
Das Gedenken zum 84. Jahrestag des Novemberpogroms war von zwei Gedanken besonders geprägt: Einerseits von dem Wiedererstarken eines offenen Antisemitismus und ausgrenzender Gedanken und andererseits auch davon, dass sich in Schweinfurt hunderte von Menschen dagegen engagieren.
Darauf wies Tanyel Taş hin, stellvertretender Vorsitzender der SPD, der namens seiner Partei und der "Initiative gegen das Vergessen" am Gedenkstein, wo ehemals die Synagoge stand, rund 100 Menschen begrüßte.
Traditionell begann das Gedenken mit einem Rundgang zu den Stätten, die für die Geschichte des Nazi-Regimes stehen. Vor dem Rathaus zeichnete Adi Schön die Zeit der Machtübernahme nach. Durch die Judengasse, die Spitalstraße, die zur Adolf-Hitler-Straße wurde, wo es zahlreiche arisierte Geschäfte gab, führte er über den Albrecht-Dürer-Platz zum Gedenkstein. Dorthin waren auch Landrat Florian Töpper, der Landtagsabgeordnete Paul Knoblach und Bürgermeister Ayfer Rethschulte gekommen. Musikalisch gestaltet wurde die Feier vom Evangelischen Posaunenchor unter der Leitung von Wolfhart Berger.
Taş bedauerte, dass heute noch viel Energie vorhanden sei, die sich gegen unser Wertesystem wenden und für Hass und Ausgrenzung stünden. Dagegen sei es gut, dass sich gerade hunderte gegen die Eröffnung der Geschäftsstelle des III. Weges in Oberndorf gestellt oder vor Monaten gegen die Corona-Leugner Position bezogen haben.
In ihrer Ansprache erinnerte die Sprecherin der "Initiative gegen das Vergessen" Johanna Bonengel daran, dass im Jahr 1933 363 Jüdinnen und Juden unter 40.000 Schweinfurtern lebten. Nach dem 30. Januar habe die systematische Umsetzung des nationalsozialistischen Rassenwahns begonnen, dem 69 deportierte und ermordete jüdische Mitbürger zum Opfer fielen.
An den Beispielen der Familien Bildstein und Schlorch machte Bonengel deutlich, wie brutal am 9. Und 10. November 1938 gegen die Schweinfurter Juden vorgegangen wurde. In der Wohnung der Bildsteins am Albrecht-Dürer-Platz kam es zu Zerstörungen, der Bäckerei von Max und Recha Schlorch in der Theresienstraße wurden von Leuten des Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps die Fenster zerschlagen, die Mehlsäcke aufgeschlitzt, auf die Straße geschleppt, während eine Menschenmenge herumstand und gaffte. Die Familie wurde im Raum Lublin ermordet. Hermann und Mina Bildstein wurden in Theresienstadt umgebracht.
Für die Schweinfurter Opfer soll ein gemeinsames Denkzeichen gesetzt werden, dass an der Stadtmauer am Unteren Wall seinen Platz finden soll. Dabei werde "jedem einzelnen Menschen seine Würde zurückgegeben". Bonengel: "Damit soll gezeigt werden, dass die verfolgten, deportierten Jüdinnen und Juden unsere Nachbarn waren. Dass sie dazu gehören. Dass wir sie in die Gemeinschaft und die Sicherheit der Stadt zurückführen wollen. Ohne Erinnerung gibt es keine Zukunft."
Mit einem Gedicht der im Alter von 18 Jahren im KZ Michailowka gestorbenen Selma Meerbaum erinnerte die Schülerin Jule Beck daran, dass die Menschen, die dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer gefallen sind, "Menschen waren wie du und ich. Die einen Wunsch hatten: Sie wollten leben."