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Gerolzhofen
Das stolze Geläut des Steigerwalddoms
Es ist ein historisches Zeitdokument: Eine alte Fotografie zeigt vier nagelneue Glocken, die am Gerolzhöfer Marktplatz an einem Holzgerüst hängen.
Diese historische, leicht grobkörnige Fotografie wurde jetzt dem Stadtmuseum Gerolzhofen geschenkt. Das Bild entstand offenbar am Nachmittag des dritten  Adventssonntags am 11. Dezember 1949 , als vier neue Glocken für die Stadtpfarrkirche auf dem Marktplatz geweiht wurden.
Foto: Stadtmuseum Gerolzhofen | Diese historische, leicht grobkörnige Fotografie wurde jetzt dem Stadtmuseum Gerolzhofen geschenkt. Das Bild entstand offenbar am Nachmittag des dritten  Adventssonntags am 11.
Klaus Vogt
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:49 Uhr

Das Stadtmuseum Gerolzhofen freut sich über einen interessanten Neuzugang: In der vergangenen Woche schenkte eine alteingesessene Familie dem Museum eine historische Fotografie aus dem Fotostudio Friedrich, das vier an einem Holzgerüst aufgehängte Glocken am Gerolzhöfer Marktplatz zeigt. Obwohl die Fotografie kein Datum trägt, ist klar, bei welchem Anlass das Bild entstand: Am Nachmittag des dritten Adventssonntags am 11. Dezember 1949 wurden bei leichtem Schneeregen vier neuen Glocken für die Stadtpfarrkirche geweiht. Die historischen Vorgänger-Glocken waren gegen Ende des Zweiten Weltkriegs zu Rüstungszwecken eingeschmolzen worden.

Aus Anlass der Schenkung lohnt sich ein Blick in die lange Geschichte der Glocken des Steigerwalddoms.

Ein wichtiger Hinweis auf Glocken in der Gerolzhöfer Stadtpfarrkirche stammt aus dem Jahr 1580, zu finden in einem so genannten Visitationsprotokoll. Damals waren alle paar Jahre vom Bischof in Würzburg beauftragte Geistliche im Bistum unterwegs gewesen, um den einzelnen Pfarreien Kontrollbesuche abzustatten. Dabei wurden der Zustand der Gotteshäuser und ihre Ausstattung, aber auch die seelsorgerische Arbeit der Priester und die Glaubensdisziplin in der Pfarrgemeinde kritisch unter die Lupe genommen und die Recherche-Ergebnisse zu Papier gebracht. Aus dem Protokoll der Visitation der Gerolzhöfer Pfarrei im Jahr 1580 erfährt man, dass die Kirche damals mit vier Glocken ausgestattet war. Mehr Infos gibt es aber nicht.

Experte wird um Rat gefragt

Acht Jahre zuvor waren zwei dieser vier Glocken repariert beziehungsweise erneuert worden. 1571 war ein auswärtiger Glockengießer in der Stadt gewesen, um die Qualität der Glocken oben in den beiden Türmen der Pfarrkirche zu untersuchen. Danach sorgte der angereiste Experte auf Kosten der Stadt für eine ordentliche Zeche im Wirtshaus – und damit auch für eine entsprechende Buchung in der Bürgermeister-Rechnung von 1571, die bis heute Zeugnis gibt von diesem Besuch.

Aktion Nummer eins nach dem Gutachten des Glockengießers: Die "Weinglocke" bekommt einen neuen Klöppel. Diese kleinere Glocke wurde entsprechend einer städtischen Verordnung jeweils am Abend geläutet, um damit das verbindliche Ende des Wirtschaftsbetriebs in den Gasthäusern und Heckenwirtschaften anzuzeigen. Die andere Erkenntnis des Gutachters: Eine andere Glocke im Südturm ist so schadhaft, dass sie nicht mehr repariert werden kann. Anno 1572 kommt es deshalb zur Anschaffung einer neuen Glocke für den Steigerwalddom. Details sind in den überlieferten Rechnungen beschrieben. Und: Diese Glocke von 1572 wird die einzige historische sein, die bis heute noch oben im Glockenturm hängt.

Die Glocke von 1572 hängt bis heute im Südturm der Stadtpfarrkirche Gerolzhofen. Trotz roter Schmierereien gut zu erkennen ist das Kreuzigungsrelief am Glockenmantel.
Foto: Klaus Vogt | Die Glocke von 1572 hängt bis heute im Südturm der Stadtpfarrkirche Gerolzhofen. Trotz roter Schmierereien gut zu erkennen ist das Kreuzigungsrelief am Glockenmantel.

Pferdegespann nach Nürnberg

Neun kräftige Männer hängen an den Seilen, als die alte defekte Glocke vom Turm heruntergelassen wird. Die Glocke wird dann vom Pferdegespann des hiesigen Bürgerspitals nach Nürnberg in die Werkstatt von Christoph Glockengießer gefahren (dessen Beruf war identisch mit seinem Familiennamen). Dort wird die alte Glocke aus Gerolzhofen zerschlagen, eingeschmolzen und mit weiterem zusätzlichen Metall zu einer neuen Glocke gegossen. Den Gesellen und dem Glockengießer wird nach jedem Arbeitsgang beim Schmelzen und beim Glockenguss reichlich Bier gereicht – auf Kosten der Stadt Gerolzhofen. 

Währenddessen laufen zuhause in Gerolzhofen schon die Vorbereitungsarbeiten für die Ankunft der neuen Glocke. Oben in der Glockenstube des Südturms wird ein "steinerner Fuß" gemauert, auf dem der nagelneue hölzerne Glockenstuhl aufsitzt. Dazu werden 38 Pferdefuhrwerke mit Steinen aus dem Steinbruch vor dem Schallfelder Stadttor benötigt. Dazu muss man wissen, dass die Türme damals – noch vor der späteren Umbauaktion unter Fürstbischof Julius Echter – um ein Stockwerk niedriger waren als heutzutage. Sie hatten auch keine hoch aufragenden Dachstühle, sondern wie in der Gotik üblich nur relativ niedrige steinerne Hauben.

Holz aus dem Main

Für den neuen Bretterboden oben in der Glockenstube wird von der Stadt an der Mainlände in Obereuerheim Tannen- oder Fichtenholz gekauft, das auf dem Main geflößt worden war. Zur Stabilisierung des neuen Glockenstuhls werden schließlich noch Eisenstangen eingebracht, die mit Blei im Mauerwerk befestigt werden.

Die neue Glocke wird wieder mit einem Pferdefuhrwerk von Nürnberg nach Gerolzhofen gefahren. Die extra starken Seile zum Hinaufziehen auf den Kirchturm liefert ein Zeugmeister aus Nürnberg. Den Produkten der heimischen Seiler-Werkstätten vertraute man damals offenbar nicht so recht. Die hölzernen Kloben, wo die Seile durchlaufen und die Glocke eingehängt wird, werden dick mit Öl geschmiert. Und dann heißt es, die Glocke mit Muskelkraft in den Turm hochziehen.

Kunstvoll gestaltet

Die neue Glocke aus der Werkstatt der Familie Glockengießer hat einen Durchmesser von 1,25 Meter. An ihrem kunstvoll gestalteten Mantel sind die drei Reliefs der Kreuzigung, von Petrus und Paulus und von Adam und Eva zu sehen. Die zweizeilige Umschrift in gotischen Minuskeln lautet: "zun gottes dinst geher ich/das volck zu rueffen teglich/zum wort gottes allezeit/darumb man mich billig leut/zu Geroltzhoffen ein erbar Rat/mich zu giesen bevolhen hat/das geschehen ist furwahr/im 1572 jar/durch christof glockengiesser gemacht/zu nurmberg auff begeren volpracht".

Die Glocke von 1572 in einer Nahaufnahme: Man erkennt die reiche Verzierung und über der Jahreszahl 1572 den Textausschnitt 'zum wort gottes'.
Foto: Klaus Vogt | Die Glocke von 1572 in einer Nahaufnahme: Man erkennt die reiche Verzierung und über der Jahreszahl 1572 den Textausschnitt "zum wort gottes".

In den folgenden Jahrzehnten nach 1572 machen die Glocken im Steigerwalddom offenbar keine Probleme. Erst 1641 zerspringt dann die kleine Glocke. Sie wird heruntergelassen und repariert. 1650 ist in den Rechnungen wieder von einer Glockenweihe die Rede, ohne allerdings Details zu nennen. Offenbar wird das Geläut jetzt um eine fünfte Glocke erweitert. 1664 ist dann der Glockenschwengel der großen Glocke defekt. Er wird zur Reparatur nach "Suul" (offenbar Suhl in Thüringen) gefahren, während die große Glocke "anders gehängt und verbessert" wird.

Glocken werden "gewendet"

1675 fällt das kleine Uhrglöcklein wieder herunter und zerbricht im Glockenhaus. Die Reste werden nach Würzburg transportiert und dort vom "Herrn Stückh Kiesser" (Berufsbezeichnung Stuckgießer) zu einem neuen Glöcklein umgegossen. In den Folgejahren gibt es regelmäßig kleinere Ausgaben in den Kirchenrechnungen für das "Wenden" der Glocken. Dies haben zumeist die örtlichen Schmiede oder Schlosser erledigt. Mit dem "Wenden" einer Glocke erreicht man, dass der Klöppel dann an einer anderen Stelle anschlägt. Es ist eine Vorsichtsmaßnahme gegen zu viel Verschleiß an nur einer Stelle.

Anno 1711 kommt es bei einer der fünf Glocken dann zu einem Totalschaden. Die Glocke zerspringt während des Läutens, der Klöppel macht sich selbstständig, fliegt durch das Turmfenster und durchschlägt draußen das Kirchendach. Die Schäden am Dach sind enorm. Der Schieferdecker Niclaus Kopp aus Kitzingen macht es wieder dicht. 

Neue Glocke aus Würzburg

Nach dem Glocken-Crash beschließt man, eine neue Glocke anzuschaffen. Den Auftrag dazu erhält der Würzburger Stuckgießer Johann Ignatz Kopp. Es ist die Geburt der "St. Johannis Evangelista", die künftig als "große Glocke" bezeichnet wird. Die alte zersprungene Glocke, die zu Ignatz Kopp gefahren worden war, hatte 953 Pfund gewogen. 858 Pfund Metall blieben davon – laut Rechnung – nach der Schmelze noch übrig. Zusätzlich benötigte der Stuckgießer noch 544 Pfund neues Metall für den Gießvorgang. Die Lieferung der fertigen Glocke nach Gerolzhofen erfolgte am 11. Mai 1712. Der Hammerschmied Ferdinand Walcher aus Würzburg lieferte dazu den Schwengel.

Diese Aufnahme, ebenfalls anlässlich der Glockenweihe 1949 entstanden, gibt es bereits im Bestand des Stadtmuseums.
Foto: Stadtmuseum Gerolzhofen | Diese Aufnahme, ebenfalls anlässlich der Glockenweihe 1949 entstanden, gibt es bereits im Bestand des Stadtmuseums.

Nur 70 Jahre später kommt es dann zur nächsten Glocken-Aktion:  1782 zerspringt die "große Mittagsglocke", also die noch recht neue "St. Johannis Evangelista". Gemeinsam mit zwei anderen "geringen" Glocken wird sie nach Würzburg zum Umgießen gefahren. Die Glocke von 1572 bleibt im Turm zurück.

Insgesamt 555 Gulden soll die ganze Maßnahme der Stadtgemeinde laut Kostenvoranschlag kosten. Man ist deshalb sehr gespannt, als die drei umgegossenen Glocken nach Gerolzhofen zurückkehren. Die neue rund 1400 Pfund schwere Johannis-Glocke als "große Glocke" hat jetzt die Umschrift bekommen "Transfusa est hac campagna 1782 sub regim.: Joseph II. imp. et Francis.Ludov: epis: et franc: orient ducis" in Würdigung für den damaligen Fürstbischof Franz Ludwig von Erthal. Die so genannte Schulglocke erhält die Umschrift "Anno 1782 soli deo gloria in Würzburg gegossen" und die Mess-Glocke mit der Umschrift "Kilianus ora pro nobis! in Würzburg gegossen Anno 1782". Die Weihe der Glocken erfolgt durch den Weihbischof-Kaplan. 

Der Klang enttäuscht

Die Enttäuschung ist dann aber groß, als die Glocken zum ersten Mal geläutet werden. Der Klang ist alles andere als zufriedenstellend, sondern "etwas dumpf", wie in einem Aktenvermerk im Stadtarchiv nachzulesen ist. Die Stadt zweifelt deshalb an, dass die Gießerei "das rechte Metall verwendet hat". Man ist nur bereit, maximal 462 Gulden zu zahlen.  Es scheint auf einen Rechtstreit hinausgelaufen zu sein, über dessen Ausgang sich aber (noch) kein Beleg im Stadtarchiv finden lässt.

Anno 1872 wird das Torhaus am Ausgang der heutigen Spitalstraße abgebrochen. Das 80 Pfund schwere Uhren-Glöcklein aus dem Dachreiter wird zunächst in den Türmersturm (ehemals auf der Marktstraße bei der heutigen Schreinerei Hacker) gehängt, wo sich schon ein weiteres, ebenfalls 80 Pfund schweres Glöcklein befindet. Als im Februar 1877 dann auch der Türmersturm nach 366 Jahren abgebrochen wird, kommen beide kleine Glocken in den Nordturm der Stadtpfarrkirche.

Geläut mit sieben Glocken

Laut einem Inventarverzeichnis von 1885 befinden sich nun auf dem Südturm der Kirche die große Glocke, die 12-Uhr-Glocke, die 11-Uhr-Glocke und das Messglöcklein. Im Nordturm hängen das Sterbeglöcklein und die zwei Glocken vom Türmersturm.

Teil zwei der Gerolzhöfer Glocken-Geschichte erscheint zum Wochenende. Dann geht es um die bewegten Zeiten im 20. Jahrhundert und um die dunklen Stunden, als die Glocken von den Nazis zum Einschmelzen abgeholt werden. 

 
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