Es ist der 25. Juli und ein erlesenes Publikum gönnt sich noch ein kühles Wasser bei 36 Grad im Spitalgarten. Doris Pfaff hat zusammen mit ihren Kollegen – Julia Rehder, Leiterin der Stadtbibliothek, und Tanja Hußlein – in den letzten Monaten das Programm zusammengestellt, organisiert und die Public Relations gemacht. Es könnte nicht schöner sein. "Es ist ein herrlicher Sommerabend und unsere Gäste lauschen im Ambiente des Spitalgartens der wunderbaren Stimme Martin Menners", freut sich Julia Rehder. Doris Paff begrüßt den Schauspieler, der bereits seit dem Theaterstück "Du musst dran glauben" in Gerolzhofen bekannt ist. Diesmal begeistert er sein Publikum als Vorleser und gibt ihnen das beruhigende Gefühl, dass Fehlschläge und Niederlagen in der Küche jedem passieren können. Manchmal hilft schon ein gutes Kochbuch weiter – in der Not zwischen logistischer Höchstleistung und Zutatenwahnsinn.
Sind wir doch mal ehrlich. Wie viele Kochbücher besitzen wir und welche taugen tatsächlich etwas? a) Zu wenige; b) Genau die richtige Anzahl; c) Zu viele.
"Wer b) ankreuzt, wird disqualifiziert, weil er entweder lügt oder selbstgefällig ist oder sich nichts aus Essen macht oder alles perfekt im Griff hat. Wer die höchste Punktzahl erreichen will, muss sowohl a) als auch c) ankreuzen." So sieht es Julian Barnes. Der 1946 geborene Brite erhielt zahlreiche europäische und amerikanische Literaturpreise. In seinem Buch "Fein gehackt und grob gewürfelt schreibt er über das Kochen. Er entlarvt den Pedanten in der Küche, der gläubig und ängstlich Kochbücher konsultiert. Nicht selten scheitert gerade er an dem Anspruch eines ausgeklügelten Rezepts und dem Resultat.
Haben Sie sich schon einmal über ein Rezept geärgert oder wünschten sich eine einfachere neue Methode des Risotto Kochens? Wer schon einmal ein Risotto gemacht hat, kennt dieses Zittern und Zagen in den letzten zwanzig Minuten, die über Top oder Flop entscheiden- wenn es um das richtige Gespür von rühren, Flüssigkeit angießen, rühren, angießen geht. Kaum entdeckt man ein Rezept, das einem verspricht, das alles viel einfacher und ebenso lecker hinzubekommen ist, stellt man erstaunt fest, dass einem genau dieses Zittern und Zagen fehlt.
Menner gelingt es beim Vorlesen die Zuhörer genau da abzuholen, wo sie selbst schon in der Küche Kopf standen. Wenn der Ehrgeiz geweckt ist, einem das Wasser schon im Mund zusammenläuft beim Anblick des saftigen Stücks Rindfleisch mit Vichy-Karotten auf einer Jus Irgendwas. Das Rezept wurde studiert, die Zutatenliste bis ins kleinste Detail eingehalten, ebenso die Garstufen, die Ruhezeiten – alles. Und doch muss etwas auf dieser Odyssee schief gelaufen sein. Denn auf dem Teller vor einem liegen schlaffe Möhrchen, das Fleisch ist zäh und die Sauce ähnelt eher einem Kartoffelsud denn einer edlen Essenz aus dem Saft der Zutaten.
Zurück bleibt dieses nagende Gefühl, versagt zu haben, obwohl man sich doch so sehr bemüht hatte. Tröstlich kann dann folgende Einsicht sein: "Die lügen doch alle in den Rezepten- das geht so gar nicht!" Das ist ein bewährtes Hilfsmittel zu Selbstabsolution. Der Verfasser des Rezepts trägt die Schuld.
Barnes beschreibt auf hinreißende Art das territoriale Problem der Zutaten. Wenn ein Kochbuch-Verfasser vorschlägt, vier handgroße Schweinekoteletts und zwei Chicorées mit dem Gesicht nach unten in eine Pfanne zu geben, stößt der Koch schnell an die Grenzen einer durchschnittlichen Pfanne im normalen Haushalt. Es ist schlichtweg nicht möglich. Wie bestimme ich eine Handgröße, ohne empirische Vergleichswerte von Kinderhänden und denen eines Zirkusriesen zu erheben?
Und genau das treibt den Pedanten in der Küche in den Wahnsinn – ungenaue Portionsangaben. Was bedeutet eine Prise, eine Messerspitze, wie groß sind mittlere Zwiebeln und wann wird aus einem Tropfen ein veritabler Regen? Wer sich gewissenhaft an die genaue Zubereitung halten möchte, fängt jetzt wie die zu grob oder zu fein gehackten Zwiebeln in der Pfanne an zu schwitzen. Er gehört eben nicht zu der Gattung Koch, die freigeistig experimentiert, mit Lebensmitteln, Gewürzen, Temperaturen jongliert und ein kulinarisches Naturtalent ist. Er vermisst die genauen Schritte und Alternativzutaten in Rezepten, falls mal keine frischen Kräuter, sondern nur getrocknete vorrätig sind. Wenn statt Blaufisch auch noch Graufisch, Rosafisch oder Gelbfisch beim Händler geordert werden kann.
Barnes greift die Klassiker der britischen Küche auf und ihm gelingt es, mit scharfsinniger Beobachtung und Humor dem Leser die Angst zu nehmen. Er steht dazu, ein Pedant zu sein. Pedant oder Nicht-Pedant sei lediglich ein Ausdruck des Temperaments und habe nichts mit der Qualität der jeweiligen Küche zu tun.
Außerdem warnt er auch eindringlich davor, sich beim Kauf eines Kochbuches von schönen Bildern verleiten zu lassen. Den Fotografen gelänge es heute dank bester Nachbearbeitung, das Gericht übernatürlich lecker aussehen zu lassen. Vorgegaukelte Ästhetik und Realität klafften dann gerne meilenweit auseinander.
Alle diese Tücken und Herausforderungen transformiert Martin Menner in seiner lebendig-frischen Vorlesung mit einer Mischung aus Mimik, Stimmvolumen und einer ganz entspannten Prise Charme und Selbstironie. Er selbst ist hauptberuflich Schauspieler, hat jedoch viel Erfahrung im Service und als Koch in der Gastronomie gesammelt. "Ich habe mich im beruflichen immer genau an die Angaben der Küchenchefs gehalten", berichtet er, "privat bin ich jedoch kein Pedant und koche lieber freimütig." Er habe ungefähr 50 bis 60 Kochbücher und auf die Frage hin, was sein Lieblingsgericht sei, antwortet er mit einem spitzbübischen Lächeln: "Meine Mutter macht die beste Pasta Sauce und ihre sächsischen Quarkkeulchen sind unschlagbar."
Und so gehen wohl einigen Gästen an diesem Abend die Gerichte ihres Herzens oder die besonders misslungenen Kochprojekte durch den Kopf. "Mein Sohn Manuel und ich pflegen eine mittlerweile langjährige Tradition am ersten Weihnachtsfeiertag", sagt Rainer Krapf. Der engagierte Unternehmer und Stadtrat freut sich jedes Jahr auf das familiäre Küchen-Projekt "Wir entlasten Mutti an Weihnachten". Bisher habe alles immer herrlich geklappt, "bis auf einmal", erinnert er mit einem Zwinkern. "Wir sind am Bürgermeister-Stück vom Charolais-Rind gescheitert."
Doch genau das macht das Kochen aus – diese Transformation von Unsicherheit am Versuchen des Rezepts und der Sicherheit des fertigen Gerichts. Am Schluss sei die Lehre des Kochens ja meistens nicht das perfekte Dinner, sondern, dass Freunde und Familie zusammen essen, man mit anderen teile. So schrieb es auch Joseph Conrad 1923 in seinem "Handbook of Cookery for a Small House", den Barnes in seinem Buch zur Moral des Kochens zu Wort kommen lässt. "Der anheimelnde Einfluss gewissenhaften Kochens befördert die Heiterkeit der Seele, die Anmut des Denkens und jene Nachsicht gegenüber den Schwächen unserer Mitmenschen, welche die einzig wahre Art des Optimismus darstellt. Damit hat das Kochen ein Anrecht auf Verehrung."