84 Seiten auf kopierten, zusammengehefteten DIN A4-Blättern in Schwarz/Weiß. Handpaginiert, teilweise handgeklebt, hin und wieder sogar handschriftlich befüllt, ansonsten jede Menge verschiedener Schriftarten, grobkörnige Bilder. Internetauftritt oder Facebookseite Fehlanzeige. Alles streng analog. Ein Anachronismus in jeder Hinsicht.
Und doch: „Der kosmische Penis“ (Untertitel: „Das Organ der freien Jugend“) wird demnächst 100 – so zumindest der bewusst irreführende Slogan. Am 24. November erscheint die 100. Ausgabe, das Fanzine feiert im kleinen Saal des Schweinfurter Stattbahnhofs, ab 19 Uhr mit einer einstündigen Live-Sendung des Zündfunks auf Bayern2 mit Moderator Achim Bogdahn, danach dann ohne Radio mit alten Weggefährten, Autoren, Zeichnern und Musikern wie Matze Rossi oder Karo.
Die Macher: Jimij Günther, Geschäftsführer des Schweinfurter Kulturpackt, und Wolfram Hanke, Reporter beim Bayerischen Rundfunk, beide längst Familienväter, beide über 40 beziehungsweise über 50.
Der Inhalt: Neues aus der Heimat, Satire, Szeneklatsch und Musikkritik – mit fließenden Grenzen. „Wir sind schon immer eine Plattform für alle Leute, die was schreiben wollen“, sagt Jimij Günther. „Was nicht rechts ist, nicht langweilig und nicht ganz schlecht geschrieben, kommt rein.“ Das kann die Reise-, Band- und Szene-Reportage aus Oslo sein oder das Update zu Andreas Kümmert. Das kann ein Bericht über die Zerstörung von herman de vries' Installation „Sanctuarium“ in Stuttgart sein, ein Essay mit dem Titel „Der Teufel hat das Internet gemacht“ oder die Würdigung kurioser Magazine, auf die sich eine Mitarbeiterin spezialisiert hat. Oder die Kolumne „Die Berührerin“, in der eine Ex-Schweinfurterin in Berlin von ihren Erlebnissen als Anbieterin erotischer Massagen berichtet.
Immer spielt die Lokalpolitik eine Rolle – lange Jahre etwa der Kampf gegen das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld, in letzter Zeit eher der gegen das Erstarken rechter Kräfte. Aber das Fanzine, nach „Trust“ das zweitälteste in Deutschland, erfreut sich anhaltender Beliebtheit weit über Schweinfurt, Franken und Bayern hinaus und damit einer stabilen Auflage von 250 Exemplaren.
Spezialisierte Internetplattformen verfolgen die Aktivitäten, eine rezensiert sogar jedes neue Heft. Etliche Indie-Labels decken die Redaktion unaufgefordert und hartnäckig mit Rezensions-CDs ein – „die finden das geil, weil es komplett analog läuft“, erzählt Hanke. „Alles andere würde unserem Punkrock-Status widersprechen“, ergänzt Günther.
Nicht mehr ganz so brisant wie in den frühen Jahren ist die Klatschkolumne „Schlüsse & Küsse“, die anfangs vor allem enthüllte, wer auf welcher Party oder in welchem Backstage-Bereich mit wem rumknutschte. Oder mehr. Das konnte dann schon mal zu aufgestochenen Fahrradreifen bei Jimij Günther oder einer öffentlichen Heftverbrennung Verärgerter führen. „Heute müssten wir über Scheidungen oder ähnliches berichten“, sagt Hanke, „das wäre nicht so lustig.“ Hin und wieder kommt dafür eine Todesmeldung.
Die Marke „Penis“ ist vielseitig: In unregelmäßigen Abständen erscheint die „Penis-Kassette“ (inzwischen bei gleichem Namen auf CD), ein Mixtape mit Songs regionaler Bands oder welchen, die hier auftreten. Und einmal im Jahr veranstaltet das Fanzine den „Grand Prix de la Chanson de Penivision“, einen schrägen Liedermacherwettbewerb, bei dem es Penis-Trophäen aber auch das legendäre Leberwurschtbrot zu gewinnen gibt.
Klingt vor allem nach anarchischem Spaß, das Projekt ist mit den Jahrzehnten dennoch zu einem soliden Archiv regionaler Jugendkultur angewachsen. „Niemand außer uns hat all diese Ereignisse so lückenlos dokumentiert“, sagt Jimij Günther.
Der kosmische Penis wird 100: Die 100. Ausgabe erscheint am 24. November. An diesem Tag ab 19 Uhr eine Stunde Livesendung des „Zündfunk“ des BR aus dem kleinen Saal des Stattbahnhofs. Danach Fest mit Weggefährten, Autoren, Zeichnern und Musik.
Penis-Verkaufsstellen: Immerhin, H2O und Cairo in Würzburg; Stattbahnhof und Buchhandlung Collibri in Schweinfurt; Musicland Bamberg.