Vor gut einer Woche führte das Ensemble des Kleinen Stadttheaters Gerolzhofen in vier Gärten entlang der Stadtmauer ein modernes Märchen des Autors Roman Rausch über die Suche nach dem Glück auf. Pfarrer Stefan Mai nahm dies zum Anlass, am Sonntag zum Erntedankfest im Steigerwalddom den aus seiner Sicht engen Zusammenhang zwischen Dankbarkeit und Glück herauszustellen. Statt einer konservativen Erntedank-Dekoration mit Feldfrüchten und Erntekrone standen vor dem Altar Kleiderständer mit den prächtigen Kostümen von Hauptakteurinnen des Theaterstücks.
In dem Stück mit seinen vier Teilabschnitten macht sich ein Herr Vogel auf die Suche nach dem Glück. Eigentlich hat der gute Mann schon alles. Aber irgendwie spürt er, dass ihm noch ein kleines Stück zum Glück fehlt. Eine windige Glücksfee schickt ihn deshalb auf den Weg zur Selbstoptimierung.
Schönheit der Weg zum Glück?
Bei einer Goldmarie holt sich Herr Vogel Tipps für den Alltag: Tu so, als ob du keine Angst hast. Tu einfach so, als ob du erfolgreich und selbstsicher bist. Und wenn man das nur lang genug gemacht hat, dann wird aus jedem zweifelnden Würstchen ein vor Selbstbewusstsein strotzender Kapitän seines Lebens. Selbstmanipulation als Weg zum Glück?
Dann sucht Vogel die Königin Siebenschön mit ihrem Helferteam auf. Hier wird erst eiskalt analysiert und dann messerscharf korrigiert, was die Natur am Erscheinungsbild von Herrn Vogel angeblich verbockt hat. Das neue Aussehen wird maßgeschneidert und Herr Vogel verlässt die Schönheitswerkstatt als begehrenswerter Typ. Ist Schönheit also der Weg zum Glück?
Im Shoppingtempel "Glückskauf" verspricht die weiße Zauberin, dass jeder Wunsch sofort in Erfüllung geht, wenn man ihn ausspricht oder auch nur daran denkt. Und Herr Vogel deckt sich mit allen möglichen Lifestyle-Produkten ein. Kauf dich ins Glück – ein Weg zum Glück?
Schließlich kommt Herr Vogel ins Schlaraffenland. Genuss im Überfluss, auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen, auf Anstandsregeln pfeifen, betrügen, keine Reue zeigen, ziellos in den Tag hinein leben. Einfach frei und ungebunden sein, koste, was es wolle – ist das ein Weg zum Glück?
Offene Frage am Ende
Die Glücksreise des Herrn Vogel auf den Bühnen des Kleinen Stadttheaters endete jeweils abrupt. Die Zuschauer nahmen die offene Frage notgedrungen mit nach Hause: Wo und wie finde ich ein bisschen Glück im Leben? Eine konkrete Antwort gab das Theaterstück nicht, die Zuschauer wurden mit dieser Frage bewusst alleine gelassen. Doch: Von Autor und Regie Raum für eine eigene Interpretation des Stücks zu bekommen, das sagt nicht allen Theaterbesuchern zu. Zu verbreitet ist die Sehnsucht nach einem echten Schlusspunkt, nach einem zusammenfassenden "Und die Moral von der Geschicht ...", nach einem konkreten Tipp, wie man nun erfolgreich für sich selbst das Glück findet.
Pfarrer Stefan Mai bot nun in seiner Predigt am Wochenende eine Antwort auf die im Theaterstück offen gelassene Frage an: "Es ist nicht das Glück, das uns dankbar macht, sondern die Dankbarkeit, die uns glücklich macht", zitierte er David Steindl-Rast. Soll heißen: Erst wenn Herr Vogel ehrlich dankbar sein kann für die kleinen Dinge des Lebens, für schöne Ereignisse und gute Begegnungen, erst dann stellt sich ein Glücksgefühl ein.
Feinde des Glücks
Doch es gibt Feinde der Dankbarkeit und damit letztlich auch Feinde des Glücks. Dazu zählt das Leistungsdenken. "Der stolze Mensch glaubt, alles sich selbst zu verdanken. Seiner Leistung, seiner Fähigkeit, seiner Tüchtigkeit, der eigenen Kraft", sagte Pfarrer Mai. Der Stolze schreibe alles sich selber zu. "Sind wir vielleicht zu stolz, um noch dankbar sein zu können?"
Ein zweiter Dankbarkeits- und Glückstöter: die Selbstverständlichkeit. Man nehme im täglichen Leben viel zu viel als selbstverständlich an, sagte Mai. "Dass ich gesund bin, dass ich morgens aufstehen kann, dass ich atme, dass ich Arbeit habe und ein Zuhause, Nahrung und Kleidung? Gehen können, meine Sinne gebrauchen, hören, sehen, riechen, tasten, schmecken können, dass Menschen an mich denken, es gut mit mir meinen und für mich da sind."
Ein dritter Feind der Dankbarkeit ist laut Pfarrer Mai die Gedankenlosigkeit. "Gehen wir an vielem Gutem und Schönem oft nicht achtlos vorbei? Sind wir nicht weithin blind für die Gaben, die uns jeden Tag zukommen? Leben wir nicht viel zu ruhelos, zu fiebrig, zu gehetzt, um uns noch besinnen und danken zu können?", fragte Mai seine Zuhörer. Man sei oft viel zu beschäftigt mit Sorgen und Problemen und übersehe dabei das kleine Glück, die alltägliche Freude.
Dankbarkeitsfresser
Ein vierter Dankbarkeitsfresser sei das überzogene Anspruchsdenken. "Wir meinen, dieses oder jenes müssten wir unbedingt haben. Wir fordern es ein, klagen es ein." Aber wo ein Mensch nur aus dieser Haltung lebt, verliere das Leben den Geschenkcharakter. In einer Grundstimmung der Unzufriedenheit gebe es keinen Raum für Dankbarkeit. Wo das Fordern und das Pochen auf sein vermeintliches Recht zu sehr in den Vordergrund tritt, werde das Danken im Keim erstickt.
Ein letzter Feind der Dankbarkeit und des Glücks sei die Verwöhnung. "Geht es uns nicht manchmal wie dem Kind, das zu viele Spielsachen hat?", fragte der Pfarrer. "Es nimmt dieses und jenes, will aber mit keinem spielen." Der verwöhnte Mensch erkenne den Wert der Dinge nicht mehr und vergesse dabei die Dankbarkeit.
"Das Wichtigste ist geschenkt"
Doch wie könne man wieder zu einem Danken kommen, das einen glücklich macht? Gerade das Erntedankfest wolle das Bewusstsein stärken, dass das Wichtigste im Leben unverdient ist, sagte Mai. "Das Wichtigste im Leben ist geschenkt: das Leben, die Liebe, der Glaube. Das kannst du dir nicht kaufen und auch nicht erarbeiten." Dankbarkeit mache das Leben erst reich und ermutige einen, das Gute, das man im Leben empfängt, an Menschen wieder zurückzugeben.
Am Ende der Predigt gab es spontanen Applaus von den Gottesdienstbesuchern. Ein Zeichen von Dankbarkeit.