Die Großväter der beiden Celtis-Gymnasiasten Helin Kayaalp und Taha Cihan sind in den 1960er Jahren nach Schweinfurt gekommen. Sie wollten wie so viele „Gastarbeiter“ nur einige Zeit bleiben. Aus den zwei Jahren wurden aber 14 und 20 Jahre in der Schweinfurter Industrie. Helins Opa ist mittlerweile verstorben, Tahas Großvater lebt wieder in der Türkei. Aber Teile ihrer Familien wohnen, arbeiten, leben weiter in der Stadt und im Landkreis Schweinfurt.
Taha: Ich bin Deutscher, Türke und Bergrheinfelder
Enkel Taha sagt, dass er sich als Deutscher, als Türke und als Bergrheinfelder fühlt. Dieses herrliche wie vielsagende Zitat ist in der beim Geschichtswettbewerb der Initiative gegen das Vergessen („Vom Fremdsein und Daheimsein“) preisgekrönten Arbeit des Celtis-Ethik-Kurses zu finden. „Kurkuma und Kartoffelbrei“ haben die 17 Fünft- und Sechstklässler ihre in drei Themenblöcke aufgegliederte Arbeit betitelt und damit einen ersten Preis erhalten. Der wurde heuer zweimal vergeben, dotiert mit je 500 Euro. Die Geldpreise über insgesamt 1300 Euro für die drei Sieger (es gab keinen dritten Platz) spendete wieder die Oskar-Soldmann-Stiftung.
Als Lehrerin Monika Strobel-Braun ihrem Ethik-Kurs das Wettbewerbs-Motto erläutert hatte, lagen schnell so viele unterschiedliche Familiengeschichten auf dem Tisch, dass abgestimmt werden musste. Sie entschieden sich für die Gastarbeiter-Geschichte, je eine Story über die Erlebnisse so genannter Russlanddeutscher und einer Flüchtlingsfamilie. Im Ethikkurs saßen ja Mitschüler mit diesen Erfahrungen. Als die Familien grünes Licht gegeben hatten, konnte das Projekt starten.
Die Angehörigen der Schüler standen gerne Rede und Antwort
Die gerade Mal elf und zwölf Jahre jungen Leute recherchierten im Stadtarchiv, im Internet, erfuhren das meiste von ihren Angehörigen. Helin und Taha etwa interviewten ihre Mütter.
„Natürlich ist die Türkei auch noch ein bisschen daheim, aber nicht so wie Schweinfurt. Hier habe ich ja den größten Teil meines Lebens verbracht“, antwortet die Mutter ihrer Tochter Helin. Die fragt weiter: „Habt ihr Freunde gewonnen?“ Antwort der Mutter: „Ja klar, viele Freundinnen sind Deutsche“.
Auch Taha interviewte mit Unterstützung seines Schulkollegen und Freundes Raimund Schmitt die Mutter. „Wir fühlten uns nie fremd, vom ersten Tag an war Schweinfurt unser neues Zuhause“, diktierte Mama Cihan ihrem Sohn und Raimund in den Notizblock.
Geschichte zwei: Veronika Witmer kam mit ihrer Familie vor drei Jahren aus Ukraine nach Schweinfurt. „Es war fremd und vertraut, Neuanfang und Heimkehr“, schildert Veronikas Mutter das Ankommen. Denn: Die Vorfahren waren im 18. Jahrhundert aus Süddeutschland ins Zarenreich ausgewandert.
Ausführlich gibt die Mutter Auskunft über das Leben der Deutschen in Russland, die „wir geblieben sind“. Sie berichtet von der Übersiedlung vieler Verwandter bereits 1991. Der Konflikt in der Ostukraine war dann der Auslöser, dass auch die Witmers 2014 die Koffer packten.
Sehr lehrreiche Diskussionen
Im Ethik-Kurs wird auch viel diskutiert. Die Ergebnisse finden sich in der bebilderten Arbeit. Veronika selbst macht in den Gesprächen mit den Altersgenossen kein Hehl daraus, dass ihr der Umzug wegen der in der Ukraine zurückgelassenen Freundinnen schwer fiel. Dann aber entdeckt sie die positiven Seiten, sagt, dass sie jetzt „immerhin schon mehrere Sprachen spricht“ und eines Tages vielleicht als Übersetzerin „in beiden Ländern leben kann“.
Dritte Story: Auch Sitara Rasuli hat ihre Mutter Sohaila interviewt. 1989 kam sie aus Afghanistan nach Deutschland, anfangs, um deutsch zu lernen. Sie blieb, studierte Medizin in Berlin, wo sie ihren Mann und Vater von Sitara und ihren Geschwistern kennenlernte. 2005 zog die fünfköpfige Familie berufsbedingt nach Schweinfurt. Sitara fragt die Mutter hartnäckig. Die räumt anfängliches Heimweh ein und sagt, dass sie sich „bis heute ein bisschen fremd fühlt“.
Erstaunt registriert sie auch, dass mit Beginn der großen Flüchtlingswelle 2015 einige Einheimische sich „komisch und unfreundlicher“ verhalten. Sitara hat ihre Arbeit mit Schriftzeichen aus dem Geburtsland der Mutter illustriert, um zu zeigen, dass nicht nur die Sprache neu war.
Nach langer Suche verhilft ein Zufall zum Titel für die Arbeit
Finale: Die Schüler lassen die drei Geschichten nicht einfach so stehen, ziehen ein Fazit. Jede Familie, Die türkische, ukrainische und afghanische, erlebte vor allem anfangs Kälte, und damit sei nicht immer die Temperatur gemeint gewesen. „Wir sind erschrocken, dass Menschen, die ausländisch aussehen, in letzter Zeit offenbar wieder komisch angesehen werden“, schreiben die Schüler. Die elf und zwölf Jahre jungen Menschen empfehlen Neuankömmlingen „möglichst schnell Deutsch zu lernen“ und mit den Einheimischen viel zu kommunizieren.
Die jungen Menschen haben während des Projekts viel über die jeweils anderen Essgewohnheiten erfahren. „Die alte Heimat lebt bei allen im Essen weiter“, heißt es einmal. Sitara etwa habe das Klassenzimmer mit einem Qabeli-Reisgericht und Kabab (gegrilltes Fleisch) „in eine orientalische Duftwolke gehüllt“. Mit verarbeitet wurde Kurkuma, Gelber Ingwer. „Aber wir mögen auch Kartoffelbrei“, sagt Sitara zu ihren Mitschülern. Nach langem Suchen hatten die Schüler „endlich den Titel für unsere Arbeit gefunden“: Kurkuma und Kartoffelbrei.
Für ihre Idee, die Arbeit und die erstaunlich professionelle Präsentation erhielten die jungen Leute bei der Preisübergabe in der Disharmonie verdienten langen Beifall.