Es herrscht familiäre Atmosphäre, beim dritten „Talk mit Claudia“ im Nebenstüberl der Hausener Privatbrauerei, auf Einladung der Schweinfurter Grünen. Die Augsburgerin ist vor einem Jahr Bundestagsvizepräsidentin geworden. „Ich bin jetzt nicht nur die Claudia, ich bin auch Deutschland“, sagt die ehemalige Bundesvorsitzende fast schon entschuldigend, als es um ihre Leibwächter vom BKA geht, die sie während der Unruhen in Diyarbakir beschützen sollten.
Ein wenig erinnert die unprätentiöse Spitzenpolitikerin an ein Familienmitglied, das von ausgiebigen Reisen in die Fremde zurückgekehrt ist. Und nun, in vertrauter Runde, Dinge begreiflich machen will, die jeden Alltagsverstand übersteigen. Es geht um die Vernichtungsfeldzüge von Assad und IS, um hunderttausendfaches Flüchtlingselend in Syrien, der Türkei, im Libanon, dem Irak und bei den Kurden, die wieder mal zwischen allen Fronten leiden. Um das christsoziale Bayern, dessen Behörden, so Claudia Roths Vorwurf, völlig unvorbereitet dastehen: dort, wo die größte globale Flüchtlingswelle seit dem Zweiten Weltkrieg ins reiche Deutschland hinein ausbrandet. Eine Krise, die Roth auch auf den durch die Bush-Administration vom Zaun gebrochenen Irakkrieg zurückführt.
Dank an die Lokalpresse
Gerade eben hat sie die Erlöserschwestern in Würzburg besucht, die Flüchtlingen Zuflucht hinter ihren Klostermauern gewähren (wir berichteten). War bei Footballspieler Madiama Diop, einem Asylbewerber aus dem Senegal, der nur mit Sondergenehmigung für die Würzburg Panthers auswärts spielen darf, strikter „Residenzpflicht“ wegen. Sie dankt der „Main Post“, die sich hier eingesetzt habe.
Je länger sie über das Elend in jesidischen Flüchtlingscamps spricht, desto mehr verfällt sie in das Schwäbisch ihrer Babenhäuser Heimat: „Ein Öfele kostet 150 Euro.“ Zwischendurch entdeckt sie an der Wand eine Karikatur des Schweinfurter Zeichners Heinz A. Böhm, die sie zusammen mit Kathi Petersen von der SPD zeigt, – und lächelt dann doch.
„Ich fahr da hin, wo es weh tut, wo es brennt“, sagt Roth: „Ich bin dankbarer, demütiger geworden.“ Syrien, das sei vor dem Bürgerkrieg nicht die Dritte Welt gewesen. Das 4,5-Millionen-Einwohner-Land Libanon werde nun mit über einer Million Flüchtlinge konfrontiert: „Da funktioniert nichts mehr.“ Längst gäbe es auch hier Kämpfe, die Infrastruktur löse sich auf, damit auch die Idee des Zusammenlebens unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen.
Jordanien: Die drittgrößte Stadt des extrem wasserarmen Landes sei jetzt ein Flüchtlingslager für über 100 000 Menschen – „eine Stadt wie Würzburg in der Wüste.“ Katar habe schon eine Moschee gebaut, Deutschland immerhin Straßenschilder geliefert: Das Blech wurde zu einer Art „Designertischchen“ umfunktioniert, erzählt die Augenzeugin süffisant.
Dann die Tragödie im Nordirak, wo Islamisten schon Anfang des Jahres ihre Opfer vor sich hertrieben: Jesiden, Turkmenen, Christen. Der IS, da seien gut organisierte Ghadaffi- und Saddam-Anhänger dabei, die hätten „de facto staatliche Strukturen“. Mit florierendem Frauen- und Mädchenhandel.
Besonders erschütternd: Die Reise in die türkische Grenzstadt Suruc, gegenüber dem kurdischen Rojava-Gebiet in Nordsyrien. „Bin ich jetzt in einem schlechten Film?“, habe sie mit dem Blick auf das umkämpfte Kobane gefragt, ein unglaublich symbolischer Ort: „Man sieht die Einschläge.“
Sie verstehe die Türkei nicht: Der „Islamische Staat“ verkaufe dort Öl und archäologische Schätze, verwundete Kämpfer würden in türkischen Krankenhäusern nicht nur versorgt, sondern auch rückgeschleust. In Istanbul soll es IS-Ausbildungslager und regelrechte Fanshops geben. Während Europa die Mauern hochziehe, mit „bürokratischem Wahnsinn“ reagiere.
„Es fehlt an Verständnis“
Das Dubliner Asyl-System (das Abschiebungen in „sichere Drittländer“ vorsieht) sei gescheitert, sagt sie zur Lage hierzulande, wo der Staat die Probleme auf große ehrenamtliche Hilfsbereitschaft und die Kommunen abwälze: „Es ist auch unsere Tragödie.“ Es fehle in den Aufnahmestellen an Betreuern, Übersetzern, an Registrierung, an rascher medizinischer Untersuchung: „Die Regierung hat sich nicht vorbereitet, vor allem in Bayern ist das eklatant. Der Bund tut so, als hätte er nichts damit zu tun.“
Familienmitglieder würden künstlich getrennt, Minderjährige nicht ausreichend betreut. „Es fehlt an Verständnis in der Bevölkerung“, klagt Ayfer Fuchs, Fraktionschefin im Stadtrat: Was Wunder, wenn Innenminister Herrmann „in jedem zweiten Satz“ von Asylmissbrauch spreche. In ein paar Wochen, früher als geplant, werde das Erstaufnahmelager für Schweinfurt kommen, ist sie sich mit Roth sicher.
Demonstranten
„Ich sehe noch keinen Masterplan.“ Man brauche geschultes Personal und professionelle Traumata-Behandlung: „Wir dürfen die Ehrenamtlichen nicht allein lassen.“ Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben müsse schneller reagieren, was Schweinfurts Kasernenwohnungen angehe: Auch die Kreisräte warnen vor drohendem Notstand.
Am Ende trudeln noch einige Teilnehmer der Kobane-Demonstration in Schweinfurt ein: „ISIS massakriert, Türkei finanziert“ – Was Roth von dieser Parole halte? Von Waffenlieferungen oder militärischer Intervention? Erdogans „dreckige Politik“. Roth steht zu ihrer Aussage, schwächt sie aber ab: „Es gibt aktive Duldung.“ Die Islamisten würden nicht bekämpft, sondern die Kurden geschwächt.
Die US-Luftschläge hätten geholfen, glaubt die Politikerin, aber die Region brauche humanitäre Hilfe nötiger als Waffen. Die Aufweichung rüstungspolitischer Richtlinien durch die Bundesregierung: „Dieser Tabubruch war nur Mittel zum Zweck.“
Die Vereinten Nationen müssten den Hut aufhaben, die Regionalmächte für eine dauerhafte Lösung ins Boot geholt werden, auch Iran und Russland. Jeder Einmarsch westlicher Truppen würde dem IS als „Turbo“ dienen. Hier helfe nur, die Geldquellen auszutrocknen und massiven Druck auf die Türkei auszuüben, sagt Roth. Schon jetzt drohe dort der alte Kurdenkonflikt erneut aufzuflammen. Es ist kein Geheimnis, dass Claudia Roth eine Liebhaberin des Urlaubslands Türkei ist, mit eigenem Haus in Bodrum.
Koran, 9. Sure Vers 5: "Und wenn nun die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Heiden, wo (immer) ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie und lauert ihnen überall auf (wa-q`uduu lahum kulla marsadin)!"
Zu den Ungläubigen zählt auch Frau Roth. Vor lauter GRÜNEM Multikulti hat sie das aber nicht erkannt. So gesehen fehlt ihr "das Verständnis". Mal sehen, wie lange sie ihr Haus in Bodrum noch genießen kann.