Vor ziemlich genau 30 Jahren sorgten die „Schweinfurter Passionsspiele“ für große Aufregung. Ein selbsternanntes Mammutkabarett, organisiert von Aktivisten aus dem damaligen Kulturhaus „Die Schreinerei“, das wochenlang für Gesprächsstoff sorgte. 600 Zuschauer wollten damals das Stück sehen. Aufgeführt wurde es am 1. April 1991 im Rondell vom Fichtelsgarten, dem kleinen Park gegenüber der Schreinerei am Obertor. Eintritt damals: 12 Mark für Reiche, 8 Mark für Arme.
Jürgen Pickel, Spitzname Oskar, fungierte damals als Intendant und war gemeinsam mit Co-Regisseur Klemens Stark Ideengeber für das umstrittene Spektakel. „Wir dachten, wir müssen mal wieder was gemeinsam machen und nicht immer nur Schafkopf spielen“, erinnert sich Jürgen Pickel. „Deshalb haben wir eine Aktion gesucht, bei der man viele Leute braucht und da haben sich Passionsspiele einfach angeboten.“
Die Handlung sorgte für jede Menge Sprengstoff: Jesus als Frau, die am Ende von Autonomen vom Kreuz heruntergeholt wird, die Gerichtsverhandlung als Game-Show und ein vielbeachteter Kreuzzug durch die Innenstadt mit Punks als römischen Ordnungskräften in selbstgebastelten Rüstungen aus Silberfolie. Fast 90 Mitwirkende aus dem Umfeld der Schreinerei waren an den Passionsspielen beteiligt. Eva Gruber hatte damals den Passionschor geleitet, Thomas Richter das Bühnenbild entworfen und das Plakat gestaltet, Steffi Schlessing die Kostüme geschneidert und Regisseur war Uwe Sachs. Für die musikalische Begleitung sorgten die Schweinfurter Punkband Kalter Krieg sowie eine Art All-Star-Ensemble namens „Leidens-Very-Big-Band“.
„Bei den ersten Passionsspielen war die Motivation ganz klar gegen die Kirche als Institution gerichtet“, erklärt Oskar. „Die zweiten Passionsspiele haben sich dann mit der modernen Esoterik beschäftigt. Im weiteren Verlauf hatte es dann eher Freiheitscharakter und es ging darum, der biblischen Geschichte eine andere Trilogie entgegenzustellen.“ Die Genehmigung dafür haben sich die Organisatoren damals mit einem Trick erschlichen. Wie die Griechen mit ihrem Trojanischen Pferd, erzählt Oskar. „Eine Freundin hat die Anmeldung unter dem Decknamen ,Ökumenischer Laienspielkreis' mit einer anderen Adresse zur Stadt gebracht. Damals haben sie nicht gemerkt, dass die Leute von der Schreinerei dahinterstecken. Nachdem die Genehmigung erteilt war, konnten sie auch nicht mehr zurückrudern. Im darauffolgenden Jahr ging das natürlich nicht mehr, deshalb durften wir auch nicht mehr in den Fichtelsgarten. Die zweiten Passionsspiele waren dann ein bisschen versteckt auf der Wiese am Philosophengang.“
Von der lokalen Tageszeitung wurden die ersten Passionsspiele weitgehend ignoriert, erzählt Oskar. Nach den Passionsspielen am Ostermontag hagelte es erboste Leserbriefe im Schweinfurter Tagblatt. „Es war tatsächlich eine schauerliche ,Schweinerei‘, ein Schlachtfest von Evangelien- und Gebetstexten, von Gefühlen und Inhalten, die uns heilig und wertvoll waren“, schrieb der evangelische Pfarrer Martin Steinbach von der Christuskirche. „In diesen ,Passionsspielen‘ wird (…) ganz bewußt die Person Jesu verhöhnt, der Sohn Gottes zur Frau umgedeutet und sein Opfertod am Kreuz zum ,Spektakel‘ degradiert“, schrieb Eberhard Liebald aus Schwebheim.
Viele Schweinfurter regten sich auch über das Motiv der Werbekampagne auf, das Thomas Richter gezeichnet hatte, das im Vorfeld überall in der Stadt zu sehen war. 500 Plakate, 2000 Faltblätter und 5000 Flugblätter hatte die Schreinerei damals anfertigen, aufhängen und verteilen lassen. Auch die Kritik im Schweinfurter Tagblatt fiel verheerend aus. „Leider fehlt es den Texten an allen Ecken an der nötigen sprachlichen und gedanklichen Präzision, um die an vielen Punkten durchaus berechtigte Kritik an der christlichen Lehre und ihren Institutionen anzubringen“, urteilt der Berichterstatter Sven Kesselring. „Vielmehr war es bei Bratwurst und Bier eine oberflächliche Aneinanderreihung von Kalauern“, schreibt er weiter.
Für die Organisatoren, die Mitwirkenden und das Publikum waren die Passionsspiele vor allem eins: ein Riesenspaß. Die Passionsspiele wurden dann noch zweimal wiederholt, jeweils mit neuer Geschichte und teils anderen Darstellern, waren aber lange nicht so erfolgreich wie die erste Ausgabe.