„Wir essen jetzt, Opa“ und „Wir essen jetzt Opa“. Mit diesen beiden Sätzen erklärt Professor Rainer Leng seinen Studenten an der Universität Würzburg die Wichtigkeit eines Kommas. Das Komma im ersten Satz rettet dem Opa das Leben, sorgt sogar dafür, dass der gute Mann etwas zu essen bekommt und verhindert auf alle Fälle Kannibalismus.
Nicht ganz so lebenswichtig, aber doch stark irreführend ist ein vergessenes Komma in Rainer Lengs Buch „6. April 1945 – Frauenaufstand in Gerolzhofen“. Es geht dabei um den Namen Otto Weigand. Dieser Name fällt zweimal im Protokoll einer Spruchkammerverhandlung vom 8. Februar 1948 in Gerolzhofen gegen Josef Fieger, genauer in einer Zeugenaussage des einstigen Bürgermeisters Hans Greß zum Judenpogrom in Gerolzhofen am 10. November 1938. „Ehrl, Neeb, Schatz, Otto Weigand“ und „Neeb, Weigand Otto hat man gehört“, nennt Greß vor der Spruchkammer die Namen der Rädelsführer vom November 1938.
Otto Weigand war erst 15
Diese Namen hat Professor Leng auch bei seinem Vortrag am 9. November im Rahmen der Geo-net-Gedenkveranstaltung verwendet. Diese Zeitung hat sie im Rahmen ihrer Berichterstattung am 12. November wiedergegeben.
Daraufhin kam der Hinweis an die Redaktion, dass es sich bei Otto Weigand nicht um den in der Nachkriegszeit als Polizeibeamten und vor allem als Stadtarchivar bekannten Gerolzhöfer gehandelt haben kann, an den sicher viele gedacht haben, als sie den Namen lasen. Der Genannte ist Geburtsjahrgang 1923 und war im November 1938 noch nicht einmal 15 Jahre alt. Damit ist auszuschließen, dass er mit an der Spitze der Judenaktionen stand.
Naheliegend war nun die Vermutung, dass es noch einen zweiten, älteren Otto Weigand gegeben haben könnte. Befragte Zeitzeugen verneinten das aber übereinstimmend. Ebenso übereinstimmend verwiesen sie auf einen Heinrich Weigand, der in Gerolzhofen als ausgesprochener Judenhasser bekannt war.
Synagogen-Prozess
So richtig gelöst war das Rätsel um Otto Weigand damit aber noch nicht. Auf die entscheidende Spur führte erst das Manuskript eines Vortrags des ehemaligen Stadtarchivars Dr. Stephan Oettermann, den dieser im November 2009 gehalten hatte. Oettermann stützt sich im Gegensatz zu Leng auf Aufzeichnungen aus dem Synagogen-Prozess von 1950 im (heute nicht mehr existenten) Saalbau Wilder Mann.
Auch hier tauchen als Rädelsführer beim Pogrom im Wesentlichen die gleichen Namen auf wie bei Leng. Nur: Weigand und Otto sind zwei verschiedene Personen! SA-Truppführer Otto hat nach Oettermann bereits am 28. Oktober eine Versammlung im „Sturmlokal“ in der Rügshöfer Straße einberufen, also noch vor dem Attentat von Herschel Grünspan auf den deutschen Legationssekretär Ernst vom Rath am 7. November 1938 in Paris. Dieses Attentat hat bekanntlich reichsweit die Judenpogrome ausgelöst. In der Versammlung wenige Tage davor wurde in Gerolzhofen besprochen, wie gegen das „freche Auftreten der Juden“ (SA-Obersturmführer Schatz, ein Lehrer aus Sulzheim) vorzugehen sei.
Otto hat am 10. November 1938 auch den zwölfköpfigen SA-Trupp geführt, der jüdische Wohnungen durchsuchte und jüdische Mitbürger drangsalierte. Bei der Zerstörung der Synagoge und bei anderen Aktionen soll er Bilder gemacht haben. Einige unscharfe Abzüge sind noch vorhanden, die Negative verschollen.
Stadtarchiv hat die Namen
Eine Nachfrage beim hilfsbereiten Stadtarchivar Mattias Endriß ergab, dass es bei Otto um den Postassistenten Richard Otto geht, der 1894 in Aschaffenburg geboren wurde. Otto stolzierte meist in SA-Uniform in Gerolzhofen herum und war als „erbitterter Judengegner“ bekannt.
Ehrl heißt mit vollem Namen Alfred Ehrl. Er war Dentist und trug die Titel SA-Oberscharführer und Sturmbanndentist. Bis 1942 betrieb er eine eigene Praxis in der Stadt Gerolzhofen.
Anstatt des zunächst vermuteten zweifachen Otto Weigand gab es in Gerolzhofen um 1938 zwei Männer namens Heinrich Weigand. Bei der von Oettermann und Leng genannten Person handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um den Stadtinspektor und Kaufmann Heinrich Weigand. Er hat eine 1933 beginnende, lange Parteikarriere bei der NSDAP vorzuweisen.
Von 1938 bis 1941 war er Geschäftsleiter der Ortsgruppe Gerolzhofen und stellvertretender Ortsgruppenleiter der Partei. Seine Personalie weist aus, dass auch er an der Zerstörung der Gerolzhöfer Synagoge beteiligt war. Weigand fiel im Februar 1942 an der Ostfront.
Michael Neeb schließlich war in Gerolzhofen ebenfalls als Judenhasser bekannt.
Missverständnis aufgelöst
Damit hat sich das Missverständnis aufgelöst, das ein fehlendes Komma in einem Protokoll verursacht hat. Auch Professor Leng war aufgefallen, dass die Namen im Protokoll stets ohne Vornamen erscheinen, mit Ausnahme des vermeintlichen Otto Weigand. Der Historiker hatte nach eigener Aussage angenommen, dass dies in diesem Fall erfolgte, um unter mehreren Weigands einen noch genauer zu identifizieren, während bei den anderen Namen wohl klar war, wer gemeint sein sollte.
So wie es sich beim wissenschaftlichen Arbeiten gehört, hatte Leng in den Zitaten seines Buchs alles buchstabengetreu einschließlich Tippfehler und originaler Interpunktion aus den Quellen übernommen, auch falsche Namensschreibungen wie Bürgermeister „Kress“. Und eben auch den Otto Weigand ohne Komma.