, kalligrafischen Schönschreibübungen und Heilkunde der Hildegard von Bingen. Für die aufwändige Dekoration, köstliche Bewirtung und prachtvoll gewandete Verkörperung von „Sophie von Andechs-Meranien“, „Münzmeister Adelbrecht“, „Kalligraf Meister Runold“, Waffenmeister, Mundschenk und Klosterfrauen zeichneten die Mitglieder des Heimatvereins Botenlauben Reiterswiesen sowie die Gemeinde Niederwerrn verantwortlich.
Letztere ließ sich bekanntlich vor fünf Jahren die Identifikation mit „ihrem Hugo“ ein bisschen was kosten: Eine Zufallsentdeckung im Internet gipfelte im Ankauf eines wertvollen Originaldrucks des „Renner“ von 1549. Das 11 200 Euro teure Buch sei sein Geld wert, versichern die Fachleute, und war ebenso (hinter Schutzglas) zu bestaunen wie einzelne Reproduktionen der „Renner“-Illustrationen.
Narrenprediger
„Oh Hugo, der ,Renner' war dein Durchbruch...“, titelt denn auch trefflich das eigens komponierte Lied, das die Lehrerband der Hugo-von-Trimberg-Schule uraufführte. Und weiter: „Bist bei uns bekannt, als seist du noch da... Wir wollen pflegen dein Vermächtnis.“ Mit einem Kurzkonzert von sechs Stücken (von Adele bis Robbie Williams) tat dies die Schülerband um Konrektor Matthias Schranner auch auf moderne Art.
Bis Festredner Weigand die Zeitmaschine für die Ehrengäste (von Gemeinde- bis Landrat, Lehrerkollegium bis Schulamtsdirektor, Kreisarchivpflegerin bis Werntal-Allianz-Bürgermeister, Pfarrer bis Würdenträger und nicht zuletzt die explizit geladenen Anwohnern der Oberwerrner Hugo-von-Trimberg-Straße) nochmals auf das späte Hochmittelalter programmierte: Für Trimberg, der 40 Jahre „ein mittelmäßiger Lehrer in einer mittelmäßigen Schule im mittelmäßigen Bamberg“ war, muss es im Alter jenseits der 50 Jahre ein Bedürfnis geworden sein, „seine Morallehre in sprachlich ansprechender Form“ unters Volk zu bringen und etwas Bleibendes zu hinterlassen. Die Ungleichheit der Stände und die gesellschaftliche Ordnung aus den ungelehrten Bauern zu erklären, war das Ziel des „Narrenpredigers“, wie er sich selbst betitelte.
Als theologischer Laie mit hohem Ethos wollte er aber nicht von der Kanzel predigen, sondern wählte die schriftliche Moralpredigt in Versen. Seine Kritik an Adel, Geistlichkeit und Emporkömmlingen mag so weniger populistisch gewesen sein, dafür aber nachhaltiger: Seine Ansicht „Nur wer schreibt, der bleibt“ bewahrheitet sich in der Zahl von rund 60 erhaltenen Original-„Rennern“. Das sei viel im Vergleich zu anderen Werken jener Zeit, so Weigand, und lasse auf eine weite Verbreitung schließen: Trimbergs „Renner“ war scheinbar wirklich – nach heutigem Verständnis – ein Renner.
„Fast architektonisch“ nannte Weigand schwärmerisch den „Bauplan“ der Süden- und Heilslehre im „Renner“. Dass Trimberg seine Aussagen zu allgemeinen moralischen Fragen scheinbar ohne roten Faden in tausenden Versen niederschreibt und dabei doch exakt das Schema seiner moraldidaktischen Lebenslehre einhält, spreche auch für die außerordentliche Gedächtnisleistung des Schulmeisters: angesichts des hohen Werts von Schreibmaterial eine Notwendigkeit in jener Zeit. Zwölf Schriften soll Hugo von Trimberg, der zeitlebens kein reicher Mann war und auch den Erfolg seines Hauptwerks wohl nicht mehr erlebte, übrigens verfasst haben: Fünf sind namentlich bekannt, von den vier erhaltenen sind drei in Latein geschrieben.
Stolz auf die Heimat
Als „rechter Franke“, so auch der Titel von Weigands Vortrag, war er sehr stolz auf seine Heimat und dürfte sie zeitlebens nicht verlassen haben. Nichtsdestotrotz stamme vom ihm die älteste Charakterisierung deutscher Dialekte überhaupt: Dass Schwaben „ihre Wörter spalten“, während die Franken sie „falten“, lautete seine Beobachtung. Trimberg überlieferte auch, „dass es im spätmittelalterlichen Franken Sitte war, dass während gelehrter Vorträge die Frauen den Männern und Kindern die Köpfe nach Läusen absuchten. So gesehen haben wir uns kulturell ein klein wenig weiterentwickelt“.
Rudolf Kilian Weigand
Der gebürtige Gerolzhöfer wurde nach dem Abitur (1975) zunächst Zeitsoldat und studierte ab 1977 Deutsch, Geschichte, Erdkunde und Recht in Würzburg und ab 1983 Geschichte und Germanistik in Eichstätt. Dort promovierte er 1987 zum „Dr. phil“. In seiner Habilitation 1994 befasste er sich mit: „Der ,Renner' des Hugo von Trimberg. Überlieferung, Quellenabhängigkeit und Struktur einer spätmittelalterlichen Lehrdichtung“. 2001 wurde er Geschäftsführer der Forschungsstelle für geistliche Literatur des Mittelalters der Universität Eichstätt und zehn Monate später „außerplanmäßiger Professor“.