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SCHWEINFURT
Das echte Prag erlebt
Reporter unterwegs: Klaus Hanisch, in einem Prager Café. Hier trifft er seine Gesprächspartner, hier schreibt er seine Geschichten.. Schunk
Foto: Foto A | Reporter unterwegs: Klaus Hanisch, in einem Prager Café. Hier trifft er seine Gesprächspartner, hier schreibt er seine Geschichten.. Schunk
Von unserem Redaktionsmitglied Karl-Heinz Körblein
 |  aktualisiert: 13.01.2012 17:00 Uhr

Reporterglück. Das Café Savoy an der Moldau. Karel Schwarzenberg kommt zur Mittagszeit. Allein. Ohne Bodyguards. Trifft kurz einen Unbekannten und ist plötzlich allein am Tisch. Mit „Auf ein Bier mit Karel“ hat er Wahlkampf gemacht, auf Anhieb mit seiner konservativen Parteigründung TOP 09 17 Prozent erzielt und steht jetzt in Koalitionsverhandlungen. Klaus Hanisch spricht ihn einfach an, wird gefragt, woher er komme. „Ah, das alte Suinfurte“, sagt der künftige Außenminister, dessen familiäre Wurzeln in Franken liegen, und unser Reporter bekommt das Interview, nach dem so viele seiner Kollegen in diesen Tagen vergeblich nachgefragt haben.

Klaus Hanisch, Reporter für den BR und die ARD mit Sitz in Würzburg, kam Anfang der 1970er-Jahre erstmals nach Prag. „Schnell war mir klar, das ist meine Stadt“, sagt der heute 52-Jährige. Es war der Lebensstil der Menschen, der ihn begeisterte, ihr Sinn für Ironie, das „Wohlige der Kneipen“. In der Zeit der Revolution 1989/90 zog es Hanisch immer öfter nach Prag. „Es war spannend zu beobachten, wie sich die Stadt, wie sich die Menschen verändern.“ Die Themen lagen tatsächlich auf der Straße, und Hanisch hat sie aufgesammelt, für das Bayerische Fernsehen, den „Rheinischen Merkur“, für die Zeitschrift „freitag“ und die deutschsprachige „Prager Zeitung“.

Gut 20 Jahre später. Hanisch ist wieder regelmäßig in Prag. In seiner Wohnung im fünften Stadtbezirk, unterwegs auf den Straßen und Plätzen der schönen Stadt, in Cafés und Kneipen. Ihm gefällt nicht, wie Tschechien heute im Westen wahrgenommen wird. Das Land mit einer der längsten Grenzen zu Deutschland werde auf Bier, Karel Gott und „du wirst beklaut“ reduziert. Es gebe zwar das magische, das fiktionale Prag, aber kaum noch politische Berichte, nur ganz wenige Korrespondenten. Und, was in den Reiseführern steht, sei geschönt oder falsch. Und darum hat Hanisch ein Jahr Arbeit investiert, ein Buch mit 300 Seiten geschrieben. In einer Stadt, die längst zur internationalen Metropole geworden ist, in der jeder Achte einen fremden Pass besitzt, porträtiert er ungewöhnliche Menschen, mit ungewöhnlichen Lebensläufen

Da ist Michaela Vidláková, „die letzte Zeugin von Theresienstadt“, die sich überwunden hat und wieder deutsch spricht; Besuchern des ehemaligen Konzentrationslagers und auf Vortragsreisen das Grauen ihrer Jugend schildert. Oder Lenka Reinerová. Die Schriftstellerin, die die deutschen Emigranten der Nazizeit mit tschechischen Intellektuellen zusammenbrachte, die Stefan Heym und Egon Erwin Kisch sehr gut kannte, die über die Autoren Prags wie Gustav Meyrink, Rainer Maria Rilke, Max Brod, Friedrich Torberg oder Franz Kafka kenntnisreich geschrieben hat. Sie wurde als Kommunistin und Jüdin in der damaligen Tschechoslowakei Opfer der stalinistischen Verfolgung, unterstützte später Dubèek, durfte erst nach der Wende in der Heimat wieder publizieren. Im Juni 2008 ist die letzte deutschsprachige Schriftstellerin Prags gestorben. Vidláková und Reinerová will Hanisch ein Denkmal setzen – „für Lebensläufe, die nicht vergessen werden sollten“.

Die Mehrzahl der Porträts ist jedoch dem heutigen Prag gewidmet. Hanisch begegnet eher zufällig einem Millionär, der die gesamte Familie verloren hat und sein Vermögen den Menschen in der Ukraine stiftet und nun in einem Café jobbt. Er sucht das Gespräch mit dem Filmemacher David Vondráèek, der das Tabu der Vertreibung 1945 bis 1948 aufgearbeitet hat. Er spricht mit Milada Karasová, die mit ihrer Agentur das tschechische Mädchenwunder geschafft hat. Auf seinen Streifzügen durch die Stadt gerät er in Kontakt zu Menschenhändlern in der Rotlichtszene, lernt mafiose Strukturen kennen.

Anfang der 90er-Jahre kamen jährlich 60 Millionen Besucher in die Stadt. Heute sind es noch sechs Millionen. Der Tourismus hat vieles verändert, vor allem auch in der Gastronomie. Die Menschen klagen über Korruption, über unfähige Politiker, hoffen auf die „Bürgergesellschaft“, die ihnen Václav Havel versprochen hat. Menschen, die dafür stehen, hat Hanisch getroffen. „Echt Prag“ ist der Titel seines lesenswerten Buches.

Klaus Hanisch: Echt Prag. Als Reporter bei Menschen, Wandel, Schicksalstagen. Wiesenburg-Verlag, 300 S., 19,80 Euro.

 
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