Großes Theater. In einem 75-Minuten Parforce-Ritt nahm die Schauspielerin und Sängerin Silke Dubilier ihr Publikum im gut besuchten Gemeindehaus mit auf eine abenteuerliche Zeitreise: Auf eine Kaleidoskop-artige Hommage an den Weltstar Marlene Dietrich (1901-1992). In einer großartigen Leistung gab Dubilier Marlene Dietrich Stimme und Gestalt, machte Stationen ihres Lebens lebendig. Von den goldenen Zwanzigern in Berlin, über die Grausamkeiten des Zweiten Weltkrieges, ihre Erfolge in Hollywood, Annahme der amerikanischen Staatsbürgerschaft, Truppenbetreuerin der US-Soldaten, Rückkehr nach Deutschland bis hin zu ihren letzten Jahren in Paris. Am Piano begleitete sie – als Butler Bernhard Hall – Andreas Unsicker, Regie Olaf Graf.
Wir treffen die Dietrich 1990 als 89-Jährige in ihrer Pariser Wohnung, Avenue Montaigne. Dort hat sie sich zurückgezogen, lässt niemand mehr zu sich – der Marlene-Mythos soll nicht durch das Bild einer alten Frau zerstört werden. Zu Beginn steht sie blond, in ihren weißen Schwanenpelz gehüllt, mit dem Rücken zum Publikum, singt "Lili Marleen". Doch dann dreht sie sich um, nimmt Mantel und Perücke ab. Und plötzlich steht eine alte Frau vor uns. Von Muskelschwund, Alkohol- und Tablettensucht gezeichnet, schlurft sie über die Bühne. Dubilier spielt diesen harten Kontrast mit beängstigender Intensität.
Die Erinnerungen stapeln sich
Hier in ihrem freiwillig gewählten Exil stapeln sich die Erinnerungen, die auch meist mit weltbekannten Marlene-Songs verbunden werden. Männer "umschwirren sie immer wie Motten das Licht" – der schönen Marlene können sie nicht widerstehen. Sie berichtet fast beiläufig von ihren Liebhabern Gary Cooper, John Wayne, Jean Gabin, Erich Maria Remarque und anderen. Bei Edith Piaf, die von der bisexuellen Marlene heiß begehrt wird, stößt sie allerdings auf keine Gegenliebe. An sie erinnert sie sich mit dem Song "La vie en rose". "Goebbels, das A..., hätte ich auch ins Bett kriegen können", poltert sie in ihrem Berliner Slang. Für ihn, den Präsidenten der Reichskulturkammer und für Nazideutschland wollte sie nicht mehr filmen, zumal ihre jüdischen Künstlerfreunde emigriert oder verhaftet waren
Zurück in die Rue Montaigne. Die Einsamkeit macht die 89-Jährige melancholisch und aggressiv zugleich. Sie spricht mit ihrem imaginären "Papa", dem US-amerikanischen Schriftsteller Ernest Hemingway. Ihn hatte sie 1934 auf dem Luxusliner "Ile de France" kennen gelernt. Eine liebevolle platonische Beziehung zwischen beiden entwickelt sich, in der sie ihn zärtlich "Papa" und er sie "The Kraut" nennt. Dann plant sie ihren eigenen Tod, bei der Beerdigung sollen alle Pariser Kirchenglocken läuten, die Fremdenlegion soll salutieren, fantasiert sie. Die Dietrich wettert nicht nur gegen ihre ehemaligen Kolleginnen wie "den schwedischen Transvestiten Zarah Leander" oder die "ungarische Hupfdohle Marika Rökk", sondern sie imitiert sie auch noch, macht sie lächerlich.
Einmal kess, einmal melancholisch
Zwischen ihren Songs kramt sie in verschiedenen Kartons mit ihren Bühnenaccessoires und gibt ihre ganz spezielle Sicht der Dinge zum Besten: "Es ist vernünftiger, vor dem Leben Angst zu haben, und nicht vor dem Tod" oder "Jungs opfert euch nicht. Der Krieg ist doch scheiße, Hitler ist ein Idiot". Nach solch verbitterten Ausbrüchen tritt Silke Dubilier als "junge" Marlene ans Mikrofon und interpretiert wunderbar deren Songs – einmal kess, einmal melancholisch, mal voller Sehnsucht: "Ich bin die fesche Lola, Ich hab noch einen Koffer in Berlin, The Boys in the Backroom, Wenn ich mir was wünschen dürfte, Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, Das Lied ist aus – frag nicht, warum ich gehe".
Großer, langer Applaus dankte den beiden Künstlern vom "Theater für Niedersachsen" aus Hildesheim. Das allerletzte Lied war mehr als eine Zugabe: "Sag mir, wo die Blumen sind", in dem es heißt: "Sag, wo die Soldaten sind, über Gräbern weht der Wind. Wann wird man je versteh'n?"