„Der Appetit vergeht, der Schlaf wird verhindert, man wälzt sich im Schlaf herum wie die Tür in der Angel.“ Erzeugt werden außerdem Melancholiker und Duckmäuser, die Köpfe werden in Unruhe, Lüsternheit und Arrest der Vorstellungen gesetzt: 1698, als diese warnenden Worte erschienen, galt noch das Romanlesen als gefährlich, vor allem für derart labile Wesen wie Frauen und Kinder. Vor hundert Jahren war es der „Schundfilm“, heute sind es die Killerspiele, die Kinder in schießwütige Zombies verwandeln. Oder?
Der Computerphilologe und Literaturwissenschaftler Fotis Jannidis sieht das nicht ganz so aufgeregt. Der Würzburger Professor gibt für den „Universitätsbund“ einen Einblick in die komplexe Welt, nein, Kultur der Computerspiele: „Spiel mit mir das Lied vom Tod“, nennt sich der Vortrag in der Rathausdiele. Das „Daddeln“ an PCs, Konsolen, auf Handy und Webbrowser ist mittlerweile buchstäblich eine Wissenschaft für sich: 117 Millionen Spieler gibt es in den USA, über 20 Millionen in Deutschland.
Es sind beileibe nicht nur Jugendliche, die sich in virtuellen Welten austoben. Die Milliarden Dollar Jahresumsätze sind nicht mehr weit weg von den Einnahmen der Filmindustrie. Es gibt Actionspiele, Adventures, Mischungen aus beiden, Jump & Run-Spiele, die der Geschicklichkeit dienen, Rollenspiele, entweder einzeln („RPGs“) oder im Verbund („MMORPGs“): wo oft tausende Spieler zugleich Online-Welten bevölkern.
Dazu kommen allerhand Strategiespiele, Sport- oder Flug-Simulationen, Puzzle-Spiele und die berüchtigten Egoshooter. „Es geht nicht ums Töten“, stellt Jannidis fest, die Handlungen seien nicht aggressiver gemeint als das Ballern bei „Cowboy und Indianer“. Real in einem geschützten Bereich und zugleich virtuell in Gefahr zu sein, das mache den besonderen Reiz aus. Zwei Tendenzen beobachtet der Forscher: Hin zum Fotorealismus bei den Grafiken und zur Interaktion mit einer quasi uneingeschränkten Welt.
Bevor der Hobby-Spieler selbst die Knarre auspackt: Ein knatterndes Sturmgewehr auf der Leinwand, a la „Counterstrike“ oder „Call of Duty“. Eher altbacken wirkt da „Doom“, ein Ballerspiel, das lange als jugendgefährdend galt. Während die Fantasiewelt des Horror-Shooters „Bio-Shock“ schon wieder anspruchsvoll ist. Jannidis zeigt Kämpfe gegen Roboter und Echsen, oder das Prinzip von „Minecraft“, in dem der Spieler die Pixelwelt quasi selbst zusammen- und umbaut. Die Spiele zitieren sich gerne selber, weiß der Philologe, durch sogenannte „Easter Eggs“ (Ostereier), mit Anspielungen auf Genre-Urahnen wie Pac Man.
In Foren werden Erfahrungen ausgetauscht oder einzelne Sequenzen zu Geschichten weitergesponnen. Oft entwickelt die Fangemeinde „Mods“, sprich Abwandlungen und Erweiterungen von Spielen, in Millionen Arbeitsstunden. „Der Spieler sitzt allein am Computer – dieses Klischee ist falsch“, betont Jannidis, gefragt sind Kreativität und soziales Miteinander im Netz, gerade auch über Altersgrenzen hinweg.
Die Szene kennt bezahlte, erzählende Vorspieler oder„Machinima“, Kunstfilme, die auf Computerspielen basieren, und eben „Game Studies“: den Versuch, sich dem Phänomen wissenschaftlich zu nähern. Und ja, natürlich gebe es ein Suchtpotential, meint der Experte auf Nachfrage eines besorgten Vaters: „Es ist wie beim Alkohol“. Im Prinzip sei der eine gefährliche Droge, aber man habe zur Absicherung eine eigene Kultur darum gebaut.
Weiter geht Gastgeber Ulrich Schwädt : Für ihn wirkt die Mentalität von Computerspielen schon auf die Wirklichkeit, etwa im Bereich des Drohnenkriegs, in dem Militärs über viele tausende Kilometer hinweg per Joystick Fahrzeuge oder Häuser mit Menschen darin zerbomben, ohne jede innere wie äußere Nähe zur Tötungshandlung.
Jannidis muss das so stehen lassen. Was die Auswirkung auf die Jugend angehe, sei vieles einfach nicht empirisch überprüft. Eines weiß der Analytiker sicher: Ein Kind, das sich gleich nach der Schule an einen Egoshooter setzt, löscht damit in seinem Kopf wohl nicht die Gewalthemmung, aber ganz sicher das vorher Gelernte wieder aus.