„Adolf Hitler spielt Bruno Ganz“, hat ein Satiriker kommentiert, als „Der Untergang“ in die Kinos kam. Das Ende im Führerbunker und der Staatsstreich, zehn Monate zuvor, haben auf jeden Fall etwas gemeinsam: Beide Geschichtsdramen sind der jüngeren Generation fast nur noch als Filmevents vertraut, der 20. Juli 1944 als „Operation Walküre – Das Stauffenbergattentat.“ Die Mordorgien von Holocaust und Vernichtungskrieg, das Grauen der Bombennächte und der verzweifelte „Aufstand der Anständigen“ waren allerdings bittere Realität.
Diese bedrückende Wirklichkeit spürt man noch in der dumpfen Enge des Fichtel & Sachs-Bunkers, zwischen „Gasschleusen“ und kühlem Beton. Entsprechend steht auch nicht der Enkel von Hollywood-Actionstar Tom Cruise im übervollen Schutzraum, zum Gedenkwochenende „72 Jahre Kriegsende in Schweinfurt“, im Bunkermuseum Oberndorf.
Karl Stauffenberg ist der Sohn des ehemaligen CSU-Parlamentariers Franz Ludwig von Stauffenberg, das dritte von fünf Kindern des Hitlerattentäters, Oberst Claus Graf Schenk von Stauffenberg. Den prüfenden Blick hat er wohl vom „echten“ Großvater geerbt, vielleicht auch die ruhige, eindringliche Stimme. In seinem Vortrag spannt Stauffenberg den Bogen „Von der Sippenhaft im Dritten Reich bis zum Extremismus von heute“.
Der Andrang ist so groß, dass der Vortrag zweimal gehalten wird. „Das Interesse ist ungebrochen“, stellt OB Sebastian Remelé fest. Mancher scheint doch etwas enttäuscht zu sein, als Karl Stauffenberg den missglückten Tyrannenmord nur streift. „Dass es nicht nur ein Genuss war, der Enkel zu sein“: Dieser Aussage des Oberbürgermeisters scheint Karl Stauffenberg zuzustimmen. Der Hochbunker selbst zeugt für ihn „vom Wahnsinn extremistischer Ideologien.“ Er wolle nicht salbungsvoll von den Ereignissen berichten: „Ich war, mit meinen 46 Jahren, nicht dabei“.
Aus der Komfortzone zwingen
Die Besucher „aus der Komfortzone zwingen“, das möchte er schon: Vor dem Museum steht einen Stand mit Beitrittsanträgen, für seinen neugegründeten Verein „Mittendrin statt extrem daneben“, der Aufklärung und Prävention gegen Extremismus aller Art leisten will, sei es nun rechter oder linker, islamistischer oder christlicher Fundamentalismus.
Der 20. Juli ist den Franken dabei erstaunlich nahe: Claus? Witwe Nina von Stauffenberg hat bis zu ihrem Tod 2006 in Bamberg gelebt, ihr Grab befindet sich in Kirchlauter, Landkreis Haßberge. Karl Stauffenberg wiederum bewohnt das romantische Wasserschloss Irmelshausen bei Bad Königshofen, als Eventmanager. Eine Tochter und die jetzige Ehefrau Anna Stauffenberg sitzen ebenfalls im Publikum, letztere mit dem jüngsten, wenige Wochen alten Sohn.
Es hätte ganz anders kommen können. Nach der Hinrichtung der Verschwörer sollten sämtliche Familienmitglieder ausgerottet werden, was im Wirrwarr der letzten Kriegsmonate nicht mehr gelang: „Deswegen stehe ich heute da.“ Die schwangere Stauffenbergwitwe litt jedoch in KZ-Haft. Die Kinder, darunter auch Franz Ludwig, wurden in ein Nazi-Kinderheim nach Bad Sachsa verschleppt, unter dem Decknamen „Meister“.
Physisch wurden sie relativ gut behandelt, Buchenwald blieb ihnen durch Bombardierung der Gleise erspart. Der psychische Druck sei dennoch enorm gewesen, erzählt Stauffenberg: „Die Kinder mussten ja denken, dass Vater und Mutter Schlimmes getan haben.“ Sein Vater habe enorm unter der Trennung gelitten. Andere Verwandte bezahlten mit dem Leben. „Ich musste sehr lange lernen, mit einer Verantwortung umzugehen, die ich mir nicht selbst auferlegt habe“, sagt der Enkel, der nie als „Hinterbliebener“ durchs Leben gehen wollte, aber in der Schule immer das Referat zum 20. Juli halten sollte. Der als Zwölfjähriger einmal von Skinheads zusammengeschlagen worden ist, aufgrund seiner Abkunft. „Die Stauffenbergs, Tresckows, Schulenburgs, Goerdelers sind mit diesem Thema verhaftet. Wir müssen damit leben.“
Auch nach dem Krieg waren die „eidbrüchigen“ Offiziere vielerorts als Verräter gebrandmarkt. Mittlerweile wird der Mythos 20. Juli gerne von rechten Kreisen vereinnahmt: „Das Andenken wird in Sippenhaft genommen“, sagt der Irmelshäuser, wohl in Anspielung auf „Stauffenberg-Widerstandsfahnen“ bei Pegida-Demos oder Geraune von nationalistischen Alternativen zum demokratischen Rechtsstaat, zu Freiheit, Frieden und Menschenwürde jedes Einzelnen.
Der Enkel zeigt klar Flagge
Der Enkel zeigte klare Flagge, angesichts von Brexit und europaweitem Populismus: „Grenzen in und um Europa gefährden unsere Freiheit mehr, als dass wir uns vor islamistischen Terror schützen müssten“. Einfache Antworten gebe es nicht: „Wollen Sie wirklich den antiislamistischen Schutzwall?“, fragt er in Anspielung auf DDR-Abschottung.
Links- und Rechtsextremisten liegen für ihn nahe beieinander, wie Alaska und Sibirien: „Schauen Sie sich Stalin an, schauen Sie sich Hitler an, ganz so groß sind da die Unterschiede nicht.“ Höcke, Storch und Wagenknecht nennt er für die heutige Zeit in einem Atemzug – was der eine oder andere, im „linken“ Herzen der Industriestadt, doch etwas verhalten aufnimmt. Ebenso tadelt er die CSU für ihre Flüchtlingspolitik. Die Verantwortung liege letztlich beim Souverän, dem Volk, mahnt das frischgebackene FDP-Mitglied: „Ich bin noch kein Politiker“, flachst der sonst eher ernste Cousin von Exminister Karl Theodor zu Guttenberg.
Der Verein bietet kostenlose Diskussionen des Stauffenberg-Enkels mit Abschlussklassen an. Beim OB fragt er nach einer Halle für eine Veranstaltung in Schweinfurt. Ansonsten hat „Mittendrin statt extrem daneben“ bereits 60 Mitglieder und arbeitet eng mit „Exit“ zusammen, ein Hamburger Verein, der sich um Aussteiger aus der rechtsextremen Szene kümmert. Museumsleiter Nils Brennecke kennt der liberale Adelige und gelernte Hotelfachmann über Facebook. Sein Auftritt ist im Großen und Ganzen symbolisch, aber wohl in vollkommener Übereinstimmung mit den Schweinfurtern, wenn es um die eine Bombe geht, die hätte treffen müssen.