Unsere fränkische Landschaft ist geprägt durch eine Vielzahl von Martersäulen und Feldkreuzen. Menschen in der Renaissance und im Barock haben als Zeichen ihrer Frömmigkeit oder als Erinnerung an ein Unglück solche steinerne Zeugen in der Flur aufrichten lassen. Einer der interessantesten Bildstöcke ist der so genannte Göcker-Bildstock unterhalb des Judenfriedhofs. Das Kunstwerk, das nun restauriert werden muss, ist ein Zeitzeuge der Hexenverfolgung und der Gegenreformation unter Fürstbischof Julius Echter am Vorabend des Dreißigjährigen Kriegs – und genau mit dieser Epoche beschäftigt sich ja das diesjährige Kulturprogramm und das Wandeltheater.
Der Bildstock entstand im Jahr 1621. Nach fast vier Jahrhunderten in Wind und Wetter bedarf das Marterle nun einer Sanierung. Besonders der Bildaufsatz droht sich zu spalten, wenn nicht bald Fachleute Hand anlegen. Longin Mößlein hatte schon vor Jahren noch in seiner aktiven Zeit als Kreisheimatpfleger bei der Stadt auf den dringenden Sanierungsbedarf hingewiesen. Doch erst jetzt geht man das Ganze an. Sehr hilfreich ist dabei eine Spende von 3000 Euro, die die VR-Bank Gerolzhofen aus ihrem Gewinnspar-Topf nun der Stadt zukommen lässt.
Ein Hahn im Wappen
Der Bildstock wurde einst vom Gerolzhöfer Ratsherrn Johann Göcker in Auftrag gegeben. Wer war dieser Göcker, der als Familienwappen einen nach rechts schreitenden Hahn führte? Recherchen im Stadtarchiv bringen die Lebensgeschichte eines nicht unumstrittenen Mannes ans Licht, der unter tragischen Umständen sein Leben verlor.
Erste Erwähnungen der Familie finden sich schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Mehrfach erwähnt wird ab 1568 ein Ratsherr Michael Göckerlein, der zwei Häuser in der Centvorstadt in der Windheimer Gasse (die heutige Bahnhofstraße) sein Eigen nennt. Sein großes Anwesen befand sich direkt an der Ecke Grabenstraße/Bahnhofstraße.
Göckerlein übernahm als Stadtrat jährlich wechselnd die unterschiedlichsten Ehrenämter. So war er zehn Jahre lang ab 1572 einer der geschworenen Steinsetzer. Ab 1571 bis 1584 war Göckerlein der Oberbaumeister der Stadt, der die Rechnungsführung für alle kommunalen Bauprojekte innehatte. 1579 wurde er zum Unterbürgermeister gewählt, 1581 zum Oberbürgermeister und 1583 zum Oberbethmeister.
Als Fürstbischof Julius Echter anno 1586 mit großem adeligen Gefolge in der weitgehend evangelisch geprägten Stadt Gerolzhofen erschien, um im Zuge der Gegenreformation wieder den alten Glauben durchzudrücken, gehörte Ratsherr Michael Göckerlein zu den Bürgern, die darauf beharrten, ihren von ihren Vätern und Großvätern überkommenen Glauben zu behalten. Echter griff hart durch, die glaubensfesten Protestanten hatten die Konsequenzen zu tragen: Der Fürstbischof entließ Göckerlein aus dem Stadtrat und forderte ihn auf, umgehend das bischöfliche Gebiet zu verlassen. Göckerlein zog daraufhin mit anderen Exulanten notgedrungen von Gerolzhofen nach Prichsenstadt, das damals zum protestantischen Brandenburg/Ansbach gehörte.
Häuser wurden nicht verkauft
Ihre Häuser in Gerolzhofen verkaufte die Familie aber nicht. 1588 wird überliefert, dass die Göckerleins jetzt zwar in Prichsenstadt leben, in ihrem Gerolzhöfer Besitz aber zwei Hausgenossen, also Mieter, wohnen. 1591 wird von bischöflicher Seite erneut kritisiert, dass Michael (der jetzt erstmals nur noch Gocker genannt wird) noch immer nicht verkauft hat und neben seinen Ländereien weiter zwei Häuser in der Stadt besitzt.
In den ältesten erhaltenen Grundsteuerlisten aus dem Jahr 1607 taucht dann ein Hans Göcker auf, der die zwei Häuser an der Windheimer Gasse besitzt. Zwar fehlt wegen großer Lücken in den Geburtsmatrikeln der eindeutige Beweis, aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich bei diesem Hans aber um einen Sohn des ausgewanderten Michael Gocker. Das heißt: Entweder ging der Sohn 1586 nicht mit nach Prichsenstadt, sondern blieb bei der übrigen Göcker-Verwandtschaft in Gerolzhofen, die sich wieder zum katholischen Glauben bekannt hatte. Oder er kehrte später in seine Heimatstadt zurück, nahm auf Echter?schen Gebiet den katholischen Glauben an und übernahm die Bewirtschaftung der Liegenschaften seiner Familie.
In den städtischen Sitzungsprotokollen taucht Hans Gockelein erstmals 1589 als Visitator der Gerolzhöfer Schule auf. Dass der Namenszusatz „Herr“ noch fehlt, zeigt, dass Göcker zu diesem Zeitpunkt noch nicht dem Stadtrat angehörte. Zehn Jahre später sieht dies anders aus. 1599 ist Göcker inzwischen Ratsherr geworden und füllt verschiedene Ehrenämter aus. Wie Michael ist auch Hans lange Jahre als Siebener tätig, er wird Oberbethmeister, Fischbeschauer, städtischer Baumeister, Waldvisitator, Spitalpfleger, Fleischschätzer und Unterbürgermeister.
Anno 1608 wird er erstmals als Gerolzhöfer Stadthauptmann erwähnt – ein Amt, das er mindestens bis 1626 bekleidet und das ihn in Kontakt mit den Hexenprozessen bringen wird. In den Jahren 1608, 1613 und 1618 ist er dann sogar Gerolzhöfer Oberbürgermeister.
Die Berufungen in diese Ämter zeigen: Göcker war im Stadtrat und in der Bevölkerung wohl angesehen. Zugleich nimmt sein Wohlstand zu. Göcker arbeitet als Kupferschmiede-Meister, speziell als Kessler. Ein Hinweis auf seinen Beruf findet sich auch auf der Rückseite des Göcker-Bildstocks, wo ein großer Kessel mit einem Henkel eingeritzt ist.
Sein bisheriges Eckgrundstück an der Windheimer Gasse erscheint ihm bald nicht repräsentativ genug. (Das Haupthaus wurde 1607 auf einen Wert von 200 Gulden taxiert, das Nebenhaus auf 100 Gulden.) Das alte Anwesen wird spätestens 1619 an Caspar Gück verkauft. Die Familie kauft im Gegenzug Hans Würk in der Rügshöfer Gasse ein prächtiges Haus ab. Das Anwesen (heute rechts von der Brauerei-Gaststätte Weinig-Wehner gelegen) wird fortan mit einem Wert von 800 (!) Gulden versteuert.
Im Laufe der folgenden Jahre kauft Göcker weitere Anwesen in der Stadt auf, zum Beispiel ein Haus bei der Steinmühle (heutige Bleichstraße) und einen Hof in Rügshofen, dann auch noch den so genannten Heilmannshof und das Haus daneben – das sind Grundstücke gegenüber des heutigen Kinderhauses St. Martin. Sein beruflicher Aufstieg spiegelt sich auch in seinen Ehrenämtern wider: In den Jahren 1628, 1631 und 1632 wird der erfolgreiche Kupferschmied erneut zum Oberbürgermeister gewählt.
Die familiären Zusammenhänge bei Göcker zu erforschen, ist gleich aus mehrfacher Hinsicht schwierig. Zum einen fehlen aus der Zeit zwischen 1580 und 1615 Matrikeleinträge für Taufen und Beerdigungen. Zum anderen gab es – wie bei vielen anderen Familien auch – bei Göckers eine Vorliebe für den Vornamen Johann beziehungsweise Hans. Sohn, Enkel und Urenkel von Hans Göcker hießen ebenfalls Hans. Und der Familienname ist als Göcker, Göckerlein, Gocker, Gockelein, Gecker, Gücker und Köcker zu finden. Noch zu Lebzeiten von Hans Göcker tauchte bereits sein Sohn Hans als Vater von Neugeborenen in den Tauflisten auf. Dieser Hans wird dabei aber stets mit dem Vermerk „der jung“ gekennzeichnet und lässt sich so gut abgrenzen.
Und so könnte die Vita unseres Kesslermeisters Hans Göcker ausgesehen haben: Geboren sein dürfte er zwischen 1565 und 1570. Am 19. Januar 1588 heiratet er Appolonia Schnupp (oder Schaupp), wird als Bürger angenommen und übernimmt als Schulvisitator sein erstes Ehrenamt. Das Paar hat mindestens drei Kinder: Hans jun. (* 5. Oktober 1591), Katharina (* 17. Dezember 1593) und Elisabeth (* 2. Dezember 1594). Am 4. Januar 1596 heiratet Hans Göcker ein zweites Mal. Mit Margaretha Hünner zeugt er Martin (* 26. Dezember 1596), Albert (* 17.Mai 1598), Klara (* 7. August 1599), Petrus (* 29. April 1602), Johannes (* 9. August 1603), Konrad (* 13. Februar 1608) und Elisabeth (* 14. April 1611). Schließlich tritt Witwer Göcker am 27. Februar 1612 zum dritten Mal vor den Traualtar und heiratet Elisabeth Ütterer. Aus dieser Verbindung stammen die Kinder Ottilia (* 27. Januar 1615), Martin (* 21. Januar 1621) und Dorothea (ohne Datum).
Als gegen Ende der Regierungszeit Echters im Jahr 1616 im Gerolzhöfer Gerichtsbezirk der Hexenwahn ausbricht, ist Hans Göcker nahe dran am Geschehen. Der als Hexer angeklagte 50-jährige Jörg Hebeisen berichtet am 6. Mai 1616 im peinlichen Verhör, dass Göcker ein Opfer des zauberischen Treibens gewesen sei. Hebeisen will auf dem Friedhof an der Stadtpfarrkirche eine frische Kinderleiche ausgegraben haben, um sie zu Hexenschmier zu verarbeiten. In der Walpurgisnacht habe er sich dann in den Kuhstall Göckers geschlichen, um ein Kalb mit der Schmier zu bestreichen. Der Schadzauber habe geholfen, das Kalb sei verendet. Jörg Hebeisen wurde am 7. Mai zum Tode verurteilt und eine Woche später am 14. Mai 1616 beim fünften „Brand“ hingerichtet.
Unrühmliche Rolle
In seiner Eigenschaft als Stadthauptmann war Hans Göcker sicher mehrmals dabei, als bewaffnete Gerolzhöfer Bürger gemeinsam mit Centgraf Valentin Hausherr ausrückten, um in der Stadt oder den umliegenden Dörfern angebliche Hexen festzunehmen und deren Häuser nach Belastungsmaterial zu durchsuchen. Centgraf Hausherr spielte dabei eine unrühmliche Rolle. Er fälschte Verhörprotokolle, ließ Gnadengesuche an den Fürstbischof Echter verschwinden, war bestechlich und verstieß gegen die Strafprozessordnung, weil er bei Verhören sofort harte Foltermethoden anwenden ließ.
Als schließlich auch die Ehefrau des Ratsherrn Jörg Mohr in die Klauen des Sadisten geriet, gelang es Mohr, Julius Echter auf die Missstände in Gerolzhofen aufmerksam zu machen. Der Fürst schickte Ende 1616 den Kommissar Vitus Zyrrer in die Stadt, um die Vorgänge zu untersuchen. Dabei kam auch ans Licht, dass Stadthauptmann Hans Göcker eine verhaftete Person aus Alitzheim in Abwesenheit des Centrichters eigenmächtig hatte foltern lassen. Danach habe sich Göcker im Wirtshaus sogar gerühmt, er habe „eine examiniert und bald fertig gemacht“.
Dass Centgraf Hausherr in engem Kontakt zu Hans Göcker stand, zeigt auch der Umstand, dass Göcker dem Richter privat Geld geborgt hatte. Auch noch Jahre später, nachdem Hausherr aufgrund der Ermittlungen verhaftet worden war und im Gefängnis in Würzburg am 28. November 1618 Selbstmord begangen hatte, machte Göcker noch Geldforderungen gegen die Witwe, die „alte Centgräfin“, geltend, letztmalig anno 1629.
Im Gegensatz zu Hausherr scheint Göcker aber ungeschoren aus dem Justizskandal herausgekommen zu sein. Im Jahr 1621 stiftet er den Bildstock. Mit welchem Motiv, das ist unklar. In der gereimten Inschrift auf der Rückseite des Bildaufsatzes lässt der Ratsherr aber tief blicken: Er beklagt das derzeitige Kriegsgeschrei, das Morden – und das Vorkommen der „Ketzer“. Wen er mit Ketzer meinte? Vermutlich die Hexen.
Tod in der Kerkerhaft
1632 war Göcker wieder Oberbürgermeister, als die Schweden das Fürstbistum eingenommen hatten. Weil die Stadt nicht in der Lage ist, die hohen Kontributionen an die Besatzer zu zahlen, lässt der Schweden-Kommandant Karl Hardt den Oberbürgermeister Hans Göcker und den Unterbürgermeister Caspar Volckenstein kurzerhand als Geiseln nach Schweinfurt abführen.
Erst stirbt Volckenstein im Kerker, dann erliegt auch Göcker nach einem erfolglosen Gnadengesuch der Stadt an die Landesregierung in Würzburg – vermutlich im Alter um die 65 Jahre – den harten Haftbedingungen. Der Bürgermeister wird am 5. September 1633 auf dem Friedhof in Gerolzhofen beerdigt. Sein Grab ist dort längst verschwunden. Sein Bildstock aber steht noch immer.