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KREIS SCHWEINFURT
Der Ernstfall wird neu geplant
KKG-Abschaltung: Was die Vergrößerung der Schutzzonen bedeutet
Der Ernstfall wird neu geplant
Nike Bodenbach
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:51 Uhr

Zunächst mag das unlogisch klingen: Das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld (KKG) wird am 31. Mai abgeschaltet – und gleichzeitig arbeiten die Behörden an einer neuen, größeren Katastrophenschutzplanung. Der Hintergrund ist, dass die Evakuierungszonen um sämtliche deutsche Atomkraftwerke erweitert werden (wir berichteten).

Das gilt auch für das KKG. Zumindest so lang, wie im Reaktor radioaktive Brennstäbe abkühlen, bevor sie ins benachbarte Zwischenlager gebracht werden können. Und das wird noch mindestens drei Jahre dauern. „Ein stillgelegtes Kernkraftwerk ist genauso zu behandeln wie ein laufendes“, sagt Karl-Heinz Nusser, Leiter des Ordnungsamts am Landratsamt Schweinfurt und zuständig für Katastrophenschutz.

Für die Behörden bedeuten die größeren Zonen nun einen gewaltigen Koordinationsaufwand. Statt wie bisher zwei Kilometer, erstreckt sich die sogenannte Kernzone nun auf fünf Kilometer um den Reaktor. Aus diesem Bereich muss es möglich sein, die Menschen binnen sechs Stunden zu evakuieren. Die „Mittelzone“ soll von bislang zehn Kilometer auf 20 Kilometer vergrößert werden. Hier müssen die Behörden in der Lage sein, die Bevölkerung innerhalb von 24 Stunden in Sicherheit zu bringen.



Bislang endet die Zone in Dörfern wie Grettstadt, Dittelbrunn und Kolitzheim. Künftig wären auch Orte wie Arnstein, Gerolzhofen, Volkach, Theres und Oerlenbach betroffen (siehe Grafik). Wobei bei einem Atomunfall nicht unbedingt alle Orte gleichzeitig evakuiert werden müssen, denn für die Ausbreitung radioaktiver Teilchen ist vor allem die Windrichtung entscheidend. Deshalb sind die großen Zonenkreise noch einmal in zwölf Sektoren unterteilt. Auf der Landkarte sieht das dann aus wie Kuchenstücke. Theoretisch sind künftig dennoch geschätzt über 200 000 Menschen betroffen, statt bisher 120 000. Wobei Nusser betont: Die Herausforderung bei der Neuplanung ist nicht das Mehr an Menschen, sondern das Mehr an Fläche.

Busse besorgen, Turnhallen kapern – die Dimensionen werden größer. In der neuen Planung geht man davon aus, dass sich 75 Prozent der Menschen mit dem eigenen Auto in Sicherheit bringen werden. In der alten Planung aus den Jahren 1980/81 rechnet man noch mit 50 Prozent. Wobei so kalkuliert wird, dass für die gesamte Bevölkerung Platz in einem Bus wäre. „Wir gehen pro Bus auch nur von einer Zwei-Drittel-Belegung aus“, sagt der Ordnungsamtschef. Platz für Gepäck (und Haustiere!) wäre genug.

Dennoch: „Es darf nicht nur auf dem Papier funktionieren.“ Logisch, aber schwierig. So einen Ernstfall kann man nun mal nicht proben. Wie alles gehen soll, darüber wurden die betroffenen Landratsämter in einer Dienstbesprechung bei der Regierung von Unterfranken informiert. Die Bezirksregierung hat die Federführung übernommen, das früher allein zuständige Landratsamt liefert Knowhow und Daten zu.

Untergebracht werden sollen die Menschen laut Nusser künftig in einem Umkreis zwischen 60 und 100 Kilometern um das KKG. „Das geht ja dann bis nach Thüringen, Hessen, Baden-Württemberg.“ Diese Planung brauche Zeit. Zumal die Behördenwege lang sind. „Die Regierung von Unterfranken kann nicht plötzlich einem thüringischen Landratsamt sagen, was es zu tun hat. Das muss dann wieder über die Staatsregierung“, sagt Nusser.

Wo genau die Menschen eine Notunterkunft finden, diese Zuordnung soll in der neuen Planung ebenfalls geändert werden. Bislang war jedem Ort in der „alten“ Zehn-Kilometer-Mittelzone ein bestimmter Ort zugeteilt, in den die Menschen evakuiert werden sollten. Das soll künftig nur noch im Fünf-Kilometer-Radius der Zentralzone so sein. Für die Orte in der Mittelzone ist laut Nusser geplant, alle Einwohner eines Sektors von einer bestimmten Sammelstelle aus auf Notunterkünfte zu verteilen. Diese Sammelstellen sollen offenbar kurz vor der 60-Kilometer-Grenze eingerichtet werden, hinter der dann die Unterkünfte bereitgestellt werden.

Und dann gibt es noch einen weiteren großen Aufgabenbereich: „Evakuierung und die Jodtabletten-Ausgabe, das sind sicher unsere wichtigsten Aufgaben“, so Nusser. Jodtabletten sollen bei einem Reaktorunfall verhindern, dass sich freigesetzte radioaktive Jodteilchen in der Schilddrüse anreichern. Im Keller des Landratsamts lagern derzeit eine halbe Million dieser Tabletten. In zehn Kilometern um das KKG stehen die Kisten mit den Kaliumiodidtabletten bei den Gemeinden, insgesamt noch mal 450 000 Stück. Im Falle eines Atomunglücks würden sie aus dem Landratsamtskeller auf Apotheken verteilt.

Inwiefern bei der Neuplanung die Vorräte vergrößert werden, kann Nusser nicht sagen – und genauso wenig, was aus der Katastrophenschutzplanung wird, wenn erst alle Brennstäbe im Zwischenlager angekommen sind.

 
 
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  • werntal
    Man sollte nicht so sehr auf der Generation 1960 bis 80 rumreiten. Die AKWs waren damals der Renner. Viele Rafelder Bäuerli haben sich damals drum gerissen, ihre Äcker für sehr gutes Geld zu verkaufen. Viele Leute aus der Umgegend haben dort mit dem Bau ihr Geld verdient.
    Es gab auch damals schon Leute, die dagegen waren. Daraus entstanden dann die Grünen.
    Alle reden von der Gefährlichkeit der AKWs und dem Restmüll. Die Atomwaffenarsenale und der medizinische Restmüll weltweit ist offensichtlich nicht relevant, vielleicht strahlt der auch nicht!
    Für mich ist Ganze ein verlogenes System.
    Uran und damit auch Strahlung gibt es schon seit ewigen Zeiten und die Menschheit lebt trotzdem!
    Das Aus für Grafenrheinfeld finde ich schade!!
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  • hans-martin.hoffmann@t-online.de
    stimmt: Uran gibt es schon lange. Und Plutonium auch.

    Aber ausgegraben, aufbereitet und auf engem Raum in Brennstäben konzentriert hat es erst der Mensch. Und wenn selbiger nicht richtig aufpasst oder es gar mit terroristischer Absicht auf seine Mitmenschen loslässt, passieren Dinge, die mit dem natürlich vorkommenden Material eher nicht passiert wären.

    In Fukushima hat man aktuell einen Roboter geschrottet bei der Mission rauszukriegen, wo das strahlende Inventar abgeblieben ist. Ergebnis: die Strahlung würde einen Menschen innerhalb von ca. einer Stunde tödlich verletzen, und wo das Material genau ist, weiß man nicht, weil der Roboter nach ca. drei Stunden den Geist aufgegeben hat. Tepco und die Regierung gehen aber zuversichtlich davon aus, ab 2020 mit der Bergung des Kernbrennstoffes beginnen zu können.

    Und wissen sie, was mich am meisten beunruhigt? Dass das bei uns in Deutschland vmtl. ganz genauso laufen würde - incl. Zwangsumsiedlung in Wohncontainer ohne Geld und Habe...
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  • Wenn man sieht was für ein Gefahrenpotenzial und Kosten KKW`s mit sich bringen, während und vor allem nach dem Betrieb, fragt man sich warum KKW`s überhaupt gebaut wurden.
    Abbau, Endlagerung usw.allesamt ein Bündel an Todsünden an unserer Erde.
    Ich bin überzeugt, dass die Überbleibsel noch strahlen, wenn es schon keine Menschheit mehr gibt.
    Was ein Wahnsinn und trotzdem werden neue KKS`s aus dem Boden gestampft.

    W.S.
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  • U4564@gmx-ist-cool.de
    ... der Betreiber damit viel Geld verdienen kann. Falls es zum Supergau kommt, dann darf ohnehin der Staat (Steuerzahler) für den Schaden aufkommen, weil kein Betreiber soviel Geld hat und sich ein Supergau ohnehin nicht versichern läßt. Gleiches gilt für die Kosten der Endlagerung, das sieht man ja jetzt an der Asse.
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  • hans-martin.hoffmann@t-online.de
    da hat man seinerzeit den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben in dem Glauben, mit Kernenergie könne man die Stromzähler abschaffen. Dass man hingegen öfter mal den Geigerzähler brauchen würde, hatte man sogar für zieeemlich unwahrscheinlich gehalten. Die Realität zeigt einem dann halt gnadenlos, wo man zu blauäugig gedacht hat...
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