Die dargestellte Szene ist immer die gleiche. Ein Kind wird in ärmlicher Umgebung geboren. Ein Vorgang, der sich täglich überall auf der Welt mannigfach wiederholt. Nichts Besonderes also.
Etwas Besonderes ist aber die eine Geburt vor 2018 Jahren, bei der der Begründer einer der größten Weltreligionen das Licht der Welt erblickte. Um Jesu Geburt herum entwickelten Menschen auf dem ganzen Erdball einen immensen Fantasiereichtum, wenn es um ihre szenische Darstellung geht. Ein schöner Ausschnitt davon ist seit Donnerstag in der Marktstraße zu sehen, die in der kommenden Weihnachtszeit zum siebten Mal zur Krippenstraße wird.
18 Krippen mit ganz verschiedenen Stilen, Herkünften und Geschichten sind in den Schaufenstern der Spitalstraße ausgestellt. Zusammen mit den Krippenbauern oder-besitzern unternahm Organisator Bruno Steger am Donnerstag bei einbrechender Dunkelheit einen Rundgang, bei dem er jedes einzelne kleine Kunstwerk erläuterte. Im Anwesen südlich des Eingangs zum Bürgerspital findet sich erst einmal eine Krippe aus Wachsfiguren von Brunhilde Jüttner. "Hier sieht man noch das segensreiche Wirken der Volkshochschule vor 30 Jahren", merkte Bruno Steger an. Leicht aufzubewahren sind die Krippenfiguren nicht. Bei falscher Lagerung hätte sie die Hitze dieses Sommers gewiss deformiert.
Figuren aus Blech
Besonders imposant ist im gleichen Anwesen die Krippe des Münsterschwarzacher Benediktinerpaters Meinrad Duffner aus dem Jahr 2006. Aus Blech hat Duffner die Geburtsszene geschnitten. Die Maria ist eine liegende Figur, denn Duffner kann sich nicht vorstellen, dass eine Frau kurz nach der Geburt vor ihrem Kind kniet. Statt Hirten umringen ein schießender Soldat, ein Manager, der glaubt, aus dieser Geburt Profit schlagen zu können, ein chinesischer Arbeiter, ein Mongole und ein Afrikaner die Krippe. Punker und Gammler sind die Heiligen Drei Könige.
Strahlende Goldteile zeigt die Ikone von Pfarrer Stefan Mai, die in Miris Wollstube zu sehen ist und als ein Beispiel dafür steht, wie der Weihnachtszyklus in der Ostkirche dargestellt wird.
Plätscherndes Wasser und heimelig anmutendes Feuer charakterisieren die Krippe von Ewald Roppelt in der gleichnamigen Metzgerei.
Ein Original aus dem Erzgebirge
Im Fotostudio Ira Müller ist eine Erzgebirgskrippe von Karl-Heinz Hauck zu bestaunen. In China werden solche Krippen tausendfach nachgebaut, berichtete Bruno Steger. Doch die hier zu sehende Darstellung ist ein Original.
Ganz aus dem Süden des deutschsprachigen Raums stammt die südtiroler Krippe von Sigrid Amann, zu sehen in der Gardinen-Galerie Zwanziger. Hier legte der Krippenbauer besonderen Wert auf die Darstellung der Tiere.
Katja Petry, die Tochter von Bruno und Gisela Steger, hat eine vietnamesische Krippe gebastelt, die in einem Fenster des Asia Wok aufgebaut ist. Das Dach des Stalles besteht aus gerafftem Papier.
Wie bei einem Adventskalender gibt es jeden Tag vor Weihnachten etwas zu tun beim Ausschneiden und Zusammenbauen der Teile für eine Guckkastenbühne, wie sie in Nadjas Beauty-Etagen zu sehen ist. Diese Krippe wirkt durch Licht und Tiefe. Sie stammt von Bruno Steger
Kinder können mit Figuren spielen
Die Zug um Zug entstandene Ostheimer Krippe von Familie Kalisch ist in einem Schaufenster der Main-Post aufgebaut. Die Firma Ostheimer hat Wert darauf gelegt, kindgerechte Krippen zu konzipieren, mit denen man auch spielen kann. Leicht zerbrechliche Figuren sind hier nicht zu finden. Rund um die Geburtsszene leben Raub- und Nutztiere friedlich nebeneinander.
Ein Schaufenster weiter hat Franz Winkler seine Krippe aus liebevoll bemalten Zinnfiguren aufgebaut. Franz Winkler ist neben Bruno und Gisela Steiger der einzige, der seit Beginn der Krippenstraßen-Aktion vor sieben Jahren dabei ist.
Im Salon "Prachtschnitt" steht eine Krippe des Gerolzhöfers Karl Schulz aus den 1950er-Jahren, die sein Sohn Bertram aufbewahrt hat. Die besondere Schwierigkeit für den Krippenbauer war es laut Steger, einen Stern in eine poröse Holzrinde zu schneiden.
Aus Peru mitgebracht hat Carina Hein eine Krippe mit Anden-Flair. Die Menschen haben breite Schultern und Hände, Zeichen für das schwere Leben auf großer Höhe in den Anden. Josef trägt einen Poncho. Diese Krippe ist im Altstadtbüro zu sehen, ebenso wie die Porzellan-Krippe von Liselotte Rumpel, sozusagen das Gegenstück zur robusten Ostheimer Krippe.
Abstrakt aus Altholz
Altholz aus einem Hausabbruch in Gerolzhofen bildete die Grundlage für Bruno Stegers Geburtsdarstellung in einem Schaufenster von NKD. Die Krippe wirkt recht abstrakt, "doch Kinder erkennen sofort, wer wer ist", erklärte Bruno Steger. Den Boden der Krippe bilden Basaltsteine aus der Rhön.
Der Krippen-Spaziergang endet an der Südseite des Küchenbaus des Alten Rathauses. Dort gibt es eine Krippe aus Kenia der Familie Vollkommener. Etwas ganz besonderes ist die Krippe von Konditor Hans Leuner, der ein Relief mit Schokolade ausgegossen hat. Nach der Weihnachtszeit dürfen Kindergartenkinder die Krippe verspeisen, kündigte Leuner an. Die dritte Krippe im Alten Rathaus haben Bruno und Gisela Steger aus dem Heiligen Land mitgebracht. Hier dient eine Muschel als Behausung für die Geburtsszene.
Ist Gott zu weit weg vom Menschen?
Vorangegangen war dem Krippen-Spaziergang eine kleine Andacht, die Pfarrer Stefan Mai auf eine Bitte von Bruno Steger in der Spitalkirche hielt. "Ich weiß nicht, ob der Himmel niederkniet, wenn man zu schwach ist hinaufzukommen" - diesen verzweifelten Satz der kranken und vielfach behinderten österreichischen Schriftstellerin Christine Lavant nutzte der geistliche zur Darstellung der Gefahr, dass Gott aufgrund seiner Erhabenheit zu weit weg von den Menschen sein könnte. Weihnachten zeige aber, dass Gott bereit sei, sich für den Menschen klein zu machen.