Die Euphoriephase für den Wankelmotor weltweit spielte sich in den 60-er und Anfang der 70-er Jahre ab. Felix Wankel hatte die Umsetzung seiner Ideen an Hutzenlaub abgegeben, der die Vermarktung mit größtem Geschick und Erfolg umsetzte. Erfinder selbst sind dazu in den seltensten Fällen in der Lage. Häufig stehen sie der Nutzung ihrer Erfindung eher im Wege.
Hutzenlaub gelang es, in relativ kurzer Zeit NSU, Curtiss Wright, Mercedes Benz, Fichtel und Sachs, Toyo Kogyo (heute Mazda) und später weitere, für die Wankelidee zu gewinnen. In den Lizenzverträgen war ein Passus enthalten, der alle Lizenznehmer verpflichtete, dem „Wankel-Pool“ beizutreten, mit dem Ziel des Austausches von Versuchsergebnissen und der kostenlosen Nutzung weiterer Schutzrechte untereinander. Sinn und Zweck dieser Vereinbarung war das Senken von Entwicklungskosten und Abkürzen von Entwicklungszeit.
Dieser Wankel-Pool traf sich bei NSU in Neckarsulm. Bei einem dieser Meetings hatte ich Gelegenheit einen frühen Ro 80 für einen Tag zu fahren – und war sofort begeistert. Wenngleich bei Insidergesprächen mit Versuchsleuten durchsickerte, dass man dort durchaus noch Probleme mit der Zuverlässigkeit des Motors sah. Und so kam, was kommen musste: Es gab reichlich Ärger mit dem Motor in der Serie – tatsächlichen und herbeigeredeten. Dieser Ärger führte im Markt zu erheblichem Image-Verlust des Wankels an sich und blieb bei weitem nicht auf NSU begrenzt.
„Na, der wievielte Motor ist denn da drin“, konnte man schon mal hören, wenn man Anfang der 70-er Jahre mit einem W 2000 Versuchsfahrzeug unterwegs war. Und dabei wurden gern mal drei oder fünf Finger gehoben für die Anzahl der ausgetauschten Motoren. „Ars......“, dache man sich dann, „hat keine Ahnung, aber redet dumm daher“. Dachte man. „Ach was, wir haben unseren eigenen Motor, dabei kommt so etwas nicht vor“, das sagten wir von Fichtel & Sachs, weil es unsere Sprachregelung war – und unsere Überzeugung.
„Gesundreden reicht hier nicht, wir müssen etwas tun – wir müssen den Beweis antreten, dass unsere Motoren wirklich standfest sind“. Das war $?? s, die Idee für den 50.000 km-Test war geboren.
HWB steht für Hans Werner Bönsch , zu der Zeit ein renommierter, anerkannter Motorenmann, ehemals BMW. Den holten wir dazu, um der Sache die nötige Seriosität zu geben. Ernst Leverkus (Klacks) und Horst Briel von der Zeitung „PS“ waren sofort Feuer und Flamme und sagten uns uneinge-schränkte Unterstützung zu. „Wer macht?s? Wer leitet das Projekt?“ Zunächst einmal ging es um die Standfestigkeit des Motors – und weniger ums Fahrzeug.
Also waren wir von F&S aufgerufen und weniger unsere Freunde von Hercules. „Herr Maar, wie wär's mit ihnen?“. Siegfried Maar war Meister und Leiter der Versuchswerkstatt, eigentlich dort unabkömmlich. Aber diese Sache war wichtig genug. „Ok, ich mach?s“.
„Sie müssen etwas besonderes machen“, sagte HWB, „zum Beispiel: wie lang ist der Benzinfaden, der aus der Hauptdüse kommt?“ Na ja, das ist doch einfach: 40.000 km, wenn ich einmal um die Welt fahre. Damals konnte ich nicht wissen, dass Hans-Heinrich Dünsing das nicht nur wörtlich nehmen würde, sondern den Sprit-Faden noch erheblich länger spinnen würde als einmal um die Welt. HWB:„Herr Klauke, wenn sie das wissen. Aber können Sie mir auch sagen: Wie entsteht ein Stau? Nein, ich meine nicht so, ich meine rein mathematisch.“ Das war HWB's Hobby. Wie entsteht ein Stau. „Das geht mich nichts an“, pflegte ich dann zu sagen, „ich fahre Motorrad und habe mit Staus nix zu tun“.
Bald hatten wir das Team für die Durchführung zusammengestellt und einen Fahrplan entwickelt. Kernstück war eine Serien-W 2000, deren Motor wir zwar vorher sorgfältig geprüft hatten, der aber ansonsten völlig serienmäßig war. „Wenn wir den Aufwand schon treiben, sollten wir noch ein paar Versuchsträger zusätzlich mitfahren lassen“. Also wurden zwei weitere W 2000 mit Versuchsmotoren ausgerüstet und bereit gestellt
Unter einem Blitzlichtgewitter wurde der Motor der Kern-W 2000 von HWB mit einer Plombe der Nürburgring GmbH verplombt. „So, das wär?s“, sagte Bönsch, „nun kann?s los gehen“. Ziel war also, mit der Kern-W 2000 50.000 km zurückzulegen. Davon sollten die ersten 10.000 km auf normalen Landstrassen mit Stadt-, Überland- und Autobahnverkehr sein. Dazu ausgewählt wurde ein Rundkurs in Mittelfranken. Das ging problemlos. Für die weiteren 40.000 km – einen Benzinfaden einmal um die Welt legen - hatten wir die Nordschleife des Nürburgrings gemietet.
„Mein Gott, wo kriegen wir bloß die ganzen Fahrer her?“ Das war nicht nur ein Kosten- sondern vor allen Dingen ein organisatorisches und versicherungstechnisches Problem. Aber mit Hilfe von „PS“ gelang auch das. Zum Schluss hatten wir Polizisten, Köche, Studenten – kurz junge Leute aus vielen Berufen, einfach begeisterte Motorradfahrer, die teilweise ihren Urlaub opferten, um dabei sein zu können. Und nachdem sich alles einmal richtig eingespielt hatte, ging es Runde um Runde bei Sonnenschein und Regen. Siegfried Maar und seine Leute leisteten ganze Arbeit.
Ab und zu ließen sich auch die Honoratioren von PS, Fichtel & Sachs und HWB höchstpersönlich sehen.
Einmal pro Woche, meistens am Wochenende, fuhr ich selber in die Eifel, um mir ein Bild vom Fortgang der Dinge zu machen. Gewohnt habe ich dann immer im „Hotel Tribüne“, gleich gegenüber Start und Ziel. An diesem Abend drehte ich selbst ein paar Runden und freute mich darüber, wie problemlos das Motorrad lief. „Wer fährt heute Nacht?“ fragte ich Siegfried Maar. „Zuerst der Bäcker zwei Stunden, dann ist der Polizist dran. Und ab 1:00 Uhr übernimmt Lothar Geb.“ Lothar war Versuchsmechaniker von uns aus der Werkstatt in Schweinfurt, ein zuverlässiger junger Mann. „Ok, dann ziehe ich mich mal zurück. Gute Nacht, bis morgen früh.“
Wenn man dann so im Bett lag, bei offenem Fenster, war die Eifel völlig ruhig. Kein Geräusch war zu hören. Nur knapp alle viertel Stunde näherte sich zunächst ganz leise, dann langsam lauter werdend, von der Antoniusbuche Richtung Start und Ziel kommend, das typische W 2000 Geräusch. Schwellte dann wieder etwas ab durch die Südkehre, wurde wieder lauter auf der Gegengerade, um dann Richtung Hatzenbach ganz abzuklingen.
Offensichtlich registrierte man diesen Vorgang auch im Unterbewusstsein. Denn plötzlich fuhr ich aus dem Schlaf hoch - das viertelstündliche Geräusch war ausgeblieben! Ein Blick zur Uhr zeigte mir, dass es zwanzig vor zwei war. Hatte ich mich getäuscht? War was kaputt? Oder ein Unfall? Hastig sprang ich in meine Kleider und lief zu den Boxen. „Was ist los? Ist was passiert?“ „Wir wissen es auch noch nicht. Lothar ist seit einer halben Stunde überfällig.“ Nein, bitte nicht! Bitte nicht jetzt, so kurz vorm Ziel! „Der Transit ist schon unterwegs.“ Eine weitere nervenaufreibende halbe Stunde später sahen wir zwei Scheinwerfer am Horizont auftauchen. Beim Näherkommen sah ich Lothar mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Beifahrersitz des Transits. „Sch...., in der Hatzenbach - die Rechtkurve - abgestiegen – mein Knöchel – muss wohl kurz eingenickt sein –.....“. „Ab ins Krankenhaus nach Mayen“. Und nun die W 2000 hinten im Transit. Ausgeladen und auf den Rädern, Grass und Acker auf der rechten Seite entfernt, sah es gar nicht mehr so schlecht aus. „Eine Fußraste haben wir dabei. Und einen Handbremshebel auch.“ In einer halben Stunde war bereits alles repariert.
Bei einer Proberunde zeigte sich, dass wir Glück im Unglück gehabt hatten: das Motorrad lief wie vor dem Unfall – Gott sei dank. Und Lothars Verletzung erwies sich als eine Verstauchung des rechten Knöchels – kein Bruch. Noch mehr Gott sei Dank!
Die restlichen Kilometer bis zur Marke 50.000 verliefen wieder problemlos. Und als die Zielflagge fiel, fiel auch die Spannung von allen Beteiligten ab. Geschafft. Ein hartes Stück Arbeit. Aber es hatte Spaß gemacht.
„Und nun kommt der Moment, wo der Elefant ins Wasser rennt“, sagte Hans Werner Bönsch neben dem ausgebauten und verplombten Motor stehend, den Seitenschneider in der Hand. Ernst Leverkus und Horst Briel mit schussbereiter Kamera daneben. Wie die Haute Volaute von F&S und Hercules in Anzug und Krawatte.
Ein Schnitt, ein Klick und HWB hatte die Plombe in der Hand. „Her damit, die hätte ich gern“, sagte ich. Und die Plombe verschwand für die nächsten 30 Jahre in meinen Portemonnaie. Irgendwann habe ich sie dann doch verloren – schade.
Zwanzig Minuten später waren alle Gehäuseschrauben entfernt und alle warteten voller Spannung auf den Moment, wo Siegfried Maar das Seitenteil Endseite abnahm. „Ahhhh,“ tönte es durch die Runde, als der Blick auf einen makellosen Kolben fiel. Einige Bogenleisten und Dichtbolzen klebten am Seitenteil – alles so, wie es sich gehörte. Der Exzenter hatte etwas Farbe angenommen – aber alles machte einen tadellosen Eindruck.
PS berichtete in den Folgeausgaben ausführlich und mit vielen Bildern der Motorteile und der beteiligten Personen.
„Sollen wir jetzt als Gruß der W 2000 Fahrer unterwegs die erhobene rechte Faust einführen?“ fragte ich zu Klacks und Briel. „Wofür das denn?“ „Na ja, als Zeichen für 0 Austauschmotoren“.
Alle lachten.