
Gut 20 Jahre ist es her, als Lenz Meierott in der Nassacher Flur einen Bauern traf, der ihn fragte, was er da eigentlich mache. Auf die Antwort des Botanikers meinte der Mann trocken „Da derfst aber leff“. Dies sollte das Motto der folgenden Jahre bleiben. Nun liegt das Ergebnis von 28 Jahren intensiver Geländearbeit und umfangreicher Herbar- und Literaturstudien vor: das zweibändige Werk „Flora der Haßberge und des Grabfeldes. Neue Flora von Schweinfurt“. Präsentiert wurde das Werk vor rund 100 Gästen in der Rathausdiele, was in Botanikerkreisen einer Großveranstaltung gleicht.
Selten war eine Veranstaltung mit mehreren Grußworten und Vorträgen so unterhaltsam wie diese Präsentation und strafte diejenigen Lügen, die glaubten, die Botanik sei ein eher trockenes Gebiet und der Botaniker als solcher introvertiert, vielleicht gar ein wenig langweilig. Im Mittelpunkt stand Lenz Meierott, bis 2007 im Hauptberuf Musikwissenschaftler an der Hochschule für Musik in Würzburg und in jeder freien Minute detailversessener Feldforscher mit ungewöhnlich langem Atem. Davon zeugt seine zweibändige Publikation mit ihren 1448 Seiten, die bei ihrer Vorstellung mit Superlativen bedacht wurde.
Ein Meilenstein
Professor Detlev Drenckhahn aus Würzburg beispielsweise, Präsident des World Wide Fund For Nature (WWF) Deutschland, nannte die „Neue Flora“ einen Meilenstein mit überregionaler Ausstrahlung, von dem zu erwarten sei, dass er sich zum Standardwerk entwickelt. Zugegeben, das Werk wendet sich in seiner Ausführlichkeit und wissenschaftlichen Sprache in erster Linie an Fachleute. Aber auch der interessierte Laie findet spannende Aspekte zu Landschaftsgeschichte, Naturschutz, Geschichte der floristischen Erforschung und über botanische Besonderheiten wie den Frühlingsenzian, der seit gut 50 Jahren in unserer Gegend ausgestorben ist. Der wuchs auf den Fröschbachwiesen zwischen Grettstadt und Schwebheim, unweit der berühmten Grettstadter Wiesen, die schon vor rund 350 Jahren einen gewissen Michael Fehr, Mediziner und Stadtphysikus zu Schweinfurt und Mitbegründer der Academia Naturae Curiosium (dem Vorläufer der Leopoldina), zu wahren Hymnen veranlasst haben: „Hier scheint Flora ihren Sitz zu haben und Apoll inmitten der Musen und Grazien zu tanzen“, schrieb er in seiner „Anchora Sacra“. Die zwölf Seiten über die Grettstadter Wiesen in dieser Schrift gelten als erste detaillierte Beschreibung eines Pflanzenbestandes in unserer Gegend.
Mitte des 19. Jahrhunderts, zum 200-jährigen Bestehen der Leopoldina, gaben Friedrich Emmert, Pfarrer zu Zell, und sein Schwiegersohn Gottfried von Segnitz die wissenschaftliche Arbeit „Flora von Schweinfurt“ heraus. Auf dieses Werk nimmt Lenz Meierott mit dem Untertitel „Die neue Flora von Schweinfurt“ ausdrücklich Bezug. Er freute sich, dass die Urenkelin des Gottfried von Segnitz zur Präsentation erschienen war und dass dieser Tage ein Reprint der „alten Flora“ erschienen ist.
3116 Sippen gefunden
Das nun erforschte Gebiet wird in etwa von den Städten Schweinfurt, Bamberg, Coburg und Bad Neustadt begrenzt. Erfasst wurden 3116 Sippen, also Arten und Unterarten von Farn- und Blütenpflanzen. Eine Mammutaufgabe, die kein Universitätsinstitut leisten könnte, sagte Detlev Drenckhahn und bedauerte, dass es viel zu wenig Geld dafür gebe. Schließlich leiste Feldforschung auch einen Beitrag zum Naturschutz. Auch Privatdozent Dr. Thomas Gregor vom Frankfurter Forschungsinstitut Senckenberg brach eine Lanze für die vielen ehrenamtlichen Botaniker, die die Rohdaten erfassen, mit denen dann gut bezahlte Biodiversitätsstatistiker arbeiten.
Gregor zollte Meierott größtes Lob. Er habe fünf neue schwierige Arten umfassend beschrieben, schwierig deswegen, weil der Begriff „Art“ eine menschliche Fiktion sei. Denn Pflanzen verändern sich ständig, passen sich immer wieder neuen Gegebenheiten an. Gewächse, die es dem Botaniker besonders schwer machen, sind der Löwenzahn und die Brombeere. Sie treten in so unterschiedlichen Formen auf, dass sich die Fachleute geeinigt haben, nur die wichtigsten zu beschreiben und dabei europaweit immer noch auf mehr als 2000 kommen.
„Eine Mammutaufgabe, die kein Universitätsinstitut leisten könnte“
Detlev Drenckhahn, Präsident des WWF Deutschland
Eine ganz seltene Brombeerart wurde bei Köslau in den Haßbergen entdeckt, zwei Sträuchlein von Rubus arduennensis, der Ardennen-Brombeere. Eine Besonderheit auch Pulmonaria angustifolia, von der gut 1500 Exemplare im Grabfeld gezählt wurden. Das schmalblättrige Lungenkraut gilt als stark gefährdet, vor allem wegen der Störung naturnaher Waldränder.
Eine schöne Geschichte findet der Leser über Dracocephalum ruyschiana, den Nordischen Drachenkopf, der in ganz Deutschland ausgestorben ist. In Mainfranken erstmals entdeckt wurde er vom Schweinfurter Arzt Johann Gottlieb Voit (1787–1813) bei Grettstadt und im Kapitelwald bei Grafenrheinfeld. Durch diesen Wald ging 130 Jahre später ein Schweinfurter Naturfreund in feuchtfröhlicher Stimmung, als er plötzlich ein Exemplar dieses Drachenkopfs sah und mitnahm. Seitdem blieb die Pflanze unauffindbar.
Jede der gefundenen 3116 Sippen (Arten und Unterarten) ist im Florenwerk aufgeführt, ihr Vorkommen in einer gerasterten Karte eingetragen. Dazu kommen 338 Farbabbildungen auf 1448 Seiten. Eine Größe, die Autor und Verleger an die Grenzen des Möglichen gebracht hat, betonte Verleger Helmuth Schmid, der das Werk nach zweijähriger Arbeit nun mit nach Schweinfurt brachte. Darüber freute sich nicht zuletzt auch Oberbürgermeisterin Gudrun Grieser, die im Namen der Stadt die Glückwünsche aussprach.



